Schowe, Ulrike, Mit Haut und Haar.

* Idiomatisierungsprozesse bei sprichwörtlichen Redensarten aus dem mittelalterlichen Strafrecht (= Germanistische Arbeiten zu Sprache und Kulturgeschichte 27). Lang, Frankfurt am Main 1994. 393 S., 17 Abb. Besprochen von Clausdieter Schott. ZRG GA 119 (2002)

Schott20010307Schowe Nr. 579 ZRG 119 (2002) 38

 

 

Schowe, Ulrike, Mit Haut und Haar. Idiomatisierungsprozesse bei sprichwörtlichen Redensarten aus dem mittelalterlichen Strafrecht (= Germanistische Arbeiten zu Sprache und Kulturgeschichte 27). Lang, Frankfurt am Main 1994. 393 S., 17 Abb.

 

Die sprachgermanistische Dissertation ist im Rahmen des von Ruth Schmidt-Wiegand geleiteten Forschungsprojekts „Rechtsbücher als Ausdruck pragmatischer Schriftlichkeit“ des Münsteraner Sonderforschungsbereichs „Träger, Felder, Formen pragmatischer Schriftlichkeit im Mittelalter“ entstanden. Mit dem Untersuchungsgegenstand der „sprichwörtlichen Redensarten“ wird eine Forschungsspur aufgenommen, für welche Ruth Schmidt-Wiegand selbst bereits die Wege gewiesen hat, auf denen ihr andere - zu erwähnen wäre etwa ihre Schülerin Brigitte Janz - gefolgt sind. Schoweist inzwischen auch als Mitarbeiterin an dem von Schmidt-Wiegand herausgegebenen Lexikon „Deutsche Rechtsregeln und Rechtssprichwörter“ (München 1996) hervorgetreten.

In der vorliegenden Untersuchung geht es um sprichwörtliche Redensarten, die aus der Strafrechtsgeschichte ihre Erklärung finden, die jedoch in der Gegenwart ihre Rechtsbezüglichkeit verloren haben, auch wenn der rechtsspezifische Ursprung weiterhin mehr oder weniger erkennbar bleibt. So wird zum Beispiel die Redensart „jemanden auf die Folter spannen“ heute im Sinne von „jemanden in quälende Spannung versetzen“ (Duden) genommen, das heißt als gemeinsame Schnittmenge zwischen historischer und moderner Bedeutung ist nur noch das Quälen übrig geblieben. Durch die Idiomatisierung ist sogar die ursprüngliche und entscheidende Rollenkonstellation verlorengegangen beziehungsweise ins Gegenteil verkehrt worden, indem der „auf die Folter Gespannte“ jetzt nicht mehr der Gefragte und Antworter ist, sondern im Gegenteil zu fragen an den „Folternden“ provoziert wird.

Die Verfasserin untersucht nach einer Methoden- und Definitionsfragen gewidmeten Einleitung folgende Redensarten: Jemanden auf die Folter spannen, jemandem Daumenschrauben anlegen, jemandem die Ehre abschneiden, jemanden an den Pranger stellen, jemandem etwas anhängen, mit Haut und Haar, vom Galgen aufs Rad kommen, Spießruten laufen, Charivari machen und jemandem aufs Dach steigen. Die genannten Redensarten haben ihren Ursprung im mittelalterlichen - und frühneuzeitlichen! - Strafprozessrecht, im materiellen Strafrecht und im maßregelnden Brauchtum. Als Quellen dienen rechtliche und literarische Texte sowie Wörterbücher. Tabellen und Abbildungen ergänzen die Ausführungen.

Idiomatisierungsprozesse der vorliegenden Art untersuchen, heißt von der Sprachwissenschaft in die Rechtsgeschichte eintauchen, ein Unternehmen, dass umso risikoreicher wird, je weiter gerade der Idiomatisierungsprozess fortgeschritten ist. Problematisch wird es aber für den Philologen dann, wenn er Gebiete betritt, auf denen der rechtshistorische Forschungsstand zu wünschen übrig lässt. Da dies auch hier streckenweise der Fall ist, kann es nicht verwundern, dass die vorliegende Arbeit in diesem Hindernislauf nicht ganz ohne Fehler ins Ziel gelangt. Freilich sind es punktuelle Vorbehalte und Fragen, die sich beim Rechtshistoriker einstellen. Insgesamt ist anzuerkennen, dass die Verfasserin solide Arbeit geleistet hat und zu überwiegend überzeugenden Ergebnissen gelangt ist.

 

Zürich                                                                                                                Clausdieter Schott