Rechtsgeschichtswissenschaft in Deutschland 1945-1952,
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HattenhauerRechtsgeschichtswissenschaft20010703 Nr. 10455 ZRG 119 (2002) 80
Rechtsgeschichtswissenschaft in Deutschland 1945-1952, hg. v. Schröder, Horst/Simon, Dieter (= Ius Commune Sonderheft 141). Klostermann, Frankfurt am Main 2001. VIII, 273 S.
Krisen geben Anlass zum Nachdenken über die eigene Identität und Geschichte, zumal ihrer Wendezeiten. Das gilt auch für die Rechtswissenschaft, von der hier einige Rechtshistoriker in der unmittelbaren Nachkriegszeit vorgestellt werden. Tatsächlich müssen die Jahre 1945-1952 für die sowjetische Besatzungszone und die Deutsche Demokratische Republik wie die Westzonen und die Bundesrepublik Deutschland als eine eigene, zwar kurze, aber doch deutlich begrenzte und strukturierte Epoche definiert werden. Hier wie dort begann man mit heiligen Schwüren des Neubeginns, hier wie dort mündete die vielversprechende Aufbruchstimmung bald in restaurativem Vergessenmachen der eben noch verheißenen Reformen. Das hatte hier wie dort zur Folge, dass sich die Künder des Neuen freiwillig oder gezwungen - dem raschen Wandel der politischen Grundstimmung anpassen mussten, wenn sie nicht auf die Seite geschoben werden wollten. Wenn auch derartige postrevolutionäre Phasen des raschen Übergangs von der Revolution zur Restauration etwas für diese Lagen Typisches sind, hatten die deutschen Nachkriegsjahre doch die Besonderheit, dass man hüben und drüben im Recht grundverschiedene Wege ging. Dass davon auch die Rechtsgeschichte betroffen war, zeigt dieser Band. Er ist das Ergebnis einer von Horst Schröder und DieterSimon 1998 im Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main veranstalteten Tagung. Erkennbar ist noch, dass das Projekt breiter angelegt gewesen war und möglichst viele Rechtshistoriker von diesseits und jenseits der Zonengrenze hatte berücksichtigen sollen, doch konnte dieses Ziel offenbar nicht vollständig erreicht werden. Auch von den schließlich gehaltenen Referaten sind einige in dem Band nicht zum Abdruck gekommen; es fehlen die Beiträge von Regina Ogorek über Heinrich Mitteis, Filippo Ranieri über Hermann Conrad, Joachim Rückert über Hans Thieme, Dieter Simon über Franz Wieacker und Gerhard Lingelbach über Gerhard Buchda. Horst Schröder leitet den Band mit einem Beitrag zum Gegenstand des Symposiums (S. 1-3) ein und betont die besondere geopolitische Lage Deutschlands in jenen Jahren. Sodann zeigt er an dem eine neue Rechtsgeschichte fordernden Aufsatz von Heinrich Mitteis und der selbst diese so erneuerte Rechtsgeschichte verwerfenden Erwiderung Karl Polaks (S. 5-18) den grundverschiedenen theoretischen Ansatz der beiden Gegner. Sonja Ginnow bestätigt in ihrem Beitrag zu Karl Polak (S. 19-30), dass dieser in jener angeblich revolutionären Zeit keine Rechtsgeschichte für erwünscht hielt. In einem etwas manieristischen Stil, den Details genau auf der Spur geht TomaszGiaro (S. 31-76) Paul Koschaker als dem „Troubadour des Abendlandes“ anhand von dessen Selbstzeugnissen und Schriften nach; er präpariert überzeugend die Persönlichkeit dieses Altmeisters seiner Zunft als eines hochbegabten Opportunisten heraus, wie es deren damals und immer in der Wissenschaft viele gegeben hat. Karl-Heinz Ziegler geht den Wirken von Max Kaser (S. 77-95) in dessenmünsterischen Jahren nach und beschreibt das intemationale Wirken und die Verdienste des auf der Höhe seiner Schaffenskraft Stehenden um das römische Recht. Ein Meisterstück ist Heinz Mohnhaupts Analyse von Coings Schrift „Die obersten Grundsätze des Rechts“ vom Jahre 1947 (S. 97-128), in welcher er dieselbe in einer Zeit der Naturrechtsblüte wie der alsbald einsetzenden Naturrechtskritik als eine zeitbedingte Reaktion auf die gemachten politischen Erfahrungen vorstellt. Christine Preschel (S. 129-150) stellt Arthur Baumgarten in dessen angestrengt zwiespältigen Bemühen um Aneignung der marxistischen Lehre vor. Hans Pogodda zeigt eindrucksvoll, stilsicher und über den Einzelheiten das Gesamtbild fest im Blick behaltend, den wissenschaftlichen und politischen Weg von Hans Nathan (S. 151-188) und dessen vom Misstrauen derPartei begleiteten Abstieg vom Rechtspolitiker zum Rechtslehrer. Günter Baranowski stellt Heinz Such (S. 189-251) in dessen Eintreten für die sozialistische Wirtschaftsverfassung als einen der interessantesten und begabtesten Vertreter der DDR-Rechtswissenschaft vor, der aber eben deshalb das Misstrauen der Funktionäre nie hat abschütteln können. Den Abschluss macht Bernd Musiolek mit einem Beitrag zu Peter Alfons Steiniger (S. 253-273), der - wie Baumgarten, Such und Nathan - erkennen musste, dass er seinen Ideen von Blockwahlrecht, Gerichtsverfassung und Verfassungsrecht abschwören musste, wenn er nach dem Übergang der DDR zum Sozialismus politisch überleben wollte. Während man den Veranstaltern zu der Begrenzung des Forschungszeitraums auf die Wendejahre 1945-1952 nur gratulieren kann, bleibt doch die Frage, ob es sich bei den hier vorgestellten Personen immerum Rechtshistoriker im eigentlichen Sinne des Wortes gehandelt hat. Insoweit verspricht der Buchtitel weniger beziehungsweise mehr als der Band tatsächlich bietet. Mehr noch fälltauf, dass die Autoren zwar knappe biographische Hinweise bieten, sich aber recht schnell der Analyse der wissenschaftlichen Äußerungen zuwenden. Man stutzt doch, wenn Sonja Ginnow über die Jahre Polaks als Assistent von Wyschinski zur Zeit der Schauprozesse nur mitteilt (S. 19), dieser habe damals in Moskau seine „ideologisch‑politische Prägung“ erhalten, oder wenn Berndt Musiolek im Stil eines Jugendschriftstellers von dem 1945 zum Aufbau des Kommunismus gen Berlin strebendenden Steiniger schwärmt (S. 270): „Da wollte er dabei sein“. In eben diesen Jahren haben die Betroffenen gewiss besondere Erfahrungen gemacht, die sich nur mittelbar in deren Veröffentlichungen niederschlagen haben dürfen. So hätte es wohl nahe gelegen, wenn bei dieser Fragestellung die Archivalien genau erforscht worden wären. Günter Baranowski hat sich jedenfalls die Mühe gemacht und das Archiv der Universität besucht, aber womöglich auch damit nicht alle vorhandenen Quellen aufgetan. Es gibt also noch zu tun, welcher Umstand zwar den Wert dieses Bandes nicht mindert, wohl aber Anlass für weitere biographische Erforschung dieser Wendezeit diesseits und jenseits der Zonengrenze werden kann.
Kiel Hans Hattenhauer