Stolleis, Michael, Konstitution und Intervention. S
BraunederStolleis20010921 Nr. 10417 ZRG 119 (2002) 55
Stolleis, Michael, Konstitution und Intervention. Studien zur Geschichte des öffentlichen Rechts im 19. Jahrhundert (= suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1526). Suhrkamp, Frankfurt am Main 2001. 287 S.
Die in diesem Sammelband vereinigten neun Beiträge, entstanden zwischen 1976 und 2000, samt einer Einleitung von Stolleis verbindet eine Thematik, die der Untertitel ersichtlich macht. Sie folgen, so Stolleis, „dem Grundgedanken, daß die Geschichte des öffentlichen Rechts sich nicht auf eine Dichotomie zwischen politischer Tat und reinem Gedanken festlegen lassen darf“ (9). Tatsächlich zeigt sich eine „Priorität des Gedankens, der lange vor der Tat entsteht und reift“ (9) am Verfassungsgeschehen im Revolutionsjahr 1848, das gedanklich-individuell, und überdies organisatorisch in Lesevereinen, darunter spezifisch juristischen, vorgedacht und vorbereitet worden war. Zwei Beiträge widmen sich denn auch direkt diesem Revolutionsjahr: „Verfassungsideale der Bürgerlichen Revolution“ und „1848 - ein Knotenpunkt der europäischen Geschichte“. In gewisser Weise gehört hierher auch „Die bayerische Gesetzgebung zur Herstellung eines frei verfügbaren Grundeigentums“, da eine entsprechende Entwicklung 1848 zum Abschluß kam. Hier geht es aber auch um ein rechtstheoretisches Problem, nämlich das In- und Miteinander von Privatrecht und öffentlichem Recht sowohl in seiner Verflechtung hinsichtlich der bäuerlichen Verhältnisse, aber auch im Einwirken von Verfassungsgedanken auf privatrechtliche Institute wie etwa das geteilte Eigentum. Das Umfeld von 1848 berührt ferner „’Junges Deutschland’, jüdische Emanzipation und Liberalstaatsrechtslehre in Deutschland“. Im Zentrum steht Biografisches: Edgar Loening, Heinrich Laube und sein Stiefsohn Albert Hänel, kürzer abgehandelt Levin Schücking, vor dem Hintergrund von insbesondere Zensur und Verlagswesen. Im Sinne des von Stolleis in der Einleitung zur „Priorität des Gedankens“ Gesagten steht auch der folgende Beitrag im Zusammenhang mit 1848: „Die Historische Schule und das öffentliche Recht“, die Stolleis nicht in einem Gegensatz zueinander sehen will: „Von einer scharfen Trennung zwischen historischem und dogmatischem Argument konnte im Staatsrecht keine Rede sein“, nämlich im älteren „ius publicum imperiale/territoriale“ (35). Eine „historisch/dogmatische“ Sicht habe dem öffentlichen Recht mehr oder minder stets angehaftet, Eichhorn in diesem Sinne im öffentlichen Recht nicht derart Neues wie Savigny im Privatrecht gebracht. Zur Beobachtung, im Konstitutionalismus sei das „historische Argument ... relativ gewichtlos“ gewesen (44), ist aufgrund der österreichischen Verfassungsentwicklung nachzutragen, daß die Anhänger der historischen Schule antikonstitutionell eine neuständisch beschränkte Monarchie konzipierten. In ähnlicher Weise wie der eben skizzierte Beitrag zählt auch „Nationalität und Internationalität: Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht des 19. Jahrhunderts“ zu 1848 und seinem Umfeld: Nicht nur beweist die Genealogie der europäischen konstitutionellen Verfassungen rechtsvergleichendes Arbeiten, durch Verfassungsvergleichung im Deutschen Bund entstand das allgemeine deutsche Staatsrecht als „die politische Hoffnung der Liberalen“ (186), die schließlich 1848 mitermöglichte.
Die übrigen Beiträge charakterisieren Entwicklungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: „’Innere Reichsgründung’ durch Rechtsvereinheitlichung 1866-1880“ bereitete 1870/71 vor bzw. führte das Erreichte aus. Trotz der zahlreichen Vereinigungsbeispiele bleibt allerdings der nicht unmaßgebliche Deutsche Zollverein unterbelichtet. Den neuen Charakter deutscher Reichsstaatlichkeit behandeln die beiden weiteren Beiträge „Die Sozialversicherung Bismarcks“ sowie „Die Entstehung des Interventionsstaates und das öffentliche Recht“. - Eine gelungene Zusammenstellung wichtiger Beiträge!
Wien Wilhelm Brauneder