*¿Rechtsgeschichte(n)? ¿Histoire(s) du droit?

¿Storia/storie del diritto? ¿Legal Histori(es)?, hg. v. Verein junger RechtshistorikerInnen Zürich (= Rechtshistorische Reihe 220). Lang, Frankfurt am Main 2000. 392 S. Besprochen von Werner Schubert. ZRG GA 119 (2002)

SchubertRechtsgeschichte(n)?20001124 Nr. 10133 ZRG 119 (2002) 00

 

 

¿Rechtsgeschichte(n)? ¿Histoire(s) du droit? ¿Storia/storie del diritto? ¿Legal Histori(es)?, hg. v. Verein Junger RechtshistorikerInnen Zürich (Europäisches Forum Junger Rechtshistorikerinnen und Rechtshistoriker Zürich 28.-30. Mai 1999) (= Rechtshistorische Reihe 220). Lang, Frankfurt am Main – Berlin – Bern – Brüssel – New York – Oxford – Wien 2000. 392 S.

 

Nachdem Hans Peter Haferkamp in dieser Zeitschrift Bd. 114, S. 850-859 in seinem Kongreßbericht die auf dem Forum 1999 in Zürich gehaltenen Vorträge inhaltlich bereits vor dem Druck beschrieben hat, kann sich die Anzeige der Publikation auf einige übergreifende Zusammenhänge beschränken. Der Band dokumentiert die internationale Aufgeschlossenheit der heutigen Rechtsgeschichte in insgesamt 25 Beiträgen, von denen die meisten erfrischend experimentell angelegt sind. Die Breite der angeschnittenen Themen dürfte dem Fach auch im neuen Jahrhundert seine Lebendigkeit sichern und garantieren. Auffallend ist zunächst die Vielfalt der biographischen Beiträge, die von zwei Juristen des 15. Jahrhunderts (Otto Verwaart über den seinerzeit sehr erfolgreichen Konsiliarjuristen Ludovicus Pontanus de Roma und Giacomo Pace über die Tätigkeit des späteren Hamburger Bürgermeisters Henricus de Saxonia/Heinrich Burmeister als Rektor der Universität Padua 1463) bis zu der ausgereiften umfangreichen Studie von Mathias Schmoeckel über den nationalsozialistischen Ideologen Helmut Nicolai, der schon 1935 im Konkurrenzkampf der Partei in Ungnade fiel, aber gleichwohl für die Herausbildung der in sich uneinheitlichen nationalsozialistischen Ideologie (hier auf dem Gebiet des Staats- und Verfassungsrechts) nicht ohne Interesse ist und bis zu der kürzeren Studie über deutsche und österreichische Juristen jüdischer Herkunft in Genf zwischen 1933 und 1945. Erwähnt seien weiterhin die Zeitschriftenanalysen, die in letzter Zeit Gegenstand rechtshistorischer Forschung geworden sind, von Olga Paz Torres über die juristischen Zeitschriften Barcelonas aus der vorletzten Jahrhundertwende als Ausdruck der damaligen Rechtskultur und von Lothar Becker über die Selbstangleichung der deutschen Strafrechtswissenschaft im Frühjahr/Sommer 1933 im Spiegel ihrer Zeitschrift des „Archivs des öffentlichen Rechts“. Dogmengeschichtliche Fragen behandeln für das römische Recht Johannes Platschek unter dem das Interesse des Lesers erweckenden Thema „Herrn Quietus Badereisen“, eine Exegese von D. 17.1.16 (zum Auftragsrecht), Birgit Feldner über die Eigentümlichkeiten der Behandlung der metus insbesondere im römischen Zivilprozeß (Erpressung – eine Bagatelle?) sowie von Martin Immenhauser über die Rolle des Verschuldensprinzips im Deliktsrecht des 19. Jahrhunderts („Culpa ist gar nicht so allgemein eine causa obligationis“, nach einem Zitat aus Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 3, S. 295). Der Verfasser weist im zweiten Teil seiner Abhandlung für die Zeit der Entstehungsgeschichte des Bürgerlichen Gesetzbuchs nach, daß ein anderes allgemeines Haftungsprinzip als das Verschuldensprinzip mit breiter Akzeptanz nicht zur Verfügung gestanden habe und auch am Ende des 19. Jahrhunderts nicht in Sicht gewesen sei. Der Verfasser hat mit seinem Beitrag eine bereits vielfach behandelte Frage mit Recht erneut aufgegriffen. Sie bedürfte jedoch auch unter Einbeziehung der Judikatur zur Gefährdungshaftung (seit 1870 für die Eisenbahn, von 1900 bis 1908 für den Tierhalter hinsichtlich der typischen Tiergefahr, vom Verfasser S. 300 nicht deutlich herausgestellt, und für das Kraftfahrzeug seit Ende 1909) näherer detaillierter Untersuchungen auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung für das ausgehende 19. und beginnende 20. Jahrhundert. Das Motto der Tagung erläutert Martin Scherl, der zwischen Geschichte(n) im Sinne einer narratio und Geschichte im Sinne des modernen Wissenschaftsbegriffs des 18./19. Jahrhunderts, zu dessen wesentlicher Ausprägung auch die Rechtsgeschichte, insbesondere die Historische Rechtsschule des 19. Jahrhunderts gehörte. Die Isolierung, in welche die Rechtsgeschichte im letzten Jahrhundert in vielen Bereichen geraten war, versucht die moderne Rechtsgeschichte, auch soweit sie von Universitätsjuristen betrieben wird, wie die Beiträge im Tagungsband zeigen, zu durchbrechen, indem sie zunehmend auch die Fragestellungen der anderen historischen Forschungsdisziplinen z. B. der Sozial-, Wirtschafts-, Politik- und Mentalitätsgeschichte und selbst, wie zwei Tagungsbeiträge zeigen, auch der Literaturgeschichte aufgreift und berücksichtigt. Andererseits sollte eine derart breit angelegte Rechtsgeschichte darauf bedacht sein, daß sie dabei das rechtshistorische, also das juristische Profil des Faches und damit seine Akzeptanz innerhalb der rechtswissenschaftlichen Fakultäten nicht verliert. Auch unter diesem Blickwinkel der Zukunft des Faches Rechtsgeschichte sind die Tagungsbeiträge, die überwiegend aus dem deutschsprachigen Raum kommen, aufschlußreich und bedenkenswert.

 

Kiel                                                                                                               Werner Schubert