Schöniger-Hekele, Bernhard, Die österreichische Zivilprozessreform 1895.

* Wirkung im Inland bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges 1914. Ausstrahlung ins Ausland (= Rechts- und sozialwissenschaftliche Reihe 26). Lang, Frankfurt am Main 2000. 204 S. Besprochen von Bernhard König. ZRG GA 119 (2002)

KönigSchöniger-hekele20010814 Nr. 10377 ZRG 119 (2002) 67

 

 

Schöniger-Hekele, Bernhard, Die österreichische Zivilprozessreform 1895. Wirkung im Inland bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914. Ausstrahlung ins Ausland (= Rechts- und sozialwissenschaftliche Reihe 26). Lang, Frankfurt am Main 2000. 204 S.

 

Wenn im Vorwort des hier angezeigten Buchs im Zusammenhang mit der ZPO 1895 von der „Justizreform unter (!) Justizminister Franz Klein“ die Rede ist (Franz Klein wurde erst 1906 Ressortleiter: richtig dann im Buch 21) und angesichts der gerade in jüngerer Zeit zahlreichen und eingehenden (freilich im angezeigten Buch nicht zitierten) Arbeiten von einer „unverdientermaßen“ noch nicht bestehenden zusammenfassenden Betrachtung der Auswirkungen der seinerzeitigen Prozeßreform gesprochen wird, kommen erste Zweifel an der Güte des zu Lesenden auf. Dem Titel nach werden die Wirkungen der Kleinschen Verfahrensreform im Inland bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges und die Ausstrahlung ins Ausland dargestellt. Dem Klappentext entnimmt man dann freilich, daß dies weitgehend bloß auf einer „eingehenden Analyse der zeitgenössischen Sekundärliteratur“ erfolgen soll; die „Analyse“ hält sich in Grenzen, die „Ausstrahlung“ wird gerade nicht dieser „Sekundärliteratur“, sondern längst nicht mehr aktueller späterer Literatur entnommen.

Die Schilderung des Verfahrens nach der AGO 1781 ist kursorisch und teilweise unrichtig (14f. übersieht, daß jeder Streitteil „zwo Reden“ hatte [§ 2 AGO]; dazu Sprung, Studien zum „Ruhen des Verfahrens“, FS Grass I [1974] 710f.). Feststellungen wie „Veränderungen im Regierungssystem folgte oft auch ein entsprechender Wechsel des Prozeßmodells“ (27) widerlegt die Prozeßgeschichte. Wenn zutreffend (48) auf die durch die ZPO verstärkte formelle und materielle Prozeßleitung eingegangen wird, wären auch inhaltlich nicht nur der formellen, sondern gerade der (bedeutenderen) materiellen Prozeßleitung Ausführungen zu widmen gewesen.

Zum eigentlichen Thema: Die Zusammenstellung der Reaktionen auf die ZPO 1895, betreffend die Richterschaft, die Anwaltschaft und das Notariat ist für den weniger Kundigen sicher von Interesse. Die Hinweise auf die veränderte Lage der Rechtsanwaltschaft, aber auch deren kritische Bemerkungen zur praktischen Handhabung der Verfahrensgesetze (siehe etwa auch Sprung/König, „Iura novit curia“ und rechtliches Gehör, JBl 1976, 5 Anm. 46), zum Notariat (104ff.) bleiben aber oberflächlich (siehe nur zum „Krach“ um den Musterentwurf eines Gebührentarifs [102] die Hinweise bei Sprung/Mayr, Die Entstehung und Weiterentwicklung des Außerstreitgesetzes 1854, in: Symposion Außerstreitreform [hg. vom Ludwig Boltzmann-Institut für Rechtsvorsorge und Urkundenwesen, Bd. XI, 1992] 21 Anm. 101). Der „Kampf“ um die Auslegung des § 482 ZPO und gegen die von den Rechtsanwälten besonders als Affront empfundenen Bestimmungen des § 183 Abs. 1 Z. 1 ZPO (Ladung der Partei zum persönlichen Erscheinen trotz Vertretung durch einen Anwalt), § 170 Abs. 2 a. F. ZPO (direkte Verständigung der Parteien vom eingetretenen Ruhen des Verfahrens, um „einer den Absichten der Partei widersprechenden Verwendung der Vorschriften über das Ruhen des Verfahrens [durch die Parteienvertreter] zur Genüge vorzubeugen“: Materialien II [1897] 320) und § 180 Abs. 3 ZPO (keine ausdrückliche Erwähnung des „Rechts auf Schlußvorträge“, hiezu Klein, Vorlesungen über die Praxis des Civilprocesses [1900] 144) in den ersten Jahren nach dem Inkrafttreten der ZPO wäre wohl erwähnenswert gewesen. Schlußfolgerungen vermißt man weithin. Dies gilt auch für die Statistiken (40ff.), deren Inhalt in Bezug etwa zu den Wertgrenzen, Rechtsmittelbeschränkungen, Bevölkerungscharakter (hiezu damals etwa Menestrina, RheinZ 1910, 1ff.) u. a. zu setzen gewesen wären.

Mangelnden Erkenntniswert zeichnet das Kapitel „Auswirkungen und Einflüsse auf andere Bereiche der Rechtsordnung“ und dort insbesondere jenes über das Außerstreitverfahren (116ff.) aus. Abgesehen davon, daß einschlägige (rechtshistorische) Literatur übergangen wird, beinhaltet dieser Teil wenig mehr als Triviales.

Erstaunliche Oberflächlichkeit kennzeichnet das Kapitel „Ausstrahlung der österreichischen Zivilprozeßgesetze ins Ausland" (123ff.) – sogar ein Untertitel der Arbeit -, das über Exzerpte älterer, zwischenzeitlich längst vertiefter Literatur nicht hinausgeht. Es fehlt nicht nur die Berücksichtigung des (auch für die österreichische ZPO) einschlägigen Sammelbandes „Das deutsche Zivilprozessrecht und seine Ausstrahlung auf andere Rechtsordnungen“ (hg. v. Habscheid, 1991) und der dort enthaltenen Arbeit von Jelinek (Einflüsse des österreichischen Zivilprozeßrechts auf andere Rechtsordnungen 41ff.), sondern auch Hinweise zur Ausstrahlung etwa auf die Verfahrensordnungen der Türkei, Portugals, Marokkos, Tunesiens; abgesehen von mangelnder inhaltlicher Auseinandersetzung mit dem Einfluß auf Italien (hiezu etwa eingehend König, Die österreichische Zivilprozeßordnung und das Königreich Italien, JBl 1981, 585ff.; Cipriani, Storie di processualisti e di oligarchi [1991] etwa 76ff., 136ff., 149f.; Cipriani, Nel centenario del regolamento di Klein [Il processo civile tra libertá e autoritá], Rivista di Diritto Processuale 1995, 969ff.) ist auch die Behauptung (143; die diesbezüglichen Zitate in Anm. 507 sind Fehlzitate) unrichtig, die österreichische Zivilprozeßordnung habe in den ehemals italienischen Teilen der Monarchie bis 1942 gegolten (in Wirklichkeit bis 1928: siehe König, JBl 1981, 590).

Daß zitierte Literatur im Literaturverzeichnis fehlt (z. B. Sperl [Anm. 218, 219], Rechberger [Anm. 494]) und umgekehrt (z. B. Menestrina), Rechberger/Simotta bloß unter dem Erstautor zitiert wird (Literaturverzeichnis und etwa Anm. 59), eingehende Arbeiten zu den behandelten Teilkapiteln unerwähnt bleiben (generell etwa Hofmeister [Hg.], Forschungsband Franz Klein – Leben und Wirken [1988]; zur Doktoratsfrage [67ff.] Fischer, Das österreichische Doktorat der Rechtswissenschaften und die Rechtsanwaltschaft [1974]; Sprung/Mayr, Historisches zur Doktoratsfrage, JBl 1985, 274ff.; zum Notariat Mayr, Die Entwicklung der Ausbildung zum Notar, NZ 1986, 173ff., 193ff., 220ff.; usw) rundet das Urteil ab: Eine eher bescheidene (rechtshistorische) Dissertation, deren Veröffentlichung sich nicht aufgedrängt hätte.

 

Innsbruck                                                                                           Bernhard König