Magin, Christine, „Wie es umb der iuden recht stet“.
SchumannMagin20010915 Nr. 10010 ZRG 119 (2002) 32
Magin, Christine, „Wie es umb der iuden recht stet“. Der Status der Juden in spätmittelalterlichen deutschen Rechtsbüchern. Wallstein, Göttingen 1999. 462 S.
Die gut lesbare Arbeit ist die überarbeitete Fassung der von Friedrich Lotter betreuten und am Fachbereich Historisch-Philologische Wissenschaften der Georg-August-Universität Göttingen im Jahre 1995 angenommenen Dissertation der Verfasserin. Anhand von siebzehn Rechtsbüchern des 13. und 14. Jahrhunderts wird das mittelalterliche Judenrecht des deutschen Reiches erfaßt und analysiert. Mit dem Terminus „Judenrecht“ greift Magin auf Guido Kisch zurück und grenzt mit diesem Begriff das von christlichen Obrigkeiten gesetzte Judenrecht im Sinne von Recht für Juden vom „jüdischen Recht“ als Recht jüdischen Ursprungs ab. Ob eine strenge Unterscheidung der beiden Rechtssphären immer sinnvoll ist, bezweifelt auch Magin, hält sie aber im Untersuchungszeitraum schon deshalb für angebracht, weil diese Differenzierung in den Rechtsbüchern selbst angelegt ist. So unterscheidet etwa das Meißener Rechtsbuch ausdrücklich zwischen „ioddenrecht“ und „judisch recht“, die Magdeburger Weichbildvulgata enthält Bestimmungen „Von der Juden rechte“ und aus dem Schwabenspiegel stammt der Titel des Buches „Wie es umb der iuden recht stet“.
Einführend werden dem Leser die „Grundlagen der rechtlich-sozialen Stellung der Juden im hohen und späten Mittelalter“ (S. 17-40) präsentiert. Als wichtigste Grundlagen für die Stellung der Juden nennt Magin einerseits die Haltung der mittelalterlichen Kirche (die Verfasserin beschreibt sie auf S. 19 „als ein Nebeneinander der verschiedenen Positionen“, wobei „zu allen Zeiten von einer bedingten grundsätzlichen Duldung der Existenz des Judentums auszugehen“ sei) und andererseits aus dem weltlichen Recht die spätestens seit dem 13. Jahrhundert reichsweit bestehende Kammerknechtschaft der Juden (servi camerae nostrae). Der ursprüngliche Schutzgedanke (Königsschutz gegen Zahlungen der Juden an die königliche Kammer) sei im Laufe des Spätmittelalters immer stärker zugunsten der freien Verfügungsgewalt des Herrschers über Leben und Besitz der Kammerknechte in den Hintergrund getreten. Daneben haben seit der Mitte des 13. Jahrhunderts auch Landes- und Stadtherrn durch Vergabe von Privilegien Herrschaft über Juden ausgeübt. Über die Regelung der Rechtsverhältnisse jüdischer Einwohner (Handelsrechte, Steuerzahlungen, Verfahrensrecht etc.) habe Judenrecht Aufnahme in städtische Rechtsbücher gefunden.
Ein weiteres einführendes Kapitel behandelt „Die Rechtsbücher“ (S. 41-111), die Magin für ihre Untersuchung ausgewählt hat, ohne allerdings die Kriterien ihrer Auswahl zu nennen. Unter den Begriff „Rechtsbücher“ fasst Magin großzügig alle Sammlungen, die neben „für bedeutsam gehaltene(n) weltliche(n) oder kirchliche(n) Rechtstraditionen“ vor allem Recht „eines begrenzten geographischen Raumes oder einer einzelnen Stadt unter Berufung auf lokale und regionale Rechtsgewohnheiten“ enthalten (S. 41f.). Geordnet nach den einzelnen Rechtsbüchern werden nicht nur die Person des Autors und das Werk selbst (Entstehungsumstände, Geltungsanspruch, Überlieferung etc.) vorgestellt, sondern auch schon Umfang und Inhalt des jeweils enthaltenen Judenrechts umrissen. Notwendigerweise kommt es daher in dem nach einzelnen Themen geordneten Hauptteil zu Wiederholungen. Dennoch mag es sinnvoll sein, vorab einen solchen Überblick zu geben, der hier nur in der gebotenen Kürze nachgezeichnet werden kann.
Der Sachsenspiegel, der in sechs Bestimmungen Judenrecht enthält, zeigt keine Einflüsse kannischen Rechts und befaßt sich mit dem Status der Juden als besonders geschützter Personengruppe, mit Prozeßrecht und jüdischem Sonderrecht im Handel. An den Sachsenspiegel angelehnt ist das Magdeburger Weichbildrecht und die Weichbildvulgata (Ende 13. Jahrhundert), während der Deutschenspiegel (um 1275) und die Buchsche Sachsenspiegelglosse (ca. 1325) neben Sachsenspiegelrecht auch Einflüsse römisch-kanonischen Rechts erkennen lassen.
Der Schwabenspiegel enthält zahlreiche, stark vom kanonischen Recht geprägte judenrechtliche Bestimmungen, wobei Magin im Vergleich zum Sachsenspiegel eine deutliche Verschlechterung der Rechtsstellung der Juden konstatiert. Ähnliches gilt auch für die im 14. Jahrhundert verfaßte Rechtssumme des Dominikanerpriesters Berthold von Freiburg, die der kanonistischen Rechtsliteratur zuzuordnen ist. Die Parallelen zum Schwabenspiegel sieht die Verfasserin auch darin, daß beide Autoren Geistliche waren, die mit ihren Werken Anleitungen für ein christliches Leben geben wollten. Die Judenbestimmungen des Augsburger Stadtbuchs (1276) lassen sich teilweise, diejenigen des Freisinger Rechtsbuchs (1328) überwiegend auf den Schwabenspiegel zurückführen.
Die weitaus meisten Bestimmungen zum Judenrecht finden sich im Meißener Rechtsbuch (sog. Rechtsbuch nach Distinctionen). Das in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts verfaßte Rechtsbuch enthält nach Ansicht Magins die beste rechtliche Stellung für Juden. Fünf diskriminierenden Distinktionen stehen 43 Bestimmungen gegenüber, die Juden zwar eine Sonderstellung einräumen, sie jedoch nicht benachteiligen. Einzigartiges Judenrecht, insbesondere zwei großzügige wirtschaftliche Bestimmungen, finden sich im Stadtrecht von Goslar (1330-1350), dem umfangreichsten Stadtrecht des Mittelalters. Hingegen wird im Wiener Stadtrechtsbuch (Mitte 14. Jahrhundert) die Abneigung des Autors gegen Juden deutlich.
Die Magdeburger Schöffensprüche führt Magin als Belege für Klagen von Juden gegen Christen aus dem 14. und 15. Jahrhundert an. Das Mühlhäuser Reichsrechtsbuch (Anfang 13. Jahrhundert), die Dortmunder Statuten (zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts), das Görlitzer Rechtsbuch (Anfang 14. Jahrhundert) und das Zwickauer Rechtsbuch (Mitte des 14. Jahrhunderts) enthalten kaum Aussagen zur rechtlichen Stellung der Juden, wobei sich dieser Umstand nach Ansicht der Verfasserin nur für Mühlhausen darauf zurückführen lassen könnte, daß zur Entstehungszeit des Rechtsbuchs Juden dort nicht ansässig waren. Insgesamt hält sich Magin - von einigen kurzen Anmerkungen abgesehen - mit Ausführungen zur Verbreitung der Juden im Geltungsbereich der jeweiligen Rechtsbücher zurück, obwohl dies für Inhalt und Umfang des Judenrechts durchaus aufschlußreich sein könnte. Immerhin wurden Teile des deutschen Reiches zu Beginn des Untersuchungszeitraums von Juden gerade erst besiedelt, während in anderen Gebieten und Städten nach den schweren Verfolgungen und Vertreibungen in der Mitte des 14. Jahrhunderts keine Juden mehr lebten. Ob und inwieweit Ansiedlung, Duldung, Verfolgung und Wiederansiedlung von Juden sich im spätmittelalterlichen Recht widerspiegeln, wird dem Leser daher leider nicht erschlossen.
Der sorgfältig gearbeitete Hauptteil des Werkes ist nach einzelnen „Themen des Judenrechts in Rechtsbüchern“ (S. 113-399) geordnet: Die soziale Stellung der Juden, die Missionsfrage, das Verfahrensrecht und der jüdische Handel. Auch dieser Teil enthält eine einführende Vorbemerkung, in der Magin erneut (erstmals auf S. 40) darauf hinweist, daß im folgenden untersucht werden soll, „inwiefern neben weltlichem Privilegienrecht und Rechtsgewohnheiten auch kirchenrechtliche Traditionen für den Inhalt von Rechtsbüchern von Bedeutung waren“ (S. 113). Demzufolge beginnen die einzelnen Kapitel meist mit einer Darstellung der chronologischen Entwicklung des jeweiligen Rechtskomplexes im mittelalterlichen kirchlichen Recht, der sich dann die Untersuchung dieses Bereichs im weltlichen Recht anschließt. Dies hat zur Folge, daß dem Leser nicht nur wie im Untertitel angekündigt „Der Status der Juden in spätmittelalterlichen deutschen Rechtsbüchern“ präsentiert wird, sondern mindestens in gleichem Umfang Ausführungen zum kanonischen Recht und zu Judenprivilegien seit dem Hochmittelalter.
Im Kapitel über „Die soziale Stellung der Juden“ (S. 117-163) geht es u. a. um die Beschäftigung von christlichen Dienstleuten (Verbot der Kirche von Lohndiensten von Christen bei Juden) und um Kleidervorschriften für Juden. Auf dem vierten Laterankonzil 1215 wurde unter Papst Innozenz III. geboten, daß alle Juden besondere Kleidung tragen sollten, um sich von den Christen zu unterscheiden, wobei der Zweck die Verhinderung von Geschlechtsverkehr zwischen Christen und Juden war. Ebenfalls auf Innozenz III. geht das absolute Verbot für Christen, bei Juden Lohndienste zu erbringen, zurück.
Dem Verbot von Lohndiensten standen die Judenprivilegien Heinrichs IV. aus dem Jahre 1090 entgegen, die die Beschäftigung von Christen bei Juden mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage ausdrücklich gestatteten. Demzufolge findet sich das Verbot nur in Sammlungen, die weithin kanonisches Recht enthalten (Schwabenspiegel und ihm folgend das Freisinger Rechtsbuch sowie die Rechtssumme Bertholds), und in der Buchschen Sachsenspiegelglosse. Auch Kleidervorschriften (spitzer Hut, Judenabzeichen) sind nur vereinzelt Gegenstand der judenrechtlichen Bestimmungen der Rechtsbücher. Sofern Bestimmungen enthalten sind, sehen diese (ausgenommen der Schwabenspiegel und die Rechtssumme Bertholds) nicht generell das Tragen besonderer Kleidung vor, sondern schreiben zu bestimmten Anlässen das Tragen des Judenhuts vor, so bei Eidesleistungen und dem Verlassen der Synagoge (Magdeburger Weichbildvulgata, Meißener Rechtsbuch) oder beim Verkauf von Fleisch (Augsburger Stadtrecht).
Weiterhin nennt Magin in diesem Zusammenhang Sachsenspiegel III, 2, der bestimmt, daß Kleriker und Juden, die Waffen tragen und nicht nach ihrem Recht geschoren sind, wie Laien gebüßt werden (entsprechende Bestimmungen enthalten auch Deutschenspiegel und Schwabenspiegel). Das Scheren bezieht sich vermutlich nur auf die Tonsur der Geistlichen.[1] Außerdem weisen Überschrift („von phaffen unde iuden, die wafen vuren“) und Begründung („se sollen kein wafen furen, de mit des koninges tegliches fride begriffen sint“) dieser Bestimmung darauf hin, daß das Tragen der Waffen maßgeblich dafür ist, daß die Verletzten wie Laien gebüßt werden. Ob sich diese Bestimmung daher als Beleg für eine Kleidervorschrift eignet, scheint mir zumindest zweifelhaft, auch wenn Magin darauf hinweist, daß in der entsprechenden Illustration in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegel der abgebildete Jude Hut und Bart trägt.
Das Kapitel über „Die Missionsfrage“ (S. 164-210) handelt von den im Zusammenhang mit Zwangstaufen von Juden auftretenden rechtlichen Problemen. Die Kirche differenzierte im späten Mittelalter in der Frage der Zwangstaufe zwischen absolutem und bedingtem Zwang. Nur bei bedingtem Zwang galt der christliche Glaube als angenommen und war somit zu beachten, wobei allerdings selbst Todesdrohungen nicht als absoluter Zwang angesehen wurden. Hingegen hatte Heinrich IV. in seinen Privilegien für die Juden von Worms und Speyer angeordnet, daß bei Bereitschaft zur Taufe eine Wartefrist von drei Tagen einzuhalten sei, um sicherzustellen, daß der christliche Glaube aus freiem Willen angenommen werde.
Während die meisten Rechtsbücher sich zur Frage der Taufe von Juden nicht äußern, findet sich im Schwabenspiegel - und ihm folgend auch im Freisinger Rechtsbuch - ein Verbot der Zwangstaufe. Lediglich mit guten Worten dürfen Juden zum Christentum gebracht werden. Wenden sie sich später wieder vom christlichen Glauben ab, so sollen sie als Ketzer verbrannt werden, und zwar auch dann, wenn sie entgegen dem Verbot zur Taufe gezwungen werden. Damit gibt der Schwabenspiegel in vereinfachter Form zeitgenössisches Kirchenrecht wieder. Ähnliches findet sich in der Rechtssumme Bertholds. Danach dürfen Juden mit guten Worten, Versprechungen oder Gaben, nicht hingegen durch Drohungen oder Prügel zum christlichen Glauben geführt werden. Solange der Zwang jedoch zu keinem körperlichen Schaden führt, muß der zur Taufe gezwungene Jude dem christlichen Glauben treu bleiben. Aus einer weiteren Stelle ergibt sich, daß nach Berthold - anknüpfend an Thomas von Aquin - der christliche Glaube nicht angenommen ist, wenn die Taufe durch Androhung des Todes, mittels Waffengewalt oder das Stoßen ins Wasser erzwungen wurde. Auf Thomas von Aquin beruft sich Berthold auch in der Frage, ob jüdische Kinder getauft werden dürfen. Ein Kind, das eine vernunftbegründete Entscheidung treffen kann, darf auch gegen den Willen seiner Eltern getauft werden, anderenfalls gilt das Elternrecht. Insgesamt findet sich das Thema der Zwangstaufe somit ebenfalls nur in den von kanonischem Recht stark beeinflußten Rechtsbüchern.
Im Zusammenhang mit erzwungenen oder freiwilligen Übertritten von Juden zum Christentum steht noch eine weitere Rechtsfrage, nämlich nach dem Erbrecht der Übergetretenen an dem Nachlaß ihrer nicht konvertierten Eltern. Während die Kirche den Standpunkt vertrat, daß der Übertritt zum christlichen Glauben nicht die Rechtsstellung des Konvertiten verschlechtern dürfe (wobei sich dieser Standpunkt weniger auf das Erbe als auf den - zum Teil durch Wuchergeschäfte und damit aus Sicht der Kirche unrechtmäßig erworbenen - Besitz bezog), galt nach weltlichem Recht seit Ende des 11. Jahrhundert (Wormser Judendiplom Heinrichs IV.), daß Juden, die mit dem Glaubensübertritt das Recht der Väter verlassen haben, auch ihr Erbe zurücklassen sollen („... et sicut legem patrum suorum reliquerunt, ita eciam relinquant hereditatem“). Leider arbeitet Magin hier nicht hinreichend heraus, daß die Lösung dieses Problems von der Frage abhängt, ob jüdisches Recht, das die Enterbung von Konvertiten gestattete, im Verhältnis zu den zum Christentum konvertierten Kindern zur Anwendung gelangt. Diese Rechtsfrage hatte Heinrich IV. zugunsten der Anwendung jüdischen Erbrechts (also des Rechts des Erblassers) entschieden. Der Schwabenspiegel und das Freisinger Rechtsbuch übernehmen hingegen das kanonische Enterbungsverbot. Nach der Rechtssumme Bertholds sollen Konvertiten beim Erwerb des väterlichen Erbes unterstützt werden. Im übrigen aber habe sich laut Magin bis ins 15. Jahrhundert weltliches gegen kanonisches Recht behauptet.
Im dem umfangreichen Kapitel „Verfahrensrecht“ (S. 210-332) untersucht Magin Klagen und Zeugenaussagen von Juden gegen Christen sowie Vorschriften und Formeln für Eide, die Juden in einem Verfahren zu leisten hatten. Die meisten Rechtsbücher enthalten keine besonderen Regelungen über das Klagerecht von Juden gegen Christen. Im Meißener Rechtsbuch finden sich eine Bestimmung über die Klage eines Juden gegen einen Christen und weitere Regeln dazu, daß bei Körper- oder Ehrverletzungen an einem Juden durch einen Christen der Christ demselben Recht unterworfen sein soll, als hätte er die Verletzung gegenüber einem Christen begangen. Nach der Rechtssumme Bertholds dürfen Juden ihr Recht vor christlichen Richtern einfordern. Sonderrecht enthält lediglich das Freisinger Rechtsbuch mit der Bestimmung, daß ein Christ, der einen Juden erschlägt, nicht von den Verwandten des Getöteten, sondern vom Richter angeklagt werden muß, der Christ aber eine größere Buße zahlen müsse als für den Totschlag eines Christen, weil er mit der Tötung des Juden den fürstlichen Frieden gebrochen habe. Insgesamt wurde das Klagerecht der Juden als so selbstverständlich angesehen, daß es häufig nicht einmal erwähnt wurde. Da auch nur vereinzelt in den Rechtsbüchern den Juden die Übernahme des Richter- oder Vorsprecheramtes verboten wird, darf vermutet werden, daß auch dies andernorts möglich war. Ein Indiz dafür liefern die Illustrationen in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels, die einen Juden mit Bart und Judenhut als Urteilsfinder zeigen (diese Abbildung befindet sich auch auf dem Umschlag des Bandes).
Die noch im Spätmittelalter gültigen Judenprivilegien Heinrichs IV. gestatteten Juden, bei gemischten Prozessen den Eid nach ihrem eigenen Recht (secundum legem suam) zu leisten. In den Rechtsbüchern sind daher Juden nur ganz vereinzelt vom Zeugnis ausgeschlossen, so etwa in der Rechtssumme Bertholds. In einigen Rechtsbüchern sind Juden in der Beweisführung benachteiligt. So benötigen sie mehr Zeugen für die Beweisführung als ein Christ (Sachsenspiegelglosse) oder dürfen nur Zeugnis gegen einen Juden, nicht aber gegen einen Christen ablegen (Schwabenspiegel, Freisinger Rechtsbuch).
Der Judeneid selbst verlangte wie jeder Verfahrenseid unter Einhaltung eines bestimmten Ritus das genaue Nachsprechen einer festgelegten Formel, die ein Vorsprecher vorgab und die neben einer Unschuldsbeteuerung des Schwörenden und der Anrufung Gottes eine Selbstverfluchung für den Fall eines Meineids beinhaltete. Neben zahlreichen Eidformeln, die neutral und ohne demütigende Vorschriften waren, weisen einige spätmittelalterliche Judeneide in Ritus und Formel stark diskriminierende Elemente auf. Der Schwabenspiegel sieht vor, daß ein Jude seinen Eid auf einer Sauhaut stehend schwören müsse. Nach der Magdeburger Weichbildvulgata und dem Meißener Rechtsbuch sollen Juden in einem grauen Gewand ohne Unterkleid, barfuß auf einer in Lammblut getauchten Tierhaut stehen und mit einem spitzen Hut auf dem Kopf schwören. In einer Glosse zur Weichbildvulgata von 1557 wird dieser Ritus kritisiert: Juden sollen auf ihre Weise schwören und dieser Eid soll ebensoviel Wert sein wie der Eid eines Christen; das barfüßige Stehen auf einer Schweinshaut dürfe nicht verlangt werden. Auch Johannes von Buch lehnt das Schweinshautritual als Unrecht ab.
Das letzte Kapitel des Haupteils mit dem Titel „Jüdischer Handel“ (S. 332-399) befaßt sich mit Rechtsfragen, die im Zusammenhang mit dem zwischen Juden und Christen getätigten Waren- oder Geldhandel auftreten. Im Spätmittelalter stellte der Handel mit Wein, Lebensmitteln und Vieh neben dem noch bedeutsameren Bereich der Geldleihe die wichtigste Einnahmequelle für Juden dar. Die Kirche untersagte allerdings den Kauf von Speisen und Medikamenten von Juden. Dieses Verbot spiegelt sich aber nur in einigen Rechtsbüchern wieder. Die Buchsche Glosse und die Rechtssumme Bertholds enthalten das Verbot, von Juden Arznei anzunehmen. In anderen Rechtsbüchern, insbesondere städtischen Rechtsquellen, finden sich Bestimmungen über den Verkauf von Fleisch. Dieses wurde als minderwertig betrachtet und daher dem jüdischen Verkäufer auferlegt, es abseits der anderen Stände zu verkaufen (Meißener Rechtsbuch, Zwickauer Rechtsbuch) oder einen Judenhut zu tragen (Augsburger Stadtbuch). Diese Handelsbeschränkungen für Juden führt Magin weniger auf den Einfluß kanonischen Rechts, als vielmehr auf bestimmte städtische Machtverhältnisse zurück.
Handelsvorteile gegenüber Christen räumte den Juden das Marktschutzrecht ein. Bei diesem Recht, für das auch die Begriffe „Hehlerprivileg“[2], „Handelsprivileg“, „Marktprivileg“ oder auch „Lösungsrecht“[3] gebräuchlich sind, handelt es sich nach Ansicht Magins (die insoweit Friedrich Lotter folgt) um eine Übernahme aus dem talmudischen Recht in die Judenprivilegien Heinrichs IV., die auf Betreiben der an der Formulierung der Urkunde beteiligten Juden erfolgte.[4] Es schützte jüdische Käufer oder Kreditgeber, die gutgläubig einen gestohlenen Gegenstand gekauft oder als Pfand genommen hatten, vor finanziellen Nachteilen bzw. einer Anklage wegen Diebstahls oder Hehlerei von Seiten des rechtmäßigen Eigentümers. Im Gegensatz zu Christen erhielten Juden bei Herausgabe des gestohlenen Guts an den Eigentümer eine Entschädigung in Höhe des Wertes des Kaufgegenstands oder des Pfands. Von Seiten der Kirche wurde das Marktschutzrecht abgelehnt, weil es Juden eine bessere rechtliche Stellung als Christen einräumte.
Fast alle Rechtsbücher enthalten Bestimmungen zum Marktschutzrecht. Sachsenspiegel, Deutschenspiegel und Schwabenspiegel sowie das Freisinger Rechtsbuch wenden das Privileg nur an, wenn ein Jude das gestohlene Gut bei Tag und in der Öffentlichkeit gekauft bzw. als Pfand genommen hat, nicht hingegen, wenn das Geschäft heimlich getätigt wurde oder es sich um gestohlenes Kirchengut handelt. Insbesondere in städtischen Rechtsbüchern findet das Marktschutzrecht ausführliche Erwähnung. Das Meißener Rechtsbuch beschäftigt sich allein in neun Distinktionen damit. Im Wiener Stadtrechtsbuch wird das Marktschutzrecht der Juden als ungerecht bezeichnet, weil dadurch „die verfluchten juden vil pezzer recht habent gegen den christen, denn die christen gegen den juden“ (S. 371).
In dem abschließenden Kapitel „Ergebnisse und Perspektiven“ (S. 401-424) arbeitet die Verfasserin in einem ersten Teil Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den von ihr untersuchten Rechtsbüchern heraus. Stark vereinfacht lassen sich dabei drei Gruppen bilden: (1) Die auf dem Sachsenspiegel basierenden Rechtsbücher des nordostdeutschen Raumes enthalten meist knapp dargestellt Judenrecht, wobei Inhalt und Sprachstil an kaiserliche und landesherrliche Privilegien erinnern. (2) Rechtsbücher, deren Verfassern kanonisches Recht vertraut war, lassen das Bemühen um eine Umsetzung der theologischen Vorgaben erkennen. Hierzu zählen aus dem süddeutschen Raum der Schwabenspiegel und die Rechtssumme Bertholds, die den höchsten Anteil an kanonischem Judenrecht aufweisen und die nicht selten eine deutlich schlechtere Rechtslage für die Juden beschreiben. Nach Ansicht Magins steht hier die theologische Perspektive der Verfasser der Rechtsbücher, der zufolge den Juden im öffentlichen Leben eine untergeordnete Stellung zuzuweisen ist, im Vordergrund gegenüber der Absicht, geltendes Recht aufzuzeichnen. (3) Städtische Rechtssammlungen befassen sich mit den rechtlichen Aspekten des jüdischen Handels und der Geld- und Pfandleihe wesentlich intensiver als die Landrechtsbücher, wobei die Verfasserin dies auf die große Bedeutung der Juden in der städtischen Geld- und Kreditwirtschaft zurückführt.
Insgesamt ordnet Magin den Schwabenspiegel als das judenfeindlichste Rechtsbuch ein, während das Meißener Rechtsbuch die meisten Bestimmungen zum Schutz von Leben und Besitz der Juden enthält. Das Judenrecht der weltlichen Rechtsbücher sei dabei eher ein Produkt des zu ihrer Entstehungszeit praktizierten Rechts als das der kirchlich-kanonistisch geprägten Sammlungen. Die weltlichen Rechtsbücher belegten eine im wesentlichen gesicherte Existenz der Juden in der Gesellschaft und enthalten nur vereinzelt Tendenzen zur Einschränkung ihrer rechtlich-sozialen Position.
In einem zweiten Schritt versucht die Verfasserin auf die in der Einleitung (S. 15) aufgeworfene These, daß „der zunächst noch gesicherte rechtlich-soziale Status der Juden im deutschen Reich ... sich seit dem späten 13. Jahrhundert bzw. seit der Mitte des 14. Jahrhunderts endgültig verschlechtert“ habe, aus der Perspektive der Rechtsbücher eine Antwort zu geben. Diese lautet, daß „in den meisten Sammlungen ... die Position der Juden insgesamt noch positiv beschrieben wird und daß den Rechtsbüchern zufolge die Basis für eine weitgehend gesicherte soziale und ökonomische Existenz gegeben gewesen wäre“ (S. 424).
Zu ähnlichen Ergebnissen kamen für andere Untersuchungszeiträume und Untersuchungsgegenstände schon Wilhelm Güde und Paul Mikat. Mikat stellt in „Die Judengesetzgebung der merowingisch-fränkischen Konzilien“, 1995[5] abschließend fest, daß „die Juden im merowingischen Frankenreich des sechsten und siebten Jahrhunderts nicht generell als eine diskriminierte, verfolgte und wehrlose Minderheit zu betrachten sind“.[6] Güde hält als Ergebnis seiner 1981 veröffentlichten Dissertation über „Die rechtliche Stellung der Juden in den Schriften deutscher Juristen des 16. und 17. Jahrhunderts“[7] fest, daß „die Drangsal der Juden in ihrer christlichen Umwelt ... durch Regeln des Rechts grundsätzlich nicht verstärkt“ worden seien, vielmehr habe das Recht den Damm gebildet, der die Juden „vor schrankenloser Willkür bewahrt und ihnen damit wenigstens einen bescheidenen Lebensraum“ gesichert habe.[8] Nach Güde liegt „die Einbruchstelle für die Ungleichbehandlung ... weniger im rechtlichen, als im tatsächlichen Bereich“.[9]
Auch Magin schließt ihre Arbeit mit der über das „behandelte Thema hinausweisende(n) Folgerung ..., daß die eigentlichen Ursachen für den Niedergang des Status der Juden im Spätmittelalter nicht vorrangig im Bereich des weltlichen oder auch kirchlichen Judenrechts, sondern eher außerhalb der Rechtsentwicklung, genauer in der Veränderung sozialer Grundhaltungen und Verhaltensweisen im Umgang mit Juden zu suchen sind“ (S. 424).
Diese Sicht verdient weithin Zustimmung, wenngleich sie einen - vielleicht nicht unwesentlichen Aspekt - ausklammert. Das von Magin untersuchte Privatrecht beinhaltet zu einem großen Teil Fragen des Kollisionsrechts zwischen zwei Gruppen, die nach unterschiedlichem Recht leben. Welches Recht soll zwischen Juden und Christen in Fragen des Kauf-, Pfand-, Darlehens-, Dienst-, Erb- und Beweisrechts gelten? Bei Kauf und Pfand gilt das laut Magin auf den Talmud zurückgehende Marktschutzrecht, beim Darlehen gilt das kanonische Verbot der Zinsnahme nicht, gegenüber Dienstverpflichteten haben Juden die christlichen Sonn- und Feiertage zu achten, beim Erbe gilt nicht das Recht des Konvertiten, sondern das des jüdischen Erblassers und beim Beweis schwört jeder nach seinem eigenen Recht. Im übrigen aber leben Juden untereinander nach ihren Rechten und Bräuchen. Daß dieser Umstand die Einordnung der Juden als Fremde im Recht[10] begünstigt haben dürfte, läßt sich nicht allein mit dem Hinweis, daß die Fremdenrechtstheorie veraltet sei,[11] abtun. Vielmehr muß man sich fragen, warum im deutschen Reich lebende Juden über Jahrhunderte als Fremde im Recht behandelt wurden und inwieweit dies für Diskriminierung und Verfolgung der Juden ursächlich sein könnte.
Die - gelegentlich kritischen - Anmerkungen sollen keinesfalls die in dem besprochenen Werk enthaltene Leistung schmälern, zumal der Abdruck zahlreicher Quellen mit Übersetzungen und Erläuterungen der Verfasserin besonders wertvoll ist. Als weiterer wichtiger Beitrag zur Geschichte des Judenrechts sei die Arbeit Magins nicht nur Rechtshistorikern empfohlen.
Leipzig Eva Schumann
[1] So auch Guido Kisch, Die Rechtsstellung der Juden in Deutschland im Mittelalter, in: Kisch, Ausgewählte Schriften, Bd. 1: Forschungen zur Rechts- und Sozialgeschichte der Juden in Deutschland während des Mittelalters, Sigmaringen 1978, 33 (Fn. 39).
[2] So etwa Elmar Wadle, Hehlerprivileg, Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 2, Berlin 1978, 37ff.
[3] Zu diesen Begriffen vgl. Kisch, Zur Rechtsstellung der Juden im Mittelalter, ZRG Germ. Abt. 81 (1964), 358, 361f. m. w. N.
[4] A.nderer Ansicht aber Kisch, Das „jüdische Hehlerrecht, in: Kisch, Ausgewählte Schriften, Bd. 1, 107ff., insb. 135; Kisch (Anm. 2), 360ff. m. w. N.; ihm folgend Wadle (Anm. 2), 39f.
[5] Vgl. dazu die Besprechung von Friedrich Lotter, ZRG Kan. Abt. 116 (1999), 542f.
[6] Mikat, 96. Vgl. auch Dietrich Claude, Untersuchungen zum frühfränkischen Comitat, ZRG Germ. Abt. 81 (1964), 1, 4 f., mit Hinweis darauf, daß die Merowingerkönige gegen den Widerstand der Kirche Juden als Richter oder auf anderen Beamtenstellen einsetzten; sowie Walter Laske, Die Situation der Juden in Gallien zur Zeit und nach dem Zeugnis Gregors von Tours, ZRG Germ. Abt. 100 (1983), 260-266.
[7] Vgl. dazu die Besprechung Rudolf Gmürs, ZRG Germ. Abt. 100 (1983), 370f.
[8] Güde 74.
[9] Güde 15, der in diesem Zusammenhang den Rechtsfall einer Ritualmordbeschuldigung aus Bayern im Jahre 1732 schildert.
[10] Vgl. nur Otto Stobbe, Handbuch des Deutschen Privatrechts, Bd. 1, 3. Aufl., Berlin 1893, 386ff. m.w. N.
[11] So Kisch (Anm. 3), 359.