Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes.

* Abteilung 1 1813-1830. Band 1 Die Entstehung des Deutschen Bundes 1813-1815, Halbband 1, Halbband 2, bearb. v. Treichel, Eckhardt. Oldenbourg, München 2000. CLXXVI, 1-886, IV, 887-1671 S. Besprochen von Werner Schubert. ZRG GA 119 (2002)

SchubertQuellen20001124 Nr. 10221 ZRG 119 (2002) 53

 

 

Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes. Abteilung 1 1813-1830. Band 1 Die Entstehung des Deutschen Bundes 1813-1815, Halbband 1, Halbband 2, bearb. v. Treichel, Eckhardt. Oldenbourg, München 2000. CLXXVI, 1-886, IV, 887-1671 S.

 

Wie Treichel in seiner umfangreichen Einleitung aufzeigt, ist das lange Zeit fast einhellig negative historische Urteil über den Deutschen Bund inzwischen einer Revision unterzogen worden. Statt den Bund an der nationalen Elle zu messen und ihn primär als Instrument der Repression und als Vollstrecker der Restauration zu beurteilen, erscheint es angemessener, ihn als „nationales Band und Modell für eine Zwischenlösung der deutschen Frage und somit als eine wichtige Zwischenstufe auf dem Wege zu dem für Europa annehmbaren deutschen Bundesstaat des förderativen Typs“ zu sehen (S. XIX, zitiert nach Gruner, Der Deutsche Bund – Modell für eine Zwischenlösung, 1982). Nach 1945 wurde die europäische Friedensfunktion des Bundes herausgestellt, dessen defensiver Grundcharakter vor den Übersteigerungen machtstaatlicher Außenpolitik bewahrt und Mitteleuropa damit eine der längsten Friedensperspektiven seiner Geschichte gewährt habe. Weithin akzeptiert ist inzwischen die Formel vom „Staatenbund mit bundesstaatlichen Elementen“ (S. XV). Nach den Absichten der Akteure von 1815, die sich nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, gemessen an den ursprünglichen Vorstellungen fast aller Beteiligter, verständigen konnten, sollte die Bundesakte den Ausgangspunkt der künftigen Bundesverfassung und der institutionellen Fortbildung des Bundes bilden. Hieraus wurden in letzter Zeit „Elemente und Tendenzen, die auf eine bundesstaatliche Konzentration drängten, also eine Art von innerer Entwicklungslogik abgeleitet“ (S. XV nach Siemann). Die Entstehungsphase des Deutschen Bundes läßt noch die ganze Breite des zeitgenössischen verfassungs- und nationalpolitischen Diskurses erkennen, bei dem das Modell des nationalen Einheitsstaates noch keine entscheidende Rolle spielte.

Schon allein diese von der neueren Forschung aufgestellten Perspektiven lassen eine Edition der Quellen zur Entstehung des Deutschen Bundes von 1813-1815 als notwendig erscheinen, obwohl Zweidrittel der edierten Dokumente aus den bisherigen Editionen und Publikationen bekannt sind. Einmal enthalten die „Akten des Wiener Congresses“ von J. L. Klüber (Erlangen 1815-1835, 9 Bände) in vielerlei Hinsicht keinen zuverlässigen Text, zum anderen waren die Quellen sehr verstreut publiziert, so daß ein Gesamtüberblick nur schwer herstellbar erschien. Hinzu kommt noch, daß ein nicht unwichtiger Teil der Quellen unpubliziert blieb. In der vorliegenden Edition werden alle diese Quellen nach den Originalen in fast dreißig Archiven erneut oder erstmals publiziert. Das Editionsvorhaben soll die Geschichte des Deutschen Bundes in drei Abteilungen erschließen (1813-1830; 1830-1848; 1850-1866). Bereits erschienen sind von der Abteilung III der Bd. 1: Die Dresdener Konferenz und die Wiederherstellung des Deutschen Bundes 1850/51 (bearb. von Jürgen Müller), 1996, und Bd. 2: Der Deutsche Bund zwischen Reaktion und Reform 1851-1858 (bearb. von J. Müller), 1998. Für diese und die Folgezeit ist ein Themenband zur Entstehung des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs und zu den übrigen Initiativen zur wirtschaftlichen und rechtlichen Integration des Deutschen Bundes vorgesehen (Abt. III, Bd. 2, S. 505). Für die Abteilung I sind die Bände 2: „Die institutionelle Ausgestaltung des Deutschen Bundes (1815-1819)“ und: „Die restaurative Wende in der Bundespolitik 1819/20“ in unmittelbarer Vorbereitung. Die Editoren haben sich auf Herausgabegrundsätze geeinigt, die auch den beiden Teilbänden für die Zeit von 1813-1815 zugrunde liegen (S. CXLIIIff.).

Der Edition sind vorangestellt ein systematisches Verzeichnis und eine chronologische Übersicht der Dokumente (S. CLIff.). Die Quellen selbst werden systematisch-chronologisch in sechs Teilen präsentiert. Im ersten Teil geht es um die deutsche Verfassungsfrage bis zum Sommer 1814. Es folgen die Abschnitte über Genese und Diskussion der preußischen Verfassungsvorschläge vom Sommer bis Herbst 1814, die deutsche Verfassungsfrage in der ersten sowie in der zweiten Phase des Wiener Kongresses und endlich die zweiten deutschen Konferenzen und die Entstehung der deutschen Bundesakte. Den Kern der Quellen bilden die von unterschiedlicher Seite vorgelegten Entwürfe und Gutachten zur künftigen deutschen Verfassung, die Protokolle der Deutschen Komitees und Konferenzen, die Instruktionen zum Wiener Kongreß, Gesandtschaftsberichte, Aufzeichnungen und Briefe der handelnden Politiker, völkerrechtliche Verträge sowie offizielle Noten der beteiligten Regierungen. Um einer „teleologischen Betrachtungsweise“ (S. CXXXIX) vorzubeugen, wurde ein breites Spektrum von Ideen und Vorschlägen präsentiert, das über die „Positionen und Verhandlungen hinausweist, die mehr oder weniger direkt zur Entstehung der Deutschen Bundesakte vom 8. Juni 1815 geführt haben (S. CXXXIX). Im Hinblick auf Zahl und Umfang der Dokumente sind die Großmächte Österreich und Preußen, die Mittelstaaten (Hannover, Bayern und Württemberg) und die heterogene Gruppe der minderabhängigen Staaten annähernd gleichmäßig vertreten. Auch die Stellung der Standesherren (der Mediatisierten) und Reichsritter ist einbezogen, zumal die Mediatisiertenfrage wichtige Aspekte sowohl der Bundesverfassung als auch der Herrschafts- und Gesellschaftsstruktur der Einzelstaaten berührte. Die Quellen werden erschlossen durch ein Personenregister, ein Länder- und Ortsregister und vor allem durch ein sehr detailliertes, gleichwohl hinreichend übersichtliches Sachregister. Nützlich sind in diesem Zusammenhang auch die den Quellentexten vorangestellten Kurzregesten. Im Personenregister sind die Lebensdaten und die Funktionen der Autoren und sonstigen Beteiligten nachgewiesen. Anhand der im Literaturverzeichnis zusammengestellten biographischen Nachschlagewerke und Lexika läßt sich die Biographie der Akteure in der Regel erschließen. Darüber hinaus führt der detaillierte Überblick über die Entstehung des Deutschen Bundes den Leser in die einzelnen Sachprobleme ein.

Außer den verfassungsrechtlichen Problemen sind für den Rechtshistoriker folgende Fragen von Bedeutung: Schaffung einer einheitlichen Bundeskodifikation, Instanzenzug der Gerichte, Einrichtung eines Bundesgerichts sowie verfassungsrechtlich für das Privatrecht relevante Garantien. Nach Hardenbergs „41 Artikeln“ (erste Fassung vom Juli 1814) sollte sich die Bundesversammlung bemühen, „nützliche Einrichtungen und Anordnungen zum Wohl des Ganzen herzustellen, als z. B. ein allgemeines Gesetzbuch ...“ (S. 189). Der österreichische Entwurf vom Oktober 1814 zu einer deutschen Reichsbundesurkunde von Spiegel sah gleichfalls ein „allgemeines Gesetzbuch“ vor (S. 320). Die Instruktion des Bremer Senats für dessen Bevollmächtigten Smith vom August 1814 empfahl folgendes: „Die Verfassung eines allgemeinen deutschen Nationalgesetzbuchs sowie für das jus publicum germanicum als für Civil- und Criminalrecht - welche letztere an die Stelle des römischen Rechts als Grund und Subsidial Recht, und der gänzlich unpassend gewordenen Carolina treten konnte. Doch dürfte dabey den Provinzial und Statutar Rechten eines jeden Landes ein gewißer Spielraum zu lassen seyn, um sich innerhalb desselben nach den individuellen Bedürfnissen bewegen zu können. Sowohl zur Entwerfung solches Gesetzbuchs als zu etwanigen künftigen Verbeßerungen müßte eine nach repräsentativen Gesetzen auszumittelnde Reichs Commission niedergesetzt stehend erhalten und ergänzt werden“ (S. 394). Diese und weitere Vorschläge, die im Verlauf der Diskussion dann nicht mehr auftauchen, sind im Rahmen der durch Thibaut und Savigny ausgelösten Kodifikationsdiskussion zu sehen. Die Befürworter einer gesamtdeutschen Kodifikation hatten dabei kaum ein Gesetzbuch nach dem Muster des Code Napoléon im Auge, zumal es den meisten der an der Verfassungsdiskussion beteiligten Staaten, allen voran Preußen, darum ging, die Rheinbundstaaten Bayern und Württemberg dazu zu zwingen, die Ergebnisse der Reformzeit teilweise wieder rückgängig zu machen. Von einigen kleineren Reformstaaten wie Nassau, aber auch vom Freiherrn von Stein wurde die Aufhebung der Leibeigenschaft und aller sich aus ihr ergebenden Rechte gefordert (S. 895, 981). Zur Diskussion standen verfassungsrechtliche Garantien wie Freiheit der Presse, das Recht zu freier Annahme von Diensten in jedem auswärtigen deutschen Staat, das Recht zu freier Bekennung eines im Deutschen Bund zu öffentlicher Übung befugten christlichen Religionsbekenntnisses, das Recht, Liegenschaften außerhalb des Staats, den die Bürger bewohnten, zu erwerben und zu besitzen, sowie das Recht des freien Abzugs aus einem deutschen Bundesstaat in einen anderen (Vorschläge Nassaus vom Dezember 1814, S. 897). Hinzukam die Forderung nach einem umfassenden Schutz des Eigentums einschließlich des Urheberrechts. Bereits Humboldt verlangte im Dezember 1813, daß derjenige Staat, der nicht groß genug sei, um drei Zivilinstanzen „in sich selbst zu begreifen, auch seine Criminalurtel, sobald die erkannte Strafe einen zu bestimmenden Grad erreicht, einer fremden Revision unterwerfen“ müsse. Ein solcher Staat könne „ferner keine das bisher in ihm bestehende Civil- und Criminalrecht abändernde Verordnung ergehen lassen, ohne dieselbe demjenigen, an dessen höchste Gerichtshöfe er die Appellation zugeben muß, zur Genehmigung vorzulegen“ (S. 86). Stein schlug zur Sicherung der Unabhängigkeit der Gerichte in den Provinzen die Öffentlichkeit des Verfahrens, die Unabsetzbarkeit des Richters „außer durch richterliches Erkenntniß,“ die Ergänzung der Richter zur Hälfte durch die Stände und sogar die Einführung des Instituts der Geschworenen vor, um das Leben und die Freiheit der Bürger sicherzustellen gegen Willkür (S. 94), eine Forderung, die später nicht mehr auftauchte. Zeitweilig wurde im Rahmen der Forderung nach Einteilung Deutschlands in Kreise die Errichtung von Kreisoberappellationsgerichten verlangt. Lange Zeit war Bestandteil der Verfassungsforderungen auch die Errichtung eines Bundesgerichts. Humboldts zweiter Entwurf einer deutschen Bundesverfassung mit Kreiseinteilung sah noch folgende Regelung vor: „Um in denjenigen Fällen, wo die Gerechtigkeit nur von dem Bunde selbst gehandhabt werden kann, dieselbe nach festen und unveränderlichen Grundsätzen zu üben, und alle Willkür und jeden persönlichen Einfluß davon auszuschließen, wird ein beständiges Bundesgericht, welches in derselben Stadt, wie der Bundesrath seinen Sitz hat, errichtet“ (S. 1093). Zur Zuständigkeit sollten gehören die Streitigkeiten der unmittelbaren Bundesglieder untereinander sowie die Klagen mittelbarer Personen gegen unmittelbare Bundesglieder wegen Verletzung der inneren Landesverfassung und solcher in dieser gegründeten einzelnen Rechte, welche durch den Bundes- oder einen anderen Staatsvertrag ausdrücklich gesichert waren. Hinzukam noch die Forderung nach Einrichtung von Landständen mit bestimmten Mindestrechten. Dazu sollten nach den Vorschlägen Nassaus gehören: Das Recht der Bewilligung sämtlicher zur Staatsverwaltung nötigen Abgaben, das Recht der Einwilligung in allgemeine Landesgesetze, das Recht der Mitaufsicht über die Verwaltung der Steuern zu allgemeinen Staatszwecken und das Recht der Beschwerdeführung bei „sich ergebenden Mißbräuchen jeder Art“ (S. 898).

Bekanntlich hat die Deutsche Bundesakte vom 8. 6. 1815 (S. 1503ff.) so gut wie nichts von den erwähnten Vorschlägen übernommen. In Art. XIII war lediglich festgesetzt, daß in allen Bundesstaaten eine „Landständische Verfassung“ stattfinden sollte. Art. XII enthielt die Garantien für eine dritte Gerichtsinstanz für alle Staaten des Bundes. Die erwähnten Diskussionspunkte zeigen, daß die Quellensammlung auch für die Privatrechts- und die Geschichte der Gerichtsverfassung, aber auch der Grundrechte zahlreiche Hinweise enthält, die allerdings noch zu ergänzen wären durch die zeitgenössische rechtspolitische Diskussion der literarischen Öffentlichkeit, die das Werk von seiner Zielsetzung nicht näher erschließt und auch gar nicht erschließen konnte. Der Bd. 2 der 1. Abt. der Quellenedition zur institutionellen Ausgestaltung des Deutschen Bundes zwischen 1815 und 1819 wird zeigen, wieweit die nichterfüllten Forderungen der Jahre 1813/14 erneut eine Rolle spielen. Insgesamt liegt mit der von Treichel betreuten Edition ein grundlegendes Quellenwerk vor, das sich die überregionale deutsche Rechts- und Institutionengeschichte des 19. Jahrhunderts nicht entgehen lassen sollte.

 

Kiel                                                                                                               Werner Schubert