Weiser, Johanna, Geschichte der preußischen Archivverwaltung und ihrer Leitung.

* Von den Anfängen unter Staatskanzler von Hardenberg bis zur Auflösung im Jahre 1945 (= Veröffentlichungen aus den Archiven preußischer Kulturbesitz, Beiheft 7). Böhlau, Köln 2000. VII, 329 S. Besprochen von Rainer Polley. ZRG GA 119 (2002)

PolleyWeiser20010921 Nr. 10288 ZRG 119 (2002) 56

 

 

Weiser, Johanna, Geschichte der preußischen Archivverwaltung und ihrer Leitung. Von den Anfängen unter Staatskanzler von Hardenberg bis zur Auflösung im Jahre 1945 (= Veröffentlichungen aus den Archiven preußischer Kulturbesitz, Beiheft 7). Böhlau, Köln 2000. VII, 329 S.

 

Die Verfasserin ist Archivarin und Historikerin und war langjährige Leiterin des Zentralen Staatsarchivs, Dienststelle Merseburg, deren Bestände nach der Wiedervereinigung Deutschlands zum Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem (zurück)gelangten. Interesse wie Kompetenz und Quellenkenntnis der Verfasserin, die als Direktorin einer nunmehr aufgelösten Nachfolgeinstitution des Geheimen Preußischen Staatsarchivs angesehen werden kann, liegen daher auf der Hand. Unter preußischer Archivverwaltung, einer amtlichen Bezeichnung, die seit Reinhold Koser (1899) zum Titel „Generaldirektor der Staatsarchive“ gesteigert wurde, ist die zentrale Archivverwaltung über dem gesamtstaatlichen Geheimen Staatsarchiv und den Staatsarchiven in den preußischen Provinzen zu verstehen. Diese Archivverwaltung ressortierte nach 1810 vom Staatskanzler, dann vom Staatsministerium und zuletzt vom Präsidium des Staatsministeriums. Von ihr gingen die maßgeblichen archivfachlichen und wissenschaftlichen Entscheidungen zur äußeren und inneren Organisation des Archivwesens in Preußen und der Archivpflege bis in das Gemeindearchivwesen hinein aus. Auch ist der Archivverwaltung die Initiierung und Koordinierung der Aktivitäten der Archive im Dienste der Forschung zu verdanken, die sich in zahlreichen herausragenden Publikationsreihen niedergeschlagen haben. Die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zu (General)direktoren bestellten Persönlichkeiten wie Karl Wilhelm von Deleuze de Lancizolle (Jurist und Rechtshistoriker, Schüler und Vertrauter Friedrich Carl von Savignys) und die Historiker Max Duncker, Heinrich von Sybel, Reinhold Koser, Paul Fridolin Kehr und Albert Brackmann waren nach einer bereits erfolgreichen Universitätskarriere in ihrem Archivamt berühmte, vielseitige Wissenschaftsorganisatoren ihrer Zeit gewesen. Für die meisten von ihnen würden sich längere Spezialabhandlungen rechtfertigen und lohnen. Mit ihrer Darstellung verbindet die Verfasserin den Mut zur Selbstbescheidung, die bisher über Teilfragen und einzelne Zeitabschnitte nicht hinausgekommene Geschichte der Archivverwaltung in einem ersten Versuch als Ganzes zu sehen und die Rolle und Bedeutung ihrer leitenden Mitarbeiter darzulegen, die ihr in den verschiedenen Zeitläuften das Gepräge gegeben haben. Die Arbeit versteht sich als Anschubinformation für weiterreichende, der Vielfalt des Gegenstandes angemessene Untersuchungen, für die eine transparent gemachte ausgezeichnete Quellenbasis vorliegt. Besonders ausführlich wird die Amtszeit des letzten Generaldirektor Ernst Zipfel, zugleich Direktor des Reichsarchivs, geschildert, die in den Wirren des Zweiten Weltkrieges extremen Anspannungen ausgesetzt war. Die Verfasserin behandelt auch kurz die Institutionen der preußischen Archivausbildung, von der Marburger Archivschule (1894) bis zum Institut für Archivwissenschaft und geschichtswissenschaftliche Fortbildung (1930). Es wäre gut gewesen, wenn sie in einem Exkurs auch die leitenden Köpfe des von der Archivverwaltung bis 1874 unabhängigen Geheimen Ministerialarchivs und des 1851 abgesonderten Königlichen Hausarchivs in begrenztem, aber angemessenem Umfang charakterisiert hätte. Ein kurzer Rückblick auf die Archivorganisation Brandenburg-Preußens im Ancien Regime hätte die mit der Reformzeit beginnende Darstellung besser eingeleitet. Einige Bildbeigaben vergegenwärtigen die Gebäude des Geheimen Archivs und der Porträts der Direktoren. Im Anhang werden wichtige organisatorische Regelungen, Mitteilungen und Erläuterungen der Archivverwaltung in einer Auswahl abgedruckt. Sie ermuntern mit den weitergehenden Anmerkungen in der Darstellung dazu, die Benutzungsregelungen seit Hardenberg einmal in vollem Umfang editorisch zusammenzustellen. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis und ein Verzeichnis der Orts- und Personennamen beschließen die Veröffentlichung, die zwar nicht alle Fragen über die preußische Archivverwaltung in angemessenem Umfang beantwortet, aber eine gute Grundlage für weitere Forschungen bietet.

 

Marburg an der Lahn                                                                                        Rainer Polley