Ars mercatoria
Ars mercatoria. Handbücher und Traktate für den Gebrauch des Kaufmanns, 1470-1820. Eine analytische Bibliographie in 6 Bänden. Band 3 Analysen (1470-1700), hg. v. Hoock, Jochen/Jeannin, Pierre/Kaiser, Wolfgang. Schöningh, Paderborn 2001. XII, 206 S.
Mit dem vorliegenden Band 3 wird eine Zwischenbilanz über die Erkenntnisse aus den bisher erschienenen Bände der Bibliographie[1] gezogen. Insgesamt sieben Autoren haben mit unterschiedlichen Kriterien der Beurteilung die Fülle des vorliegenden Materials bewertet. Im Vordergrund stehen allerdings mehr buchtypische Merkmale anstelle inhaltlicher Maßstäbe (mit Ausnahme des Beitrags von Lemarchand über die Buchführung). Eine statistische Auswertung unternimmt zu Beginn des Bandes Kaiser mit Untersuchungen vor allem über die Beziehungen von Druckorten und Handelszentren, wobei seinen Schlussfolgerungen nicht immer gefolgt werden kann: für Frankfurt am Main (S. 13) stellt sich vielleicht auch die Frage, ob die dort genannte Druckerdynastie sich gerade wegen der Konzentration des Buchhandels an diesem Ort hier angesiedelt hat; die konstatierte Nichtabhängigkeit der Druckorte vom Handelsplatz auf S. 8/9 wird eigentlich durch die Feststellungen auf S. 15 über den Aufstieg Hamburgs und Amsterdams widerlegt. Die auf S. 16/17 für Frankreich festgestellte Divergenz zwischen Handelsorten und Druckorten (gegenüber dem Reich) lässt sich vielleicht damit erklären, dass es sich bei Frankreich im Gegensatz zum Reich um einen Zentralstaat handelt. Mit dem Verlagswesen auf dem Gebiet der kaufmännischen Handbücher befasst sich Jeannin. Neben werblichen Aspekten dergestalt, dass die Verfasser z. B. von Rechenbüchern auf die von ihnen jeweils betriebenen Unterrichtsanstalten oder auf die Billigung des Buches durch besondere (kaufmännische) Autoritäten verweisen, tauchen auch für Juristen interessante Aspekte auf. Zu nennen sind hierfür die Beziehungen zwischen Autor und Drucker und/oder Verleger mit entsprechenden Hinweisen auf die Erteilung von Privilegien sowie die Ausführungen über die Preisgestaltung (S. 84ff.). Bei letzteren stellt sich durchaus die Frage, ob mit diesen in die Bücher eingedruckten Preisen eine frühe Art der Preisbindung erreicht werden sollte. Ferner wird in diesem Zusammenhang zu Recht auf die Möglichkeit von „Preisabsprachen“ hingewiesen, da sich die Preise der Werke verschiedener Autoren auf einem gleichmäßigen Niveau eingependelt haben; ein Problem, dem sich auch der Gesetzgeber im Hinblick auf Zunftordnungen annehmen musste. Eine Darstellung der Entwicklung der Buchhaltungswissenschaft liefert Lemarchand. Er untersucht zunächst den Adressatenkreis der sog. Rechenbücher, die dem täglichen Gebrauch im Laden dienten, was wiederum Einfluss auf die Druckformate haben musste, worauf bereits Kaiser hingewiesen hatte (S. 24). Im Zeitalter des Merkantilismus stieg das Ansehen der Buchhalter, sie wurden gut bezahlt, so dass diese Spezialisten vor allem in den großen Handelshäusern Verwendung fanden. Danach wird die Herkunft der Buchhalter untersucht und schließlich die Methoden der Werbung der Autoren zur Förderung des Absatzes ihrer Werke, die (notwendigerweise) weitgehend den gleichen Inhalt haben (mussten). Man musste sich gegenüber den Konkurrenten abheben, entweder durch eine neue einfachere Methode der Darstellung, die hervorgehobene Billigung der Arbeit durch Handelsautoritäten oder durch eine Erweiterung und Detaillierung des Inhalts. Hierbei konnte es nicht ausbleiben, dass eine konkrete „vergleichende“ Werbung betrieben wurde, wofür illustrativ eine literarische Auseinandersetzung zweier Autoren dargestellt wird (S. 113ff.). Schließlich geht Lemarchand auf die gewählten didaktischen Formen der Darstellung ein: die Verwendung von Beispielen, von Frage und Antwort, einer lexikalischen Form, der Ableitung aus allgemeinen Regeln und Prinzipien. In diesem Rahmen taucht dann bei der Klassifizierung der verschiedenen Kontenarten eine Wertungsmöglichkeit auf, die im 20. Jahrhundert erst ihre volle (rechtswissenschaftliche) Wirkung entfalten sollte: die sog. Verselbständigung des Unternehmens (S. 125/126). Im Anschluss an die dargestellten didaktischen Beispiele stellt Bottin in seinem Beitrag die Frage, ob sich aus den Lehrbüchern der Buchführung Hinweise auf die tatsächliche Entwicklung von Handelsbeziehungen und Wirtschaftswachstum entnehmen lassen, eine spannende Fragegestellung angesichts der allgemeinen, mehr oder minder pauschalen Darstellungen des Handels für diese Zeit. Anhand von drei Lehrbüchern aus unterschiedlichen Zeiten kommt er zum Ergebnis, dass die darin enthaltenen Lehrbeispiele von der Wirklichkeit inspiriert sind, die Verlagerung von Handelsschwerpunkten widerspiegeln wie auch die Europäisierung des Handels und die Einführung „neuer“ Handelsformen wie die Gesellschaften. Damit wird das Augenmerk auf ein wichtiges Hilfsmittel für die Erforschung der Handels- und Wirtschaftsgeschichte gelenkt, auf das herkömmlicherweise nicht zurückgegriffen wird. Mit der inhaltlichen Erweiterung von „Kaufmannsbüchern“ befasst sich Hoock, indem er die Ergänzung der Bücher, ausgehend von Reiserouten, um handelsspezifische Materien untersucht. Aber auch hier sei fragend angemerkt, ob die Erweiterung der Karten zu einer Ausdehnung der Handelsbeziehungen geführt hat (S. 163) oder ob nicht umgekehrt Handelsexpeditionen neue kartographische Erkenntnisse gebracht haben. Jedenfalls zeigt sich deutlich die Verbreiterung der Darstellung, so dass aus einem „Taschenbuch“ letztlich ein Handbuch wird, wobei letzteres kaum mehr als Reisebegleiter dienen konnte. Auf einen Aspekt weist schließlich Wolff-Thomsen hin, der dem Betrachter zwar ins Auge springen soll, von ihm aber kaum als Quelle der Forschung wahrgenommen wird: die Titelgraphik. Selbst aus ihr ergeben sich die bereits von den anderen Mitarbeitern an diesem Band hervorgehobenen Aspekte einer werblichen Gestaltung der Bücher, hier besonders hervorgehoben für das Rechenbuch von Adam Riese, mit dessen Abbild die besondere Seriosität des Buchinhalts betont wird, oder die sich auch aus den Titelbildern ergebende Verlagerung der Handelstätigkeit vom Kontor auf die Börse. Abgerundet wird der Band mit neueren Erkenntnissen über den Lebenslauf von Bartolomé Salvador de Solorzano, dem spanischen Autor eines Buchführungslehrbuches.
Wenn auch die Beiträge nicht explizit auf juristische Themen abgestellt sind, so zeigen sie dennoch auf, dass auch zunächst randständig erscheinende Werke es durchaus wert sind, für die rechtshistorische Forschung zur Abrundung herangezogen zu werden.
Frankfurt am Main Siegbert Lammel
[1] Dazu die Rezensionen in ZRG Germ. Abt. 111 (1994) 640 – 644.