Widmaier, Christian, Häftlingshilfegesetz, D
KorziliusWidmaier20010831 Nr. 10354 ZRG 119 (2002) 89
Widmaier, Christian, Häftlingshilfegesetz, DDR-Rehabilitierungsgesetz, SED-Unrechtsbereinigungsgesetze: Rehabilitierung und Wiedergutmachung von SBZ/DDR-Unrecht?. Lang, Frankfurt am Main 1999. 367 S.
Nach dem Fall eines Unrechtsregimes steht stets die Frage der Aufarbeitung der von diesem angerichteten Folgen im Raum. Aufarbeitung erfordert dabei vor allem politisches Handeln und gesellschaftliche Auseinandersetzung. Zwei Bereiche können jedoch auf dieser allgemeinen Ebene nicht befriedigend behandelt werden: die Frage, was mit den Tätern einerseits und mit den Opfern andererseits geschieht. Während es bei den Tätern darum geht, wie sie zur Verantwortung zu ziehen, zu bestrafen sind, geht es bei den Opfern um einen Ausgleich für erlittenes Unrecht. Erfreulich schnell hat nun Christian Widmaier zur Aufarbeitung von DDR-Unrecht eine umfassende Darstellung des zweiten Bereichs vorgelegt.
Zunächst bietet der Verfasser dem Leser - in, angesichts der Fülle an Literatur, die inzwischen hierzu vorliegt, gebotener Kürze - einen Abriß der politischen Verfolgung in der SBZ/DDR. Nach einem flüchtigen Blick auf das bundesdeutsche Recht zugunsten politisch Verfolgter aus der DDR vor 1989, namentlich im Häftlingshilfegesetz und im Rechtshilfegesetz, geht der Verfasser zunächst auf die Lage in der DDR in der Wendezeit im Herbst 1989 ein. Er zeichnet sehr genau nach, wie die ersten Forderungen nach Rehabilitierung und Entschädigung aufkamen und von den „Runden Tischen“ aufgegriffen wurden. Daß dann bereits im November 1989 das DDR-Justizministerium selbst die Initiative zu einer rechtlichen Regelung der Rehabilitierung ergriff, interpretiert Widmaier lediglich als halbherziges, reflexartiges Reagieren und als einen der Versuche, durch gewisse Zugeständnisse die schon gefährdete Macht noch zu erhalten. In dieser Phase wurden parallel zu den beginnenden Arbeiten an einem Gesetzentwurf zunächst einige bekannte politische Urteile (etwa Janka und Harich) im Wege der Kassation aufgehoben.
Die darauf folgende Vorbereitungsphase eines DDR-eigenen Rehabilitierungsgesetzes und dessen Verabschiedung in der letzten Volkskammer (1990) untersucht Widmaier sehr ausführlich unter umfangreicher Verwendung von Archivmaterial des DDR-Justizminsteriums. Ein erster Entwurf vom Januar 1990 sah eine Rehabilitierung nur in wenigen Fällen vor: es sollte sich um die politischen Delikte im 2. und 8. Kapitel des DDR-StGB handeln, soweit die Täter in legitimer Wahrnehmung verfassungsmäßiger politischer Grundrechte handelten. An arbeits- und verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsmaßnahmen wurde zu diesem Zeitpunkt noch nicht gedacht. Dies war im großen und ganzen auch der Stand des von der eigens geschaffenen „Gesetzgebungs-Kommission“ vorgelegten ersten Entwurfs Mitte Februar 1990. Im zweiten Entwurf von Ende April 1990 sind demgegenüber bereits einige auffallende Veränderungen erkennbar, z. B. von der Rehabilitierung per Gesetz zur gerichtlichen Aufhebung im Einzelfall, auch im Bereich der Berechnung der materiellen Entschädigung. Etwa gleichzeitig begann man, über den Aspekt der beruflichen Rehabilitierung nachzudenken, und zwar nicht nur im Sinne einer Entschädigung für beruflichen Fortkommensschaden wegen einer Inhaftierung, sondern auch für die Fälle, in denen eine berufliche Diskriminierung ohne bzw. anstelle einer strafrechtlichen Sanktionierung als Mittel politischer Repression eingesetzt wurde.
Besonders interessant und aufschlußreich sind m. E. die Ausführungen zur Republikflucht. Die Bestrafung der Republikflucht wurde von den Entwürfen nicht schlechthin als rechtswidrig qualifiziert, rehabilitiert werden sollten lediglich diejenigen wegen versuchter Republikflucht Bestraften, welche politisch verfolgt waren und deswegen versuchten, die DDR zu verlassen. Auch die Entwicklung in der Frage der von sowjetischen Stellen Verurteilten ist beachtenswert. Eine Aufhebung von Urteilen sowjetischer Stellen war zunächst nicht geplant, erst Anfang Mai schlug die Gesetzgebungskommission vor, auch für diesen Personenkreis Rehabilitierungsmaßnahmen vorzusehen.
All diese Ausweitungen enthielt dann der vierte Gesetzentwurf vom 30. Mai 1990. Er stellte die strafrechtliche, verwaltungsrechtliche (hierunter fallen etwa die Zwangsumsiedlungen von der innerdeutschen Grenze, Zwangseinweisungen in psychiatrische Einrichtungen wurden demgegenüber erst Ende Juni in den Gesetzentwurf aufgenommen) und berufliche Rehabilitierung gleich, ebenso die nach dem 8. Mai 1945 vorgenommenen Akte der Besatzungsmächte, dieser Teil wurde allerdings im Juli schon wieder gestrichen.
Auch die Entwicklung der Diskussion um den Umfang der materiellen Entschädigung wird von Widmaier übersichtlich nachgezeichnet. War anfangs noch ein kompletter Ersatz des eingetretenen Vermögensschadens geplant, sah der Entwurf vom 30. Mai 1990 (wohl aus fiskalischen Gründen) nur noch soziale Ausgleichsleistungen vor, bei eingezogenen Vermögenswerten galt der Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“.
Im August wurde das Gesetz in der Volkskammer beraten und im September verabschiedet, es sollte jedoch nicht lange in Kraft bleiben. Im Einigungsprozeß konnte die DDR-Seite in den Verhandlungen die Übernahme des Rehabilitierungsgesetzes in gesamtdeutsches Recht nicht erreichen, die westdeutsche Seite stimmte einer vorübergehenden Weitergeltung lediglich der strafrechtlichen Rehabilitierung zu, im übrigen sollte die Materie gesamtdeutsch neu geregelt werden. Nach Widmaier waren hierfür vor allem fiskalische Überlegungen seitens der Bundesregierung verantwortlich.
Während die SPD-Fraktion zunächst davon ausging, das Rehabilitierungsgesetz der Deutschen Demokratischen Republik sei eine gute Grundlage, die man lediglich modifizieren wollte, war man seitens der damaligen Regierungskoalition für eine komplette Neuregelung. In der Diskussion um das erste SED-Unrechtsbereinigungsgesetz (zur strafrechtlichen Rehabilitierung) tauchten dieselben Probleme wie in der DDR-Diskussion 1989/90 wieder auf, namentlich die Frage des durch die sowjetische Besatzungsmacht und des östlich der Oder-Neiße-Grenze ausgeübten Unrechts (beide Bereiche wurden schließlich nicht in das Gesetz aufgenommen). Widmaier gelingt es auch hier, die Diskussion in allen Einzelheiten nachzuvollziehen, insbesondere wird die Position der Opfer-Verbände und ihr Einfluß auf das Gesetzgebungsverfahren ausführlich berücksichtigt, gleiches gilt für die Entstehungsgeschichte des zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes (welches die Maßnahmen zur beruflichen und verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung enthält).
Besonders positiv hervorzuheben ist, daß der Verfasser abschließend auch zur Bewährung des Rehabilitierungsrechts in der Praxis Stellung nimmt. Sinnvoll ist hierbei der Ansatz, die Aufarbeitung von DDR-Unrecht mit der Aufarbeitung von NS-Unrecht zu vergleichen. Widmaier kommt hierbei zu dem Ergebnis, daß die NS-Opfer im großen und ganzen besser entschädigt worden sind als die Opfer von DDR-Unrecht, die Gründe hierfür sieht er u. a. im besseren Organisationsgrad der NS-Opfer, im völkerrechtlichen Druck, der auf Deutschland nach 1945 lastete, und in der Auffassung der heutigen Bundesrepublik, nicht Rechtsnachfolgerin der Deutschen Demokratischen Republik zu sein, weshalb das DDR-Unrecht als fremdstaatliches Unrecht angesehen werden konnte und daher keine Entschädigungspflicht angenommen wurde.
Auf der anderen Seite muß aber auch deutlich darauf hingewiesen werden, daß die von einer Entschädigung erfaßten Personengruppen im Fall der „SED-Unrechtsbereinigungsgesetze“ wesentlich umfangreicher sind als im Fall der NS-Opfer, da das StrRehaG lediglich die Rechtsstaatswidrigkeit von Maßnahmen der DDR als Voraussetzung hat, während im Bereich der NS-Opfer fast ausschließlich rassisch oder politisch Verfolgte erfaßt wurden. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der sog. „Asozialen“: während sie zu den „vergessenen Opfern“ des Nationalsozialismus gehören, wurden „Asoziale“ der DDR von der gerichtlichen Praxis in großer Zahl auf der Grundlage des StrRehaG rehabilitiert. Hier besteht weiterhin Handlungsbedarf des Gesetzgebers zugunsten der NS-Opfer, um eine Gleichstellung zu erreichen.
Norderstedt Sven Korzilius