Regierungsakten der Herzogtums Nassau 1803-1814
SchubertRegierungsakten20010814 Nr. 10461 ZRG 119 (2001) 53
Regierungsakten der Herzogtums Nassau 1803-1814, bearb. v. Ziegler, Uta (= Quellen zu den Reformen in den Rheinbundstaaten 5). Oldenbourg, München 2001. VIII, 415 S.
1983 hatte die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften die Edition der wichtigsten Gesetze, Verordnungen, sowie der Ministerial- und Staatsratsberichte zu den Reformen der wichtigsten Rheinbundstaaten in ihr Programm aufgenommen. Inzwischen sind vier Bände mit den Regierungsakten des Königreichs Westphalen, der Großherzogtümer Berg und Frankfurt sowie des Königreichs Bayern erschienen. Band 5 enthält nunmehr die Regierungsakten des Herzogtums Nassau für die Zeit von 1802 bis 1815. Nassau war 1806 durch Vereinigung der Territorien von Weilburg und Usingen zu einem unteilbaren Herzogtum erhoben worden und gleichzeitig in den Rheinbund eingetreten. Bis 1814/15 bildete die Hauptsorge der leitenden Staatsmänner Nassaus die Erhaltung der politischen Existenz und der territorialen Integrität. Das Streben der beiden Regenten Friedrich Wilhelm (Weilburg) und Friedrich August (Usingen) ging nach „außenpolitischer Anerkennung, die den Erhalt des Herzogtums sichern sollte und somit wiederum Verlauf und Struktur der inneren Modernisierungspolitik fundamental beeinflußte“ (S. 2). Hinzugekommen war ein immanentes staatliches Bedürfnis nach Modernisierung, „um finanziell, wirtschaftlich und militärisch zu überleben“. Das nassauische Reformwerk wurde getragen von Hans Christian von Gagern , dem Nassau vor allem die Gebietserweiterungen und außenpolitischen Erfolge verdankte, und von Ernst Friedrich Ludwig Freiherr von Marschall von Bieberstein, ein Anhänger des frühen politischen Liberalismus, der auf einen repräsentativen Verfassungsstaat zielte. Nachdem Marschall im Juni 1808 zum Leiter des Staatsministeriums aufgestiegen und Gagern im Juni 1811 aus dem nassauischen Staatsministerium ausgeschieden war, bestimmte der erstere die nassauische Reformpolitik allein. Homogenisierung und Konsolidierung waren die Prämissen, nach denen Gagern und Marschall sowie deren engster Mitarbeiter Karl Ibell handelten. Ausgangspunkt war meist das französische Vorbild, das aber eigenständig weiterentwickelt wurde.
Nach einer kurzen Einleitung über die innen- und außenpolitischen Grundlagen für das nassauische Reformwesen folgen die Quellentexte, die zunächst in einer kurzen Darstellung erläutert werden, die damit der Nachzeichnung der wichtigsten Reformen dient. Den größten Raum nehmen dabei die Regierungs- und Verwaltungsreformen, der Beginn eines modernen Steuer- und Finanzsystems und die Diskussion über die Einführung des Code Napoléon ein. Die gedruckten Quellen bestehen aus landesherrlichen Verordnungen und Edikten sowie aus bisher unveröffentlichten Gutachten, Gegengutachten, Vorträgen, Denkschriften und Reformentwürfen. Unter den Regierungs- und Verwaltungsreformen (S. 25ff.) sind hervorzuheben die Aufhebung der ehemaligen kurtrierischen Landstände, die Einrichtung eines Staatsministeriums, die Ausschließung der ehemaligen Standesherren von jeglicher Beteiligung an der Landesverwaltung und eine Verordnung von 1811 zum Beamtenrecht, mit der Nassau nach Baden und Bayern die Basis für ein modernes Berufsbeamtentum schuf. Auch wenn das nassauische Reformwerk der Rheinbundzeit ein Torso blieb, so gehört doch die Steuerreform von 1809/12 zu den substantiellen Neuerungen dieser Zeit, die zum Abbau der Privilegien und zu neuer Steuergerechtigkeit führten. Das Edikt vom Februar 1809 über die Abgaben sowie die Einführung eines direkten Steuerwesens begründete ein allgemeines, auf direkten Grund- und Gewerbesteuern beruhendes Steuersystem, ohne daß die indirekten Steuern abgeschafft wurden. Die Gewerbesteuer betraf alle Personen, die ihren Lebensunterhalt durch „Arbeit und Industrie“ (§ 31) verdienten – auch Staatsdiener, Advokaten, Ärzte Privatlehrer usw. Das Edikt von Ende Februar 1812 zur Vorbereitung der Aufhebung älterer direkter Abgaben beseitigte mehrere hundert direkte Abgaben wie die Soldatensteuer, die Verwilligungsgelder, die Chaussee-Schatzung, die Husaren-Schatzung, das Monatgeld, die Rittersteuern, Rheinbaugelder, die Landgage, das Herren-Geld, das Küchen-Geld, die Extrasteuer, die Additionalsteuer von ehemaligen Freigütern und die Servicesteuer. Kürzere Abschnitte der Edition befassen sich mit der Militärreform, den sozialen Reformen (u. a. Einführung einer allerdings nicht obligatorischen Brandversicherung, Untersagung von „Bettelfuhren erkrankter und bedürftiger Personen“, d. h. ihre Rückführung in die Heimatgemeinde; Einführung der Freizügigkeit und Förderung der Pockenschutzimpfung), mit den Ansätzen der Verbesserung der sozialen Lage der Juden, mit den Reformen als Folge der Säkularisation (u. a. Verordnung zur Erziehung der Kinder aus gemischt-konfessionellen Ehen) und mit den Agrarreformen und den Verbesserungen in der Landeskulturverwaltung. Hierzu gehörten die Aufhebung der Leibeigenschaft allerdings erst zum 1. 1. 1808 und die Beseitigung der Manumissionsgebühren, wobei die Aufhebung der Leibeigenschaftsabgaben vom Staat – im Gegensatz zu den linksrheinischen Gebieten – entschädigt wurde. Hinzukamen noch Edikte von 1811 zur Regelung des Wildschadens und von 1812 über die freie Nutzung von Ackerland und Wiesen (Kulturverordnung). Dagegen waren die Gerichts- und Justizreformen denkbar gering. Neben dem Hofgericht in Wiesbaden verfügte Nassau auch über ein Appellationsgericht in Hadamar, seit 1810 in Dietz. Durch ein Edikt vom Dezember 1809 wurden alle entehrenden Leibesstrafen als „Corrections- oder Strafmittel gegen erwachsene Personen beiderlei Geschlechts“ abgeschafft, ein bemerkenswertes Zeugnis für die Respektierung der Untertanen und Menschenrechte in Nassau. Ein großes Entgegenkommen der Regierung war auch die Zulassung von Klagen gegen den Fiskus.
Ein ganzes Viertel des Bandes nehmen die Dokumente über die Diskussion zur Einführung des Code Napoléon ein, die von nassauischer Seite von dem Justizjuristen Ludwig Harscher von Almendingen (1766-1824) geführt wurde, über dessen reichhaltiges und sehr facettenreiches juristisches Lebenswerk noch immer keine Monographie vorliegt. Almendingen gehörte zu den wenigen Rheinbundjuristen, die den engen Zusammenhang des französischen Zivilrechts mit den liberalen Errungenschaften der französischen Revolution hervorhob. Die von ihm initiierte Gießener Konferenz (1808/10), die ein Zusammengehen von Nassau, Frankfurt und Darmstadt in der Rezeptionsfrage zum Ziel hatten, waren nach ihm[1] „recht eigentlich dazu bestimmt, entweder alle deutschen Regierungen gegen die Annahme eines für jede schädlichen und untauglichen Gesetzbuchs zu warnen oder sie zu überzeugen, daß das nämliche Gesetzbuch, wenn sie sich über seine Tendenz und seine Zubehörden unter sich und mit dem Protektor verständigten, für alle der Vehikel einer Verfassung und mithin für das durch gränzenlose Willkühr und Verfassungslosigkeit mißhandelte deutsche Volk, dem damals noch keine Morgenröthe einer bessern Zukunft tagte – eine Wohltat werden könnte“. In dem von Almendingen sog. organischen Zusammenhang des Code Naoléon fanden sich „unbesiegbare Waffen gegen jede zudringliche Zumuthung der französischen Diplomatie“. Dies bedeutet nicht, daß Almendingen gegen liberale Verfassungs-, Verwaltungs- und Justizreformen war – das Gegenteil ergibt sich vielmehr insbesondere aus seinem Gutachten vom Herbst 1812 über eine Reorganisation von Verwaltung und Justiz in Nassau, eines der bedeutendsten Dokumente der rheinbündischen frühliberalen Verfassung überhaupt, das die Edition mit einigen Kürzungen erstmals zugänglich macht. Almendingens luzide Analyse der verfassungsrechtlichen Grundlagen des Code Napoléon stand auf der anderen Seite die Abneigung des deutschen gemeinrechtlich geschulten Juristen gegenüber der Rechtsdogmatik des französischen Rechts. Seine zahlreichen Gutachten und Schriften zur Rezeption bzw. Kennzeichnung des Code dienten gleichzeitig der Abwehr einer vorschnellen Rezeption des französischen Zivil- und Justizrechts und der Forderung nach liberalen Reformen. Diese taktischen Ziele, die Almendingen auch oder sogar in erster Linie verfolgte, kann die Edition nur zum Teil verdeutlichen; denn dann hätte sie auch die sonstigen Veröffentlichungen Almendingens, und zwar auch die „Politischen Ansichten“ von 1814 mit einbeziehen müssen, was schon aus Platzgründen nicht möglich war. Von der Zielsetzung der Edition, nämlich der Herausgabe der Regierungsakten von Nassau, versteht es sich von selbst, daß sie auf die detaillierte Auseinandersetzung Almendingens mit dem französischen Zivil- und Justizverfassungsrecht nicht eingehen konnte. – Die Edition wird abgeschlossen mit der hervorstechendsten reformerischen Leistung Nassaus, mit der Landständischen Verfassung vom September 1814, der ersten Konstitution in Deutschland. Aus den wiedergegebenen Dokumenten ergibt sich insbesondere, daß Marschall dabei die Vorstellungen Steins berücksichtigt hat, die die Sicherung bürgerlicher Grundrechte (Sicherheit des Eigentums der persönlichen Freiheit) anstrebten, nicht zuletzt um Stein als Befürworter der weiteren staatlichen Existenz Nassaus zu gewinnen.
Alles in allem: Ziegler hat eine klar gegliederte, gut überschaubare und klug ausgewählte Quellenedition vorgelegt, welche erneut die herausragende Bedeutung der Rheinbundzeit für die Reformpolitik der deutschen Mittel- und Kleinstaaten verdeutlicht. Mit Recht weist die Bearbeiterin darauf hin, daß viele der bis 1813 eingeleiteten Reformen erst in den folgenden Jahren in Nassau verwirklicht wurden. Man darf gespannt sein auf die weiteren Bände der Edition mit den Regierungsakten von Hessen-Darmstadt, Baden und Württemberg.
Kiel Werner Schubert
[1] Ludwig Harscher von Almendingen, Politische Ansichten über Deutschlands Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Bd. 1, Wiesbaden 1814, S. 375.