Neschwara, Christian, Österreichs Notariatsrecht in Mittel- und Osteuropa.

* Zur Geltung und Ausstrahlung des österreichischen Notariats. Manz, Wien 2000. XVI, 102 S. Besprochen von Klaus Woschnak. ZRG GA 119 (2002)

WoschnakNeschwara20010409 Nr. 10192 ZRG 119 (2002) 57

 

 

Neschwara, Christian, Österreichs Notariatsrecht in Mittel- und Osteuropa. Zur Geltung und Ausstrahlung des österreichischen Notariats. Manz, Wien 2000. XVI, 102 S.

 

Der Autor legt eine knappe, kompakt geschriebene Zusammenfassung der Geschichte des österreichischen Notariats für den Zeitraum von 1850 bis 1950 vor. Obwohl von ihm im Vorwort (S. VI) als erstes Zwischenergebnis seiner Forschungen zu diesem Thema bezeichnet, gibt die Arbeit einen eindrucksvollen Einblick in die Entwicklung des Notariats nicht nur im Gebiet des heutigen Österreich. Die Darstellung bezieht - ihrem Titel entsprechend - die ehemals mit der österreichischen Notariatsverfassung in Berührung gestandenen Gebiete von Lombardo-Venetien bis zur Bukowina, von Krakau bis Dalmatien in die Betrachtung ein.

Im ersten Abschnitt widmet sich Neschwara nach einem kurzen Überblick über die Entwicklung des Notariats in Mitteleuropa vor 1848 dem Entstehen der modernen Notariatsverfassung in Österreich, die vom Vorbild der napoleonischen Rechtsreform geprägt wurde und ihren Anlaß in der Aufhebung der Grundherrschaft durch den Erlaß einer konstitutionellen Verfassung 1848/49 fand. Die Darstellung bis zur heute noch in ihren Grundzügen in Österreich geltenden Notariatsordnung 1871 und darüber hinaus bis 1918 vermittelt unter Mitbetrachtung der rechtspolitischen und verfassungsrechtlichen Entwicklung in den Gebieten der Monarchie eindringlich das Ringen um die Neuorganisation und Einbindung des Notariatsinstituts in die außerstreitige Rechtspflege.

Der Autor befaßt sich mit der Einführung des Notariats durch die Notariatsordnung 1850 und deren Revision seit 1852, mit den Notariats-Enqueten in den cisleithanischen Ländern 1852/53 und 1855/56, mit der Notariatsordnung 1855 und spannt den Bogen bis zur zweiten Reform des Notariats durch die Notariatsordnung 1871. Neben den Entwicklungen in den Gebieten der heutigen österreichischen Bundesländer werden jene in Krain, Triest, Istrien und Görz, Böhmen, Mähren und Schlesien, Krakau, Galizien und der Bukowina und natürlich in Ungarn und seinen Nebenländern Kroatien-Slawonien, Woiwodschaft, Temeser Banat und Siebenbürgen untersucht.

Der Autor stellt die politische Diskussion über die Fragen der Abgrenzung notarieller Kompetenzen, Qualifikation und Ausbildung, über Probleme bei der Besetzung der Notarstellen, der Selbstergänzung des Berufsstands und der Standesselbstverwaltung dar. Das Verhältnis zur Advokatur wird ebenso beleuchtet wie die Frage der Durchlässigkeit zwischen den Justizberufen. Hervorzuheben ist die Analyse der Wirkungen der Notariatsgesetzgebungen 1850, 1855 und 1871 im Rechtsleben, so die Darstellung der Mängel und Verbesserungen der Reform 1871 (S. 47ff.). Dem Leser erhellt sich weiters, warum sich österreichisches Notariatsrecht in Lombardo-Venetien und auch in den ungarischen Ländern letztlich nicht oder nur teilweise durchsetzen konnte.

Im zweiten Abschnitt stellt Neschwara die Rezeption und Ausstrahlung des österreichischen Notariats in Mitteleuropa und im östlichen Europa dar, d. i . in Kroatien, Italien, Ungarn, Bosnien-Herzegowina, im Deutschen Reich, in der Tschechoslowakei, in Polen, Jugoslawien und Rumänien. Es handelt sich um den Zeitraum von 1918 bis zum Beginn der Herrschaft des Nationalsozialismus. Für den Standespolitiker spannend zu lesen sind die Berichte über Initiativen zur Vereinheitlichung des Notariatsrechts in Mitteleuropa. Dazu gehören die Bemühungen der Notare, über Notarenvereine und die Organisation von Notarenkongressen Einfluß auf die gesetzgeberischen Bemühungen zu gewinnen. Man wird dabei an die Bestrebungen der Notarvereine der Reformstaaten nach 1989, an Veranstaltungen wie das seit 1989 jährlich in Keszthely und Budapest stattfindende „Notarenkolloquium Mitteleuropa“ oder an die von einer Kommission dieses Kolloquiums beschlossene „Resolution von Keszthely 1991“ erinnert.

Im Besonderen ist es das Programm des Internationalen Notariatskongresses in Wien 1907, das sich durchaus mit rechtspolitischen Zielen im Europa des Jahres 2001 messen kann. So berichtet Neschwara, das Hauptziel der Tagung wäre es gewesen, „die Freizügigkeit der notariellen Urkunden in Verbindung mit dem standespolitischen Anliegen der Annäherung und Angleichung der Notariatsorganisationen der Staaten im mitteleuropäischen Raum auf Grundlage von bestimmten Standards anzubahnen, die dem Notariat auch im übrigen europäischen Raum als Maßstab dienen konnten. In Hinblick auf die Entwicklung des internationalen Handels- und Wirtschaftsverkehrs und der zunehmenden Entfaltung des staatsgrenzenüberschreitenden Rechts- und Geschäftsverkehrs sah man vor allem in der Notariatsurkunde das wirkungsvollste Instrument, um diese Mobilisierung zu fördern“ (S. 66). Es erscheine bemerkenswert, daß man seitens des Notariatskongresses als wichtigste Voraussetzung für die Mobilisierung der Notariatsurkunde nicht die organisationsmäßige Vereinheitlichung des Notariats als Einrichtung gesehen hätte, sondern die Konvergenz des notariellen Beurkundungswesens auf der Grundlage von bestimmten Standards (S. 67).

 

Neschwara kommt kurz darauf zu sprechen, daß 1939 die deutsche Reichsnotarordnung 1937 im „Land Österreich“ eingeführt worden und damit das Ende der Geltung österreichischen Notariatsrechts im Land Österreich gekommen wäre, und bringt ein Kuriosum in Erinnerung. Im deutschen Protektorat Böhmen und Mähren hätte über 1939 hinaus österreichisches Notariatsrecht gegolten (S. 84).

Einen kurzen dritten Abschnitt widmet der Autor in einem „Ausblick“ dem Notariat in Mitteleuropa und im östlichen Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. „Ausblick“ wohl deshalb genannt, weil Neschwara im Vorwort (S. VI) die Rolle des österreichischen Notariats in Europa seit 1945 der eingehenden Darstellung in einem eigenen Beitrag vorbehält. Erwähnt wird die Hilfe des österreichischen Notariats zur Wiederherstellung der Notariatsverfassungen der ehemals unter kommunistischen Regimes stehenden Länder, deren System des Staatsnotariats sowjetischer Prägung vom Autor kurz dargestellt wird.

Neschwara weckt mit der vorliegenden Arbeit große Erwartungen für den zweiten Band seiner „Geschichte des österreichischen Notariats“, an dem er zur Zeit arbeitet. Der 1996 erschienene erste Band dieses Werks (Manz, Wien) war dem Zeitraum vom Spätmittelalter bis zum Erlaß der Notariatsordnung 1850 gewidmet.

 

Wien                                                                                                              Klaus Woschnak