Mellan makten och menigheten.
StrauchMellanmakten20010917 Nr. 10453 ZRG 119 (2002) 46
Mellan makten och menigheten. Ämbetsmän i det tidigmoderna Sverige, red. v. Harnesk, Börje/Sjöberg, Marja Taussi (= Institutet för Rättshistorisk Forskning, Serien 3 Rättshistoriska skrifter 1). Rönnells Antikvariat AB, Stockholm 2001. 275 S.
Dieser Sammelband mit dem Titel „Zwischen Macht und Volk. Amtleute im frühneuzeitlichen Schweden“ geht auf ein Symposion an der philosophischen Fakultät der Universität Umeå von 1998 zurück. Er greift in zehn Beiträgen und einer Einleitung ein bisher kaum bearbeitetes Thema auf, nämlich die Verwaltungspraxis der Amtleute in den schwedischen Provinzen. Die verwaltungsgeschichtliche Forschung hat zwar schon reiche Erträge eingefahren, doch hat sie sich bisher meist mit den verwaltungsrechtlichen Vorschriften oder mit der sozialen Herkunft der Beamten beschäftigt. Dagegen war die Verwaltungspraxis kaum Gegenstand historischer oder rechtshistorischer Forschung. Eine Ausnahme bilden nur die Habilitationsschriften von Pär Frohnert[1] und von Marie Lennersand[2]. Beide Autoren haben auch am vorliegenden Band mitgewirkt und damit geholfen, die noch bestehenden Lücken auf diesem Gebiet zu schließen.
Der Beitrag der finnischen Rechtshistorikerin Pia Letto-Vanamo „Recht der Thinggemeinschaft“ beleuchtet die vorhergehende Zeit ohne gefestigte Staatlichkeit, als die versammelte Thinggemeinde auf Grund des mündlich tradierten Gewohnheitsrechts ihre Streitigkeiten durch Beschluß schlichtete, wobei die Entwicklung des Beweisverfahrens zugleich verschiedene Entwicklungsschichten des Rechts sichtbar werden läßt.
Matts Hallenberg zeigt in seinem Beitrag „Zuckerbrot und Peitsche“ [wörtlich: „Peitsche und Möhren“] wie Gustav Vasa seit den 1530er Jahren die mittelalterliche Lehnsverwaltung des Landes ablöste, indem er Vögte einsetzte. Sie waren abhängige Beamte, die nicht nur die politischen Beschlüsse umzusetzen, sondern vor allem auch die Abgaben für den Staat einzutreiben hatten. Seit etwa 1560 bildeten sie – zusammen mit den Schreibern – neben den Adeligen einen geschlossenen Stand, vom Staate geschaffen und nur seinen Zwecken dienstbar, zahlenmäßig dem Adel etwa gleichend. Die Vögte bewegten sich jedoch auf glattem Eis: Sie mußten die staatlichen Steueransprüche befriedigen, was sie durch rigoroses Durchgreifen nicht zuletzt zu eigenem Nutzen taten. Dabei waren sie häufig dem Volkszorn ausgesetzt: Gingen sie zu hart oder zu gierig vor, so war dem Volk der Weg zum König eröffnet, der häufig nicht zögerte, hart durchzugreifen, die Bösewichte abzusetzen und gleichzeitig ihr Vermögen zu Gunsten des Staates einzuziehen.
Im Frieden von Brömsebro, der 1645 den schwedisch-dänischen Krieg beendete, verlor Dänemark seine Ostseeherrschaft und Schweden gewann unter anderem die Landschaft Jämtland, östlich von Trondheim um den Storsjö gelegen. Tord Theland untersucht, mit welchen Mitteln die schwedische Zentralmacht die neugewonnene Landschaft zu integrieren suchte [„Vom Bezirk Trondheim zur Provinz Härnösand“]. Hierzu diente vor allem eine Reform der Mittelinstanzen, also der bisherigen Regierungsbezirke (schwed.: „län“, eig. Lehen). Die schwedische Regierung faßte sie zu Provinzen (schwed. hövdingadöme, eig. Häuptlingstümer) zusammen, die von einer Provinzialregierung mit einem Oberpräsidenten (schwed. landshövding, eig. Landeshauptmann) an der Spitze regiert wurden und so die Lokalverwaltung unter Kontrolle hatte. Die Provinz Härnösand umfaßte nun die Landschaften Jämtland, Ångermanland und Medelpad. Anhand der Korrespondenz des ersten schwedischen Oberpräsidenten in Jämtland, Hans Strijk, kann Theland nachweisen, daß die Integration der verschiedenen Verwaltungsbereiche (Ziviles, Militärisches, Steuern und Abgaben sowie Rechtsprechung) ohne weiteres in die allgemeine schwedische Staatsverwaltung einbezogen werden konnten und daß die Jämtländer sich keineswegs weigerten, ihre Steuern jetzt an den schwedischen Staat zu zahlen.
„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“, nach diesem Motto mußte auch der schwedische Staat des 17. und 18. Jahrhunderts nach seiner Lokalverwaltung sehen. Wenn es auch ins Reich der Fabel gehört, daß Karl XI. (1660-97) verkleidet und unerkannt das Land bereiste, um nach dem Rechten zu sehen (hierauf deutet Marie Lennersands Titel „Die Wahrheit über die Graukappen“ hin), so führt sie hier ihre bisherigen Ausführungen über die Kontrolle im schwedischen Absolutismus (vgl. ihr Werk oben Anm. 2) weiter und stellt die Arbeit der staatlichen Kommissionen dar, die bei Amtsmißbrauch und Beschwerden über persönliches Mißverhalten der Amtleute eingesetzt wurden. Deren Arbeit förderte aber auch zutage, ob die Menschen mit der staatlichen Politik überhaupt zufrieden waren. Als Beispiele dienen der Verfasserin die im Regierungsbezirk Skaraborg und in Göteborg in den Jahren 1711/12 durchgeführten Untersuchungen.
Während seit dem Mittelalter in den Städten der Rat die Bürgermeister aus seiner Mitte wählte[3], finden sich in Schweden und Finnland seit etwa 1640 „königliche Bürgermeister“. Infolge der hohen Kriegskosten war der Staat nämlich auf sichere Steuern – vor allem aus den Städten – angewiesen, die die bisherigen Stadtverwaltungen nur schleppend oder gar nicht zahlten. In dieser Lage ging der Staat dazu über, durch seine Oberpräsidenten und/oder Regierungspräsidenten städtische Bürgermeister zu ernennen. Er stieß dabei in Schweden auf erheblichen, in Finnland dagegen kaum auf Widerstand. Immerhin gerieten die Bürgermeister als Vertreter des Staates leicht in Konflikt mit den Interessen der Bürger. Petri Karonen untersucht die aus solchen Ernennungen entstehenden Folgen für die finnischen Städte Vasa (Vaasa) und Gamla Karleby (Kokkola), etwa 120 Kilometer nördlich von Vasa gelegen: Während in Vasa Kaufleute zu Bürgermeistern bestellt wurden und kraft ihres wirtschaftlichen Einflusses Erhebliches bewirken konnten, waren es in Gamla Karleby Juristen, die gleichzeitig bei Gericht amtierten und in ihrer Amtsführung als Bürgermeister wenig hervortraten.
Pär Frohnert berichtet über Konflikte auf lokaler Ebene und über Auseinandersetzungen zwischen dem einzelnen oder einzelnen Gruppen und dem Staat [„Die Krone, das Individuum und das lokale Gemeinwesen“] zwischen 1600 und 1800. Dabei ergibt sich, daß bei vertikalen Konflikten der Staat nicht als Einheit auftrat, sondern der Ressortegoismus kräftige Blüten trieb. Aber auch auf der Gegenseite fanden sich Gruppen zusammen (wie etwa die im Reichstag vertretenen Bauern) oder die Gemeindeversammlungen wurde tätig, um bestimmte Interessen durchzusetzen. Dazu bedienten sie sich vieler Möglichkeiten: Ihre Beschlüsse wurden als Bittschriften oder Beschwerden an den Reichstag gesandt, sie erhoben Klage bei Gericht oder sandten Abordnungen an die staatlichen Stellen.
Martin Hårdstedt behandelt die „Problematik der Doppelrolle des Oberpräsidenten von Västerbotten, Pehr Adam Stromberg, während des schwedisch-russischen Krieges 1808/09“. Da die Anweisungen der Stockholmer Zentrale vage waren, schwankte Stromberg zwischen der Versorgung der Armee und der ihm anvertrauten Bevölkerung. Dadurch zog er sich das Mißfallen des Generalkriegskommissariats und des Befehlshabers von Umeå zu und wurde schließlich abgesetzt.
Die Ausführungen Maria Cavallins über „Eines Beamten ehrenhaftes Leben“ führen den Leser in die Auseinandersetzung über die ehrenvolle Stellung, staatspolitische Bedeutung und die dafür gezahlte Vergütung der Amtleute, also in eine Debatte, die in Schweden in den Jahren 1764/65 erregt ausgetragen wurde. Denn nicht alle Amtleute entsprachen den Vorstellungen von Ehre, Tugend, Verantwortlichkeit und Ruhm, die mit dem Amt eigentlich verknüpft waren, sondern handelten eher eigennützig und geldgierig. Als Folge der Debatte erscholl nicht nur der Ruf nach vertiefter und spezialisierter Ausbildung, es wurde auch die durch feierlichen Amtseid bekräftigte Berufung betont, die als königlicher Vertrauensbeweis galt.
Im Schweden des 18. Jahrhunderts gab es nicht nur weltliche Beamte, auch die Pfarrer waren praktisch Staatsdiener. Allerdings wurden sie weder durch die Kirche noch durch den König in ihr Amt eingesetzt, sondern von der Kirchengemeinde gewählt, wenn auch nicht zu übersehen ist, daß die Bischöfe und Domkapitel darauf sahen, nur verdiente Männer in das Amt eines Gemeindepriesters zu befördern. Peter Lindström verdeutlicht an diesen Wahlen eine Entwicklung dahingehend, daß ein Reichstagsbeschluß von 1731 das mittelalterliche Einstimmigkeitsprinzip abschaffte und durch das Majoritätsprinzip ersetzte. Gleichwohl wurden die Wahlen dadurch nicht demokratisch, denn die dabei praktizierte Art der Willensbildung läßt sich den überlieferten Protokollen nicht entnehmen.
Schließlich untersucht Christer Karlsson die Funktion der 1739 gegründeten Schwedischen Akademie zu Stockholm als Sachverständigengremium anhand der dort eingereichten Anfragen. Sie waren an die Akademie als Institution, nicht an einzelne Mitglieder gerichtet und betrafen neben naturwissenschaftlichen Fragen auch solche von Handel und Verkehr, Landbau, Kriegswesen und viele andere. Die Mehrheit der Einsender waren amtliche Stellen und ihre Eingaben bezweckten weniger, die Akademie um Lösung akuter Streitfragen des Staatslebens zu bitten als die Verbesserung des Gemeinwesens im allgemeinen anzuregen.
Alle zehn Beiträge zeichnen sich dadurch aus, daß sie auf gründlichen Archivstudien beruhen und die Literatur zu den einzelnen Fragen aufarbeiten. Leider haben die Herausgeber die Fußnoten an das Ende der Beiträge gesetzt, so daß der Leser dauernd blättern muß. Gleiches gilt für Anfang und Ende der Beiträge, da Kolumnentitel fehlen. Das Werk ist als erster Band einer neuen (der dritten) Reihe des Instituts für Rechtshistorische Forschung in Stockholm erschienen. Sie nennt sich „Rechtshistorische Schriften“. Was die Stiftung mit dieser Reihe bezweckt, bleibt jedoch im Dunkeln, zumal ihre zweite Buchreihe „Rechtshistorische Studien“, die es bisher schon auf zwanzig Bände gebracht hat, ebenfalls Sammlungen von Aufsätzen oder Berichte von Symposien enthält. Schließlich bleibt zu bemerken, daß der neue Band – außer dem Beitrag von Pia Letto-Vanamo – keine eigentlich rechtshistorischen Beiträge enthält. Die Verfasser beleuchten die staatlichen Verhältnisse im neuzeitlichen Schweden durch historische Darstellungen, die allenfalls einen rechtssoziologischen Bezug haben. Nur in diesem eingeschränkten Sinne bereichern sie unsere Kenntnis der schwedischen Rechtsgeschichte.
Köln am Rhein Dieter Strauch
[1] Pär Frohnert, Kronans skatter och bondens bröd. Den lokala förvaltningen och bönderna i Sverige 1719 – 1775, Stockholm 1993, besprochen von Dieter Strauch in dieser Zeitschrift Band 112 (1995), S. 592 – 595.
[2] Marie Lennersand, Rättvisans och allmogens beskyddare. Den absoluta staten, kommissionerna och deras funktioner och tjänstemännen, ca 1680 – 1730, Uppsala 1999.
[3] Vgl. Magnus Erikssons Stadslag aus der Mitte des 14. Jhs, Kgb, c. 1f; 4; 7 und den Kommentar bei Åke Holmäck/Elias Wessén, Magnus Erikssons Stadslag in nusvensk tolkning, Stockholm 1966, S. 18.