Die Protokolle des preußischen Staatsministeriums 1817-1934/38

*Die Protokolle des preußischen Staatsministeriums 1817-1934/38. Band 7 8. Januar 1879 bis 19. März 1980, bearbeitet von Spenkuch, Hartwin (= Acta Borussica neue Folge Erste Reihe, hg. v. d. berlin-brandenburgischen Akademie der Wissenschaften). Olms-Weidmann, Hildesheim - Zürich - New York 1999. Band 10 14. Juli 1909 bis 11. November 1918, bearbeitet von Zilch, Reinhold. (= Acta Borussica neue Folge Erste Reihe, hg. v. d. berlin-brandenburgischen Akademie der Wissenschaften). Olms-Weidmann,

SchubertDieprotokolle20000410 Nr. 10057 ZRG 118 (2001)

 

 

Die Protokolle des Preußischen Staatsministeriums 1817-1934/38. Band 7 8. Januar 1879 bis 19. März 1980, bearbeitet von Spenkuch, Hartwin (= Acta Borussica N. F. Erste Reihe, hg. v. d. Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften). Olms-Weidmann, Hildesheim – Zürich – New York 1999. X, 533 S. Band 10 14. Juli 1909 bis 11. November 1918, bearbeitet von Zilch, Reinhold. (= Acta Borussica N. F. Erste Reihe, hg. v. d. Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften). Olms-Weidmann, Hildesheim – Zürich – New York 1999. X, 495 S.

Mit den beiden ersten von zwölf geplanten Regestenbänden zu den Protokollen des Preußischen Staatsministeriums von 1817 an werden die archivalisch überlieferten Beratungs- und Ergebnisprotokolle des Staatsministeriums erstmals wissenschaftlich erschlossen. Zur gleichen Zeit ist eine Microfiche-Edition mit 1.150 Microfiches (ca. 110.000 Seiten) mit dem Volltext der Protokolle des Staatsministeriums erschienen. Hinzukommen auch noch weitere 41 Microfiches mit den Protokollen des Kronrats/Conceil aus der Zeit von 2. 4. 1849-5. 11. 1917. Während an den Sitzungen des Staatsministeriums die preußischen Minister teilnahmen, war der Kronrat eine Staatsministerialsitzung unter Leitung des Monarchen. Die Protokolle bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts erscheinen in der Mikrofiche-Ausgabe in der ursprünglichen, nicht immer leicht lesbaren Handschrift der Protokollführer, während zumindest für die Zeit ab Band 10 die Originale maschinenschriftlich abgefaßt sind. Die Begleit- bzw. Regestenbände enthalten chronologisch geordnet die Verhandlungsgegenstände, gegebenenfalls mit kurzen Inhaltsangaben der Protokolle (geordnet nach Tagesordnungspunkten). Zu Beginn der Regesten sind der Sitzungstermin, der Teilnehmerkreis und die Überlieferungsform der Quellen verzeichnet. Zu den im Regestentext erwähnten wichtigeren Beratungsgegenständen wird in Anmerkungen auf einschlägige Archivalien im Geheimen Staatsarchiv Berlin-Dahlem und im Bundesarchiv sowie auf Sekundärliteratur hingewiesen. Dadurch wird eine Verbindung der Protokolle mit den Sachakten des Staatsministeriums und darüber hinaus mit denen der jeweiligen Fachministerien erreicht. Ein detailliertes Sachregister (in Band 7 mit 60, in Band 10 mit 110 Seiten) erschließt die Beratungsgegenstände, auch soweit sie nicht im Regestenteil (wohl aber in den Originalprotokollen) erwähnt sind. Hinzukommen noch ausführliche Personenregister (in Band 7 auf 130, in Band 10 auf 100 Seiten) mit den Lebensdaten und dem beruflichen Werdegang (ohne Literaturnachweise) sowie ein Ortsregister. Die nach demselben Schema aufgebauten Bände schließen ab mit einem Verzeichnis der jeweiligen Mitglieder des Staatsministeriums, der zitierten Archivalien im Geheimen Staatsarchiv und der einschlägigen Bände im Bundesarchiv, Bestand Reichskanzlei (R 43 alt) und des Reichsamts des Innern (nicht des Reichsjustizamts und anderer Reichsbehörden) sowie einem Verzeichnis der mehrfach zitierten Literatur. Das Vorwort von Kocka und Neugebauer zur Gesamtedition ist in beiden Bänden abgedruckt; dasselbe gilt für die Hinweise zur „Form der Edition“ mit den Benutzerhinweisen, deren Lektüre zur Erschließung der vielfältigen Facetten der Edition unbedingt notwendig erscheint. Jeder Band weist dann noch eine spezielle rund 30 Seiten umfassende Einleitung der Regestenbearbeiter auf mit detaillierten Hinweisen auf die Eigenarten und Spezifika sowie zur Entstehung und Überlieferung der Protokolle (mit ergänzenden Benutzerhinweisen). Dies letztere erscheint auch einsichtig, da die Protokolle für die von den Einzelbänden abgedeckten Zeiträume nicht immer einheitlich gehandhabt worden sind, wenn auch Doppelausführungen sich nicht ganz vermeiden ließen.

Das preußische Staatsministerium erhielt 1817 als Gesamtministerium die formalisierte Struktur, wodurch es zu einem kollegialorganisierten Zentralgremium auszubilden war, was erst für die Zeit ab 1822 nach dem Abschied von Hardenberg voll gelang. Den Vorsitz führte seit 1848 der Ministerpräsident als primus inter pares, der also insoweit kein entscheidendes Stimmrecht besaß. Nicht angetastet wurde die den Ministern seit der Reformzeit weitgehend eingeräumte Verfügungsgewalt über ihr Ressort, doch kam es in der Praxis vor allem auch auf die Persönlichkeit des Ministerpräsidenten an. Mit der Gründung des deutschen Kaiserreichs begann eine fast ununterbrochene, bis 1918 andauernde Personalunion von Reichskanzler und preußischem Ministerpräsidenten. Während das preußische Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten im Auswärtigen Amt des Reichs aufging, fungierte das preußische Kriegsministerium seit 1871 praktisch als Reichsministerium, das 1919 in das neu gegründete Reichwehrministerium überging. Mitglieder des Staatsministeriums waren die Staatssekretäre des Reichs nicht automatisch, sondern nur aufgrund ausdrücklicher Ernennung zum preußischen Minister ohne Ressort (hierzu gehörten die Staatssekretäre des Auswärtigen Amtes, des Reichsamts des Innern und seit dem Ersten Weltkrieg auch die Staatssekretäre des Reichsschatzamts). Es kennzeichnet die nicht sehr hoch eingeschätzte Bedeutung des Reichsjustizamts, daß dessen Staatssekretär zumindest für die Zeit der Bände 7 und 10 dem Staatsministerium nicht angehörten. Sofern es sich um Gesetzgebungsvorhaben handelte, war der Geschäftsgang folgender: Im federführenden Ministerium/Reichsamt wurde ein Entwurf, der auch zwischen mehreren Fachministern abgesprochen sein konnte, formuliert und mit einem Votum dem Staatsministerium zugeleitet. Stimmten die Minister auf schriftlichem Weg zu, kam der Gesetzentwurf nicht in die mündliche Beratung. Nach Zilch soll davon ausgegangen werden können, daß nahezu „alle bedeutsamen legislativen Vorhaben“, wenn auch „in durchaus unterschiedlichen Stufen ihrer Genese“ in der Zeit bis zum Weltkrieg im Staatsministerium zur Sprache gebracht wurden (Bd. 10, S. 24). Dies ist im wesentlichen auch zutreffend, wenn auch durchaus nicht unwichtige privatrechtliche und prozeßrechtliche Gesetze nur im Zusammenhang mit den parlamentarischen Verhandlungen pauschal angesprochen wurden (etwa das preußische Zwangsversteigerungsgesetz und die Aktiengesetznovelle von 1884 für den Zeitraum des Bandes 7). In diesen Fällen fehlt auch dann der Verweis auf die speziellen Sachakten.

Für den Zeitraum des Bandes 8 (8. 1. 1879-19. 3. 1890) spielten in den Verhandlungen folgende Themen eine größere Rolle: Bildungswesen (vor allem Volksschulpolitik), antipolnische Politik, Personal- und Beamtenrecht, Abbau des Kulturkampfes, Selbstverwaltungsfragen in Provinzen, Kreisen, Städten, Landgemeinden, Verhältnis zu den Parlamenten und Struktur- und Finanzpolitik. Kaum zur Sprache kamen die Bereiche Außen- und Militärpolitik, die als Prärogativen des Kanzlers, Auswärtigen Amtes, des Monarchen und Militärkabinetts galten. Wenig behandelt wurden die Haltung zur Sozialdemokratie, speziell das Sozialistengesetz sowie die Sozialpolitik (hierzu die Literaturnachweise in Bd. 7, S. 3). Für die Privat- und Strafrechtsgeschichte von Interesse sind die provinzialen Höfeordnungen, der gescheiterte Gesetzentwurf über die Pflichten der Handelsmakler von 1886, strafrechtliche Einzelfragen und die Wuchergesetzgebung. Das Bürgerliche Gesetzbuch, dessen erster Entwurf 1888 veröffentlicht worden war, kam am 28. 3. 1889 in der Weise zur Sprache, daß die verbliebenen neun Mitglieder der ersten Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches „trotz Zweifeln Bismarcks“ „dekoriert“ werden sollten (Bd. 7, S. 255). – Schwerpunkte der Beratungen zwischen Juli 1909 und dem 11. 11. 1918 waren die Reform des Dreiklassenwahlrechts, die Weiterentwicklung des Steuersystems (Erbschafts- und Besitzsteuer), die Ansiedlungspolitik in den östlichen Provinzen und die Politik gegenüber der polnischen Minderheit, der Ausbau der Kriegsernährungswirtschaft sowie die Beamten- und Personalpolitik (besonders Besoldungsfragen). Viele Verhandlungsgegenstände betrafen das prekäre Verhältnis zwischen Preußen und dem Reich. Die Militär-, Kriegs- und Außenpolitik fand in den Protokollen kaum Niederschlag. Allerdings wurde über die Zukunft Polens „mehrfach und grundsätzlich konferiert“, was sich vor allem aus dem engen Zusammenhang der Kriegszielvorstellungen, mit der die preußisch-deutsche Innenpolitik stark beeinflussenden Polenpolitik ergeben haben dürfte (Bd. 10, S. 7). Speziell für die Rechtsgeschichte sind von Bedeutung die Hinweise auf folgende Materien: Haftpflichtfragen der Eisenbahn (S. 110), Verbesserung der Rechtsstellung der nichtehelichen Kinder (Abschaffung der Mehrverkehrseinrede des § 1717 BGB; Bd. 10, S. 220), der Übergang aller Gefängnisse an die preußische Justiz (1917; S. 206), die Einschränkung des staatsanwaltschaftlichen Legalitätsprinzips im Krieg (S. 240), der Plan, einen Reichskolonialgerichtshof zu schaffen (S. 108) und die Entlastung des Reichsgerichts (S. 47 mit Hinweis auf die Sachakten im Geheimen Staatsarchiv; im Sachregister unter Reichsgericht nicht erwähnt).

Mit dem Editionsvorhaben wird eine „Stammquelle“ (Bd. 10, S. V) zur preußisch-deutschen Geschichte erschlossen. Das Vorhaben konnte erst in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Angriff genommen werden – die einschlägigen Aktenbestände wurden im Merseburger Zentralen Staatsarchiv verwahrt –, nachdem eine bis zu den „Fahnenausdrucken“ gediehene Edition von drei Bänden der Staatsministerialprotokolle von 1871-1895 in der Zeit von 1956/57 gescheitert war. in diesem Zusammenhang dürfte auch das bisher unveröffentlicht gebliebene Manuskript von Werner Frauendienst: Das preußische Staatsministerium 1808-1918 (jetzt im Bundesarchiv Koblenz im Nachlaß von W. Frauendienst verwahrt) entstanden sein. Hierzu fehlen leider in der Edition nähere Hinweise. Nach wechselnder Trägerschaft (insbesondere der Historischen Kommission) wurde das Projekt dann 1994 von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften übernommen, die mit diesem Werk an die Tradition der Preußischen Akademie der Wissenschaften, insbesondere an die von Gustav Schmoller begründeten Acta Borussica anknüpfte. In den beiden ersten Regestenbänden haben die Bearbeiter Spenkuch und Zilch ein Optimum dessen erreicht, was im vorgegebenen Rahmen möglich war. Der Verzicht auf die volle Wiedergabe der Protokolle läßt sich damit rechtfertigen, daß nach Abschluß der chronologisch gegliederten Stammedition sachthematische Bände zu exemplarischen Themen erscheinen sollen. Vorerst sind Bände zu den Themen: „Das Preußische Staatsministerium: die moderne Bürokratie, die Verwaltungspraxis im 19. und 20. Jahrhundert; Zensurpolitik und Öffentlichkeit in Preußen seit 1819 sowie Selbstverwaltung im 19./20. Jahrhundert geplant. In diesem Zusammenhang ist für die Zeit bis 1848 auch auf die umfangreichen Protokolle der Verhandlungen des Staatsrats über wichtige Gesetzesvorhaben und auf die sog. Staatsratsdrucksachen hinzuweisen. Insgesamt sollte für die Regestenbände überlegt werden, ob sich die sehr umfangreichen Register nicht zugunsten eines etwas breiteren Regestenteils straffen lassen. Die bereits vorliegenden beiden Bände verdeutlichen, daß im Zusammenhang mit den weiterführenden Hinweisen der Herausgeber mit der Edition die wichtigsten Projekte für das Verfassungs-, Verwaltungs-, Steuer-, Abgaben-, Zivil- und Strafrecht sowie für Justizverfassung insbesondere des 19. Jahrhunderts erschließt. Schwerpunktmäßig werden diese Rechtsgebiete allerdings erst in den Bänden 1-6 und 8 (1817-1878, 1890-1900) zur Sprache kommen. Schon jetzt läßt sich feststellen, daß mit den außerordentlich sorgfältig und penibel erarbeiteten zwei Begleitbänden[1] ein Quellenwerk vorliegt, das auch für den Rechtshistoriker unersetzlich sein dürfte.

Kiel                                                                                                               Werner Schubert

[1]    Leider läßt sich dies für die Microficheedition nicht in gleichem Maße sagen. Bei dem weiten Benutzerkreis, den die Edition finden soll, wäre eine Leseabschrift des nicht exorbitant großen Umfangs der Protokolle (bis Bd. 9) zumindest nützlich gewesen. Auf jeden Fall ist die unstrukturierte Wiedergabe der Protokolle, für die die Bearbeiter nicht verantwortlich sind, für den Benutzer sehr verwirrend. Es sei daran erinnert, daß die wesentlich umfangreicheren Protokolle des österreichischen Ministerrats für die Zeit ab 1848 (V. Abteilung) in Buchform herauskommen (vgl. u.a. ZRG Germ.Abt. 114 (1997), 605ff.).