Quellen zur Entstehungsgeschichte des Flurbereinigungsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland von 1953,

* hg. v. Weiß, Erich (= Forschungen der europäischen Fakultät für Bodenordnung Straßburg 22). Lang, Frankfurt am Main 2000. XVI, 648 S. Besprochen von Teruaki Tayama. ZRG GA 119 (2002)

TayamaQuellen20010905 Nr. 10161 ZRG 119 (2002) 83

 

 

Quellen zur Entstehungsgeschichte des Flurbereinigungsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland von 1953, hg. v. Weiß, Erich (= Forschungen der Europäischen Fakultät für Bodenordnung Straßburg 22). Lang, Frankfurt am Main 2000. XVI, 648 S.

 

Quellen zur Entstehungsgeschichte des Flurbereinigungsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland sind ein für mich sehr interessantes Thema, weil ich selbst 1988 eine Untersuchung mit dem Titel „Studium des deutschen Flurbereinigungsgesetzes unter dem Gesichtspunkt der Entstehungsgeschichte“ verfasst und in Tokio veröffentlicht habe. Damals hatte ich besondere Schwierigkeiten mit den Gesetzgebungsmaterialien der neuesten Zeit, das heißt der nationalsozialistischen Zeit und der anschließenden Nachkriegszeit (Besatzungszeit). Die von Weiß herausgegebenen Quellen füllen die bisherige Lücke der Materialien in der Nachkriegszeit (Besatzungszeit) sehr gut aus.

Die Flurbereinigung stammt eigentlich aus der vertraglichen Einigung der Beteiligten unter bestimmten staatlichen Eingriffen. Die Geschichte der Flurbereinigung zeigt den Verstärkungsprozeß der staatlichen Eingriffe seit dem 16. Jahrhundert. In diesem Sinne ist die Flurbereinigung der Enteignung des Grundstücks ähnlich, wobei freilich große und wichtige Unterschiede bleiben. In den hoch industrialisierten Staaten sind die Flächen für die Infrastruktur immer knapp, wenn das Staatsgebiet im Verhältnis zur Bevölkerungszahl nicht groß genug ist, wie z. B. in vielen europäischen Ländern oder in Japan. Dabei hat im Laufe der Geschichte das Bedürfnis nach Flächen für die Sozial- und Wirtschaftsinfrastruktur immer mehr zugenommen, während umgekehrt das Bodeneigentumsrecht als Menschenrecht in der Verfassung garantiert worden ist. In dieser Situation hat sich das Flurbereinigungssystem als Alternative oder Parallele zur Enteignung entwickelt. In der Gegenwart funktioniert die Flurbereinigung neben der Enteignung des Grundstückes sehr gut. Deswegen ist es sehr wichtig, daß der rechtliche Charakter der Flurbereinigung bei der Auslegung des Gesetzes genau verstanden wird.

Das deutsche Flurbereinigungsgesetz von 1953 ist das zusammenfassende Ergebnis einer vierhundertjährigen Gesetzgebungsentwicklung Deutschland. Es ist ein noch aufzuklärender Punkt, was man über den Charakter des Flurbereinigungsgesetzes in dessen Gesetzgebungsprozeß im Parlament  usw. diskutiert hatte und zu welchem Schluß man gekommen war. Mit der Edition von Weiß liegen 4 Entwürfe des Gesetzes und das Gesetz über Flurbereinigung selbst sowie die sehr interessanten Protokolle, Schreiben, Gutachten, Vermerke, Änderungsvorschläge, Beschlüsse, Anträge usw. leicht zugänglich vor. Man kann z. B. nun an Hand eines Protokolls von 1948 feststellen, wie man über den Unterschied zwischen Enteignung und Flurbereinigung dachte (S. 1). Einem Zeitungsartikel von 1951 ist das Verlangen zu entnehmen, ein für die deutsche Landwirtschaft so wichtiges Gesetz solle möglichst bald zustande kommen (S. 214). Bayern hatte schon 1946 das eigene ehemalige Flurbereinigungsgesetz wieder eingeführt und 1952 den Antrag im Bundesrat gestellt, den Entwurf zu einem  Flurbereinigungsgesetz als Bundesgesetz abzulehnen. Bayern wollte auf Grund der damaligen Verhandlungen des parlamentarischen Rates einen besonderen bayerischen Weg gehen.

Mit Hilfe der Edition läßt sich nun auch leicht erkennen, daß Ausgleiche bzw. Kompromisse zwischen den betreffenden Ministerien gemacht wurden. Z. B. übersandte Steuer 1951 ein Schreiben an MinRat. Spreckelsen (der Justiz) und dieser antwortete noch im gleichen Monat. Steuer ist der Verfasser eines Kommentars zum Flurbereinigungsgesetz von 1953 und Spreckelsen Verfasser eines Kommentars zum Grundstückverkehrsgesetz von 1961.

Viele der Materialien der Gesetzgebungsgeschichte könnten leicht zerstreut werden und verloren gehen. Mit den großen Bemühungen des Herausgebers und seiner Mitarbeiterinnen sind viele wichtige historischen Dokumente zunächst gesammelt, richtig erhalten und zur freien Verfügung gestellt worden. Ich hatte auch unter einem ähnlichen Thema im japanischen Recht geforscht. In diesem Bereich haben Deutschland und Japan eine starke Verbindung seit über 100 Jahren, weil Japan in der Meiji-Ära (1866-1912) die Flurbereinigungrechte der deutschen Ländern (Preußen, Baden, Bayern, Württemberg usw.) übernommen hatte. Ich habe die Gesetzgebungsmaterialien darüber in der japanischen Parlamentsbibliothek usw. ziemlich vollständig aufgefunden, die Materialien der Nachkriegszeit (Besatzungszeit) leider nicht. In dieser Zeit hat das amerikanische Flurbereinigungsrecht das japanische Recht erheblich beeinflußt (Novellierung). Deshalb ist ein Gesetzesentwurf in Englisch abgefaßt. Die hohen japanischen Beamten, die an der Gesetzgebung des Flurbereinigungsgesetzes teilgenommen hatten, haben zwar Denkschriften darüber geschrieben und veröffentlicht. Trotzdem sind nur wenig Grundmaterialien darüber in Japan erhalten, so daß eine große Forschungslücke für diese Zeit besteht. Wie der Herausgeber der deutschen Quellen selbst schreibt (Vorwort), erscheint jedoch zum allgemeinen Verständnis und für eine zutreffende Würdigung des Flurbereinigungsgesetzes unter den wesentlich veränderten agrarstrukturellen und gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen unserer Zeit die Kenntnis der Entstehungsgeschichte dieses Gesetzes kaum verzichtbar. Zeigen die Materialien zur Entstehung des Gesetzes doch heute noch vielfältige Lösungswege zur aktuellen Problem- bzw. Konfliktbewältigung auf.

Das deutsche Flurbereinigungsrecht von 1953 wurde 1976 novelliert und auch 1994 verändert. Damit wurden die Aufgaben des Flurbereinigungsrechtes erweitert. Das Flurbereinigungsrecht ist auch für die städtischen Gebiete viel wichtiger geworden. Aber der Grundcharakter des Flurbereinigungsrechtes von 1953 hat sich damit nicht wesentlich verändert. Im Rahmen des Grundgesetzes wurde nur der Aufgabenkreis des Gesetzes erweitert und vertieft. Der ländliche Raum ist jetzt nicht mehr nur der Raum für Landwirtschaftsproduktion, sondern auch der Raum für andere vielfältige Zwecke, z. B. Erholung, ökologischen Ausgleich usw. Wenn solche Aufgaben Flächen benötigen, so sollen sie immer nach dem Grundgesetz und dem zutreffenden Gesetz, gegebenenfalls gegen Entschädigung, gewonnen werden. Bei der Auslegung des Gesetzes in den traditionellen Gebieten, einschließlich der Flurbereinigung, sollte die geschichtliche Forschung über das zutreffende Gesetz immer vorhergehen. Der Rahmen der Gesetzesauslegung stammt teilweise aus den Gesetzgebungssituationen. Das ist sehr wichtig nicht nur für das richtige Verständnis der Rechtsinstrumente, z. B. Landabfindung bei der Flurbereinigung, sondern auch für die Rechtfertigung des Einsatzes der öffentlichen Mittel in die Landwirtschaft. Das Flurbereinigungsrecht kann auch dem Umweltschutz dienen. In diesem Gesetz steht ein Kernbegriff „allgemeine Landeskultur“ und „Landentwicklung“, die der Auslegung dieses Gesetzes einen Rahmen geben sollen. Das richtige Verständnis dieser Begriffe ist ohne Berücksichtigung der Geschichte fast unmöglich (vgl. Tayama, Die Entwicklungsgeschichte der Landeskultur als Aufgabe der Flurbereinigung in der Gesetzgebung und Rechtsprechung, in: Wege europäischer Rechtsgeschichte, 1987, S. 524).

Der Herausgeber der Quellen ist zwar kein Jurist, aber er hat sich bis heute immer mit vielen juristischen Sachfragen beschäftigt, insbesondere in dem Flurbereinigungsrecht, während Juristen fast keine Forschungen über die moderne Geschichte in diesem Gebiet durchführen (vgl. Weiß, Ländliche Bodenordnung und Demokratieverständnis, VR Vermessungswesen und Raumordnung, 51 [1989], Weiß, Quellen zur Geschichte der Bauernbefreiung in Westfalen und Lippe, Nachrichten aus dem öffentlichen Vermessungsdienst Nordrhein Westfalen, 20 [1987], S.32 u. a.). Auch in diesem Sinne ist die Edition für Agrarjuristen außerordentlich bedeutsam.

 

Tokio (Waseda)                                                                                             Teruaki Tayama