Officium advocati

*, hg. v. Mayali, Laurent/Padoa Schioppa, Antonio/Simon, Dieter (= Rechtsprechung Materialien und Studien 15). Klostermann, Frankfurt am Main 2000. X, 419 S. Besprochen von Ulrike Seif. ZRG GA 119 (2002)

SeifOfficiumadvocati20010918 Nr. 10276 ZRG 119 (2002) 57

 

 

Officium advocati, hg. v. Mayali, Laurent/Padoa Schioppa, Antonio/Simon, Dieter (= Rechtsprechung, Materialien und Studien 15). Klostermann, Frankfurt am Main 2000. X, 419 S.

 

Mit dem Band „Officium advocati“ präsentieren die Herausgeber Laurent Mayali, Antonio Padoa Schioppa und Dieter Simon Forschungsergebnisse der rechtshistorischen Institute in Berkeley, Frankfurt am Main, Mailand und Montpellier zur Anwaltschaft.

Der Beitrag von Roger Berkowitz „Not Guilty – Millennial Speculations on Legal Defense, From Queen Fredegond to Bill Clinton“ (5-35) skizziert die Geschichte der Strafverteidigung für den angelsächsischen Rechtskreis in der Entwicklung von der bloßen Gegenrede zur inhaltlichen Verteidigung. Die Gleichschaltung der Anwaltskammern und der anwaltlichen Ehrengerichtsbarkeit im nationalsozialistischen Führerstaat veranschaulicht Barbara Dölemeyer anhand einer Fallstudie unter dem Titel „Anwaltliche Ehrengerichtsbarkeit in vorauseilendem Gehorsam“ (37–53). Das Schicksal des unliebsamen Frankfurter Anwalts und Strafverteidigers Carl Thormann zeigt die Pervertierung der anwaltschaftlichen Selbstorganisation durch Gleichschaltung, Führerprinzip und Gemeinschaftsideologie. Bernard Durand untersucht in seinen Ausführungen zu „Les Avocats-Défenseurs aux Colonies, Entre déontologie acceptée et discipline imposée“ (55-100) die Geschichte der Rechtsanwaltskammern in den französischen Kolonialgebieten. Die anwaltliche Ehrengerichtsbarkeit nach der Rechtsanwaltordnung für das Deutsche Reich 1878 ist Gegenstand der Fallstudie „Zur standesethischen Kontrolle der Strafverteidigung im Kaiserreich“ (101-134) Ulrich Falks. Die sorgsam ausgewerteten Quellen zeichnen das Bild eines Rechtsanwalts, der sich auch außerhalb seines Berufes der Achtung und des Vertrauens würdig zu erweisen hat, die seine Stellung als Organ der Rechtspflege erfordern. Die literarischen Skizzen von Rainer Maria Kiesow zu kafkaesken Anwaltsbildern „Der entpflichtete Advokat“ (135-154) räsoniert über die Pflichten des Rechtsanwalts bei der Interpretation der Gesetze und charakterisiert die ethische Indifferenz der Gerichtsreden als „Entpflichtung des Advokaten“ (154). Gian Paolo Massetto untersucht in seinem Beitrag „La testimonianza del difensore nella dottrina e nella giurisprudenza civilprocessualistiche del Regno d´Italia“ (155-227) die Zeugenaussage des Strafverteidigers in der zivilprozessualen Lehre und Praxis des Königreichs Italien. Im Spannungsfeld zwischen Inkompatibilität von Partei- und Zeugenstellung und freier Beweiswürdigung entschied die italienische Zivilprozeßlehre und Zivilprozeßpraxis (1861-1946) zugunsten der gerichtlichen Beweiswürdigung. Verteidiger konnten im Zivilprozeß gegen ihren Mandanten als Zeugen benannt werden und hatten nur in bestimmten Fällen ein Zeugnisverweigerungsrecht. Die Rolle des Anwalts im amerikanischen Verwaltungsprozeßrecht beleuchtet Bronwen Morgan in seiner Analyse „Disciplining the State: Strategies of Defence 1946 and 1995“ (229-249). Maria Gigliola di Renzo Villata bietet in ihrer Abhandlung „Il patrocinio infedele in Italia tra Otto e Novecento (la norma e l’interprete)“ (251-316) einen rechtshistorischen Abriß zum treuwidrig handelnden Rechtsbeistand im Italien des 19. und des 20. Jahrhunderts. Die Gesetzbücher des 19. Jahrhunderts normierten verschiedene Tatbestände treuwidrigen Verhaltens eines Rechtsbeistandes, ohne jedoch Sanktionen anzuordnen. Die Regelungen des Codice Zanardelli 1867 und des Codice Rocco 1889 dienten in erster Linie dem Funktionieren der Rechtspflege und nur in zweiter Linie den Interessen des Mandanten. Erst im 20. Jahrhundert wird die gerichtliche Kontrolle des anwaltlichen Ehrenkodex intensiviert. Mit den Reformen des Strafprozesses in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beschäftigt sich Claudia Storti Storchi unter dem Titel „Difensori e diritto di difesa nel processo penale italiano nel primo decennio dell’unificazione legislativa“ (317-392). Ihre Ausführungen konzentrieren sich auf das Gesetz Nr. 1938 von 1874 zum Standesrecht der Anwaltschaft. Die Standesordnung der Anwaltschaft in den politischen Prozessen von der Restauration der Bourbonen bis zum Julikönigtum ist Gegenstand des Schlußbeitrages „La déontologie de la défense dans les procès politiques de la Restauration à la monarchie de Juillet“ von Pascal Vielfaure (393-419). Anhand der politischen Prozesse 1826 und 1834 illustriert der Verfasser quellenreich die politische Instrumentalisierung der Standesordnung.

Der Band „Officium advocati“ ist ein wichtiger Beitrag zum neuzeitlichen Rechtskulturvergleich und setzt die Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte zum Themenbereich des Beweisverfahrens (1994), zum Richterbild (1996) und zum Justizirrtum (1998) fort. Die einzelnen Beiträge erscheinen in sich abgeschlossen und entbehren vergleichender Hinweise, die sich der Leser um so mehr von den Herausgebern gewünscht hätte. Möglicherweise könnten kurze mehrsprachige Zusammenfassungen den Interessentenkreis noch erweitern, den dieses Buch zu Recht verdient.

 

Passau                                                                                                                       Ulrike Seif