Suevos - Schwaben. Das Königreich der Sueben auf der iberischen Halbinsel
GergenSuevos20000927 Nr. 1258 ZRG 119 (2001) 21
Suevos – Schwaben. Das Königreich der Sueben auf der Iberischen Halbinsel (411-585), hg. v. Koller, Erwin/Laitenberger, Hugo. Narr, Tübingen 1998. XXXVI, 244 S.
Der vorliegende Band über das Königreich der Sueben im Norden der iberischen Halbinsel vereint Tagungsbeiträge des Kolloquiums „Suevos-Schwaben“, das im März 1996 an der Universidade do Minho in Braga, der Residenz der Suebenkönige im 5. und 6. Jahrhundert, stattfand.
Es zeigte sich, daß es noch immer keinen Konsens über die Identität und geographische Herkunft dieser Volksgruppe gibt, die im Jahre 411 im Nordwesten der Iberia ein Königreich gründete. Die herrschende Meinung geht dahin, daß es sich um einen Teil der in Mähren siedelnden suebischen Quaden handelte, welche gemeinsam mit den ihnen benachbarten Vandalen und Alanen zu ihrem Zug nach Spanien aufgebrochen seien. Auch wird vertreten, daß die Sueben alamannisch seien, Schwaben also, die sich im deutschen Südwesten den beiden anderen Völkern auf deren Wanderung angeschlossen hätten[1]. In jedem Fall verbindet die iberischen Sueben mit den heutigen Schwaben die Identität ihres Namens, die die Herausgeber des Buches damit deutlich zum Ausdruck gebracht haben.
Für den Rechtshistoriker interessant ist der Aufsatz „Os Concílios Suevos de Braga (561 e 572)“[2], in dem Franquelim Neiva Soares die beiden Konzilien analysiert, die in suebischer Zeit in Braga abgehalten wurden und die als die ersten nationalen Konzilien auf der iberischen Halbinsel gelten können. Sie setzten die durch Martin von Dume (Braga) vorangetriebene Rekatholisierung der Sueben in der Zeit ihres Königs Charrarich/Chararicus voraus. Das erste Konzil fand 561 unter Teilnahme von acht Bischöfen unter dem Vorsitz des Bischofs Lucretius statt. Es wurden die an Bischof Balconius gesandten Glaubensregeln verlesen sowie 17 anti-priszilianische und anti-arianische Glaubenssätze erlassen. Ferner beschloß man 22 Disziplinarregeln, welche die Liturgie und die Lebensführung des Klerus betrafen.
Ging das erste Konzil noch von der Einheit des Reiches aus, setzte das zweite, das 572 unter der Herrschaft des Königs Miro und unter Vorsitz Martins von Braga tagte, schon die Teilung des Königreiches in zwei Synodalprovinzen voraus. Getrennt durch den Fluß Lima verfügten sie über Braga (heute Portugal) bzw. über Lugo (heute Spanien/Galizien) als jeweilige Hauptorte. Beschlossen wurden zehn Kapitel, die insbesondere die bischöflichen Pastoralvisiten in den Pfarreien und Maßnahmen gegen die Simonie zum Thema hatten[3].
Neben der Konziliengeschichte findet der Rechtshistoriker sicherlich noch Gefallen an der Rezeptionsgeschichte des Sueven-Mythos. Wolfgang Brückner von der Universität Würzburg widmet sich Felix Dahn in seinem Beitrag „Der Germanen-Mythos bei Felix Dahn. Ein Beitrag zur Sueven-Diskussion in Portugal und Spanien“[4]. Dahn, zu seiner Zeit erfolgreicher Autor historischer Romane, verfaßte 1861 im sechsten Band seines Werkes „Die Könige der Germanen“ ein Kapitel über „Das Reich der Sueven in Spanien“. Neben den ereignisgeschichtlichen Daten dieses Stammes erfaßte er auch dessen verfassungsrechtliche Ordnungsstrukturen, die wohl eher auf den kirchlichen Verwaltungsstrukturen beruhten, war doch von sozialer Gliederung oder Hoheitsrechten des Königshauses so gut wie nichts bekannt. Im 569 Seiten umfassenden Band über die „Verfassung der Westgothen“ schrieb Dahn immerhin ganze 23 Seiten über die Sueven. In seinem Rechtsdenken verband sich die sein Zeitalter überdauernde geistesgeschichtliche Strömung des Historismus mit den nationalen Emotionen der Reichsgründungsepoche. Dahn griff sehr oft zu Kaskaden unvergorener Empfindungen und nationaler Ressentiments[5] und brachte außerdem den Kampf der germanischen Sueven gegen die Kirche mit dem „Kulturkampf“ Otto von Bismarcks bzw. Preußens gegen das Papsttum in enge Verbindung. Brückner arbeitet anhand des Suevenbeispiels gut heraus, wie sehr das 19. Jahrhundert Germanenmythen schuf und wie sehr Dahn mit seinem umfangreichen Schrifttum an dieser Mythisierung mitgewirkt hatte.
Der Tagungsband stellt zum Abschluß noch einige interessante Brauchtumselemente der Sueven vor. Erwähnt seien gewohnheitsrechtliche Bräuche, wie der Brautraub oder der Handschlag als wichtiges Element des Zustandekommens eines Vertrages. Es ist davon auszugehen, daß solches Gewohnheitsrecht zu einer nicht überlieferten umfassenderen „lex suebica“ (einem suebischen Stammesrecht) gehörte[6].
Saarbrücken Thomas Gergen
[1] Vgl. hierzu bereits die Dissertation von Stefanie Hamann, Vorgeschichte und Geschichte der Sueben in Spanien, Regensburg 1971.
[2] S. 63-80.
[3] Zum Thema bereits: Gonzalo Martinez Diez, Los concilios suevos de Braga en las colecciones canónicas de los siglos VI-XII, O Concílio de Braga e a função da legislação particular da Igreja. Actas da XIV Semana Internacional de Direito Canónico, commemorativas do XIV Centenário do II Concílio de Braga, Braga 1975, S. 93-105 sowie in deutscher Sprache von Knut Schäferdieck, Die Kirche in den Reichen der Westgoten und Suewen bis zur Errichtung der westgotischen katholischen Staatskirche, Berlin 1967 (Arbeiten zur Kirchengeschichte 39).
[4] S. 167-182.
[5] Vgl. Dietmar Willoweit, Felix Dahn (1834-1912); Dietrich Rauschning/Dorata von Nerée (Hrsg.), Die Albertus-Universität zu Königsberg und ihre Professoren aus Anlaß der Gründung vor 450 Jahren, Berlin 1995, S. 349-357 (Jahrbuch der Albertus-Universität 29).
[6] Fermin Bouza-Brey Trillo, Supervivencias antroponímicas, toponomásticas, antropológicas, jurídicas y folclóricas de la Galicia Sueva, Bracara Augusta 22 (1968), S. 197-203 (hier 201 und 202); Fermin Bouza-Brey Trillo, Breves notas hipoteticas sobre Instituciones Suevicas na Gallecia, Bracara Augusta 22 (1968), S. 204-212 (hier 209).