Battenberg, J. Friedrich, Die Juden

in Deutschland vom 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts (= Enzyklopädie deutscher Geschichte 60). Oldenbourg, München 2001. XII, 180 S. Besprochen von Bernd-Rüdiger Kern.

Battenberg, J. Friedrich, Die Juden in Deutschland vom 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts (= Enzyklopädie deutscher Geschichte 60). Oldenbourg, München 2001. XII, 180 S.

 

Der vorliegende Band füllt die Lücke zwischen Michael Tochs „Die Juden im mittelalterlichen Reich“ und Shulamit Volkovs „Die Juden in Deutschland 1780 – 1918“. Damit bietet die Enzyklopädie deutscher Geschichte die Historie der Juden in Deutschland von den Anfängen des mittelalterlichen Reiches bis 1945. Geschichte wird dabei in einem umfassenden Sinne verstanden, der Gesellschafts-, Wirtschafts-, Verfassungs-, Religions-, Kultur- und Rechtsgeschichte mit einbezieht. Diese Aufzählung ist noch nicht einmal vollständig. Das bedeutet, daß das zu besprechende Werk die Rechtsgeschichte nur gelegentlich zum Gegenstand hat.

 

Für die Epochenbestimmung ergibt sich das Problem, daß  Mittelalter und frühe Neuzeit für die Juden in Deutschland nicht zeitgleich mit der sonstigen Entwicklung im Reich angesetzt werden können, sondern deutlich später, ohne daß eine genaue Zeitangabe heute schon möglich wäre. Das bestimmt auch den Aufbau des ersten Kapitels (enzyklopädischer Überblick). Nachdem er Grundfragen und Rahmenbedingungen erörtert hat, teilt Battenberg die Entwicklung auf in die Zeit bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts und die Zeit vom 30jährigen Krieg bis zur Aufklärungszeit. Obwohl die Geschichte des Judentums in Deutschland vielfältig mit der der Christen verbunden und verwoben ist, läßt sich doch der Schritt in die Neuzeit für die Juden erst zum Ende des Dreißigjährigen Krieges setzen.

 

Schon in diesem ersten Teil werden alle rechtshistorisch interessanten Fragen angeschnitten. Das Verhältnis der Juden zu den Christen, insbesondere zu der christlichen Obrigkeit, nochmals unterteilt in Landesherren und Kaiser und Reich, aber auch das Binnenverhältnis der jüdischen Gemeinde und hier wiederum das Verhältnis zwischen Aschkenasen und Sefarden.

 

Von besonderem rechtshistorischem Interesse sind die Kapitel über die Territorialbildung und die Entwicklung der Judenschutzrechte (I.1.4; I. 2.2). Aber auch bei anderen Themen, wie z. B. „antijüdische Traditionen der Kirchen und christlicher Obrigkeiten“, finden sich Ausführungen zur Rechtsgeschichte (vgl. nur S. 21).

 

Ein weiteres hier interessierendes Thema wird unter dem Titel „Organisationsstrukturen, Regionen und Zusammenschlüsse“ (I.2.4) erörtert. Auch im Zusammenhang mit der Entwicklung der Berufsstruktur (I.2.6) werden Teile von juristischer Relevanz mitbehandelt, beispielsweise die Legalisierung des Zinsgeschäfts (S. 31). Dieselben Themen werden dann noch einmal für die Zeit nach 1648 angesprochen: „Landjudenschaftliche Organisationen“ (I.3.3), und „Jüdischer Alltag: Familie, Gemeinde,  Minhagim“ (I.3.7). Neue Themen höchst unterschiedlicher wirtschaftlicher Voraussetzungen treten hinzu, so „Die institutionalisierte Hofjudenschaft“ (I.3.4) und „Armut und Betteljudentum“ (I.3.5).

 

In einem zweiten größeren Kapitel werden Grundprobleme und Tendenzen der Forschung dargestellt. Hier wird der Forschungsstand an Hand von Einzelthemen dargeboten, die sich aus der vorhergehenden Überblicksdarstellung ableiten. Nochmals werden hier die Versuche reichsweiter Organisation (S. 65) und Ausbildung neuer Solidarität (S. 66f.) aufgegriffen. Auch das Thema „Aschkenasische und Sefardische Sonderentwicklung“ (II.1.3) weist zahlreiche rechtshistorisch interessante Problemstellungen auf.

 

Einen rechtsgeschichtlichen Schwerpunkt bildet weiterhin das Kapitel „Gemeindliche Autonomie, Kaisernähe und territoriale Untertanenschaft“ (II.1.4) sowie „Halacha und ‚Judenrecht‘ der Privilegien, Ordnungen und Policeyverordnungen“ (II.2.2). Hier stellt Battenberg in Frage, ob die bisherige auf Guido Kisch zurückgehende, herrschende Ansicht noch aufrecht zu erhalten ist. Im Anschluß an Kisch wurde bisher bezüglich des innerjüdischen Rechts und des Judenrechts, der Regelungen der Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden, von zwei separaten Rechtskreisen ausgegangen. Diese These ist für das Mittelalter schon in Frage gestellt, für die Neuzeit fehlt es bisher an entsprechenden Arbeiten. Der Verfasser schließt allerdings schon aus den rabbinischen Respondenzen, daß auch in der Neuzeit die Rechtskreise enger miteinander verwoben waren, als es bisher überwiegend angenommen wurde. Zugleich stellt er in Frage, ob es neben dem innerjüdischen Recht noch ein selbständiges obrigkeitliches Judenrecht gab. Er geht davon aus, daß die Juden keineswegs vom allgemeinen Recht ausgenommen waren und das sogenannte „Judenrecht“ nur eine ergänzende Funktion wahrgenommen hat. Das nichtjüdische Judenrecht variierte nur das allgemeine Recht im Hinblick darauf, daß bestimmte Vorschriften aus theologischen Gründen für Juden unanwendbar waren.

 

Unter dem Titel „Rabbinat und gemeindliche Führungsgruppen: Professionalisierung“ (II. 2.5) findet sich wiederum rechtshistorisch Erhebliches, etwa das Verhältnis des Rabbinats zu den christlichen Gerichten. Entsprechendes gilt für die Zeit vom 30jährigen Krieg bis zur Aufklärungszeit. Hier sind zu nennen die Punkte II.3.1, 3.3, 3.4, 3.5 und zum Teil auch 3.7. Was hier über die jüdischen Geschäftsfrauen gesagt wird, läßt sich vielleicht auch durch die frühneuzeitliche Stellung der Kauffrau im deutschen Recht erklären; zumindest sollte dieser Gesichtspunkt in die Diskussion eingeführt werden.

 

Im dritten Kapitel wird ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis vorgestellt. Ein Register, das Namen, Orte und Sachen erfaßt, bildet den Abschluß des Bandes.

 

Insgesamt gelingt es Battenberg, einen überzeugenden Überblick über die Forschung bezüglich der Juden in Deutschland in dem genannten Zeitraum zu bieten. Daß an manchen Stellen mehr Fragen aufgeworfen als Antworten gegeben werden, kennzeichnet den Forschungsstand als teilweise noch weit hinter den Erfordernissen zurückbleibend. Das hat auch damit zu tun, daß bisher teilweise „ausschließlich die Opferrolle der Juden als Verfolgte, Vertriebene, Diskriminierte und der christlichen Willkür Ausgelieferte“ gesehen wurde (S. XII). Der Autor hat es sich zur Aufgabe gestellt, erst einmal den Blick dafür zu öffnen, daß es daneben auch eine andere Seite gab, eine eigenständige jüdische Kultur in Nachbarschaft zur christlichen. Das ist ihm mit einer sachlichen Beschreibung des Forschungsstandes, die weder apologetisch noch anklagend ausfällt, hervorragend gelungen. Forschungen zur Geschichte der Juden in Deutschland können sinnvoll nur in dieser unaufgeregten Art und Weise erfolgen. Den Zugang dazu eröffnet Battenberg mit der Aufarbeitung einer geradezu überwältigenden Materialfülle.

 

Leipzig                                                                                                Bernd-Rüdiger Kern