Buhlmann, Günther, Der kurkölnische Hofrat 1597 bis 1692

– Entstehungsgeschichte und Rechtsgrundlagen (= Rheinisches Archiv 138). Böhlau, Köln 1998. 346 S. Besprochen von Wolfgang Sellert.

Buhlmann, Günther, Der kurkölnische Hofrat 1597 bis 1692 – Entstehungsgeschichte und Rechtsgrundlagen (= Rheinisches Archiv 138). Böhlau, Köln 1998. 346 S.

 

Gegenstand dieser Kölner Dissertation ist eine Epoche des kurkölnischen Hofrats, die in der rechtsgeschichtlichen Forschung bisher noch nicht untersucht worden ist. Es ist ein Zeitraum, in dem der Hofrat – wie vergleichbare Einrichtungen in vielen anderen deutschen Territorien des 16. und 17. Jahrhunderts auch – nicht nur als Regierungs-, Verwaltungs- und Justizbehörde, sondern auch als Lehenskammer tätig gewesen ist. Untersuchungsgegenstand ist zusätzlich die kurkölnische Hofkammer als Finanzbehörde, die teils mit dem Hofrat gemeinsam die anfallenden Aufgaben bewältigte, teils aber auch mit diesem in bestimmten Fällen konkurrierte, so daß es zu negativen und positiven Kompetenzkonflikten kommen konnte. Rechtliche Grundlagen beider Behörden sind mehrere „Ordnungen“ – der Verfasser spricht sogar von „Kodifikationen“ – , die in dem Untersuchungszeitraum ergangen sind.

 

In der Arbeit soll es einerseits um den „kurkölnischen Hofrat und sein weitergreifendes Wirken“, andererseits aber ebenso um eine entwicklungsgeschichtliche Darstellung und rechtliche Würdigung der Inhalte seiner „Ordnungen“ gehen, die, angefangen von der „Rhatz- und Canzleiordnung von 1597“ bis zur „Canzleiordnung von 1692“ zum ersten Mal gemeinsam ediert und im Anhang der Arbeit abgedruckt worden sind. Insgesamt werden jedoch nur die normativen Fundamente und nicht die forensischen Aktivitäten des Hofrats erörtert. Angesichts der im allgemeinen bestehenden Diskrepanz von Recht und Rechtswirklichkeit – und diese mag in einer Epoche, in der eine strenge Bindung der Justiz an die Gesetze noch weitgehend fehlte, nicht unbeträchtlich sein – bieten die vom Verfasser untersuchten „Ordnungen“ keine sichere Grundlage für eine angemessene Bewertung des kurkölnischen Hofrats und schon gar nicht für dessen „weitergreifendes Wirken“.

 

Nach einer gründlichen Darstellung der Entstehungsgeschichte des Hofrats, in die vor allem auch die Hofkammer miteinbezogen wird, widmet sich der Verfasser den „rechtlichen Grundlagen von Hofrat und Hofkammer“. Untersucht werden insgesamt acht Ordnungen und zwar meist unter den Gesichtpunkten: „Bezeichnung und Bewertung der Quelle“, „rechtlicher Rang“, „verfassungsrechtliche Bedeutung“, „organisationsrechtliche Bedeutung“ oder „verfahrensrechtliche Bedeutung“, Kompetenzabgrenzungen, personelle Verbindungen und „räumliche Geltungsbereiche“.

 

Jedem, der nur einigermaßen mit den gesetzlichen Grundlagen des Reichskammergerichts und dem Reichshofrats vertraut ist, fallen auf Schritt und Tritt eine Vielzahl von Regelungsparallelen auf, die in der Arbeit jedoch nur sporadisch und pauschal angesprochen worden sind, so beispielsweise, wenn der Verfasser anmerkt, daß der „geistige Urheber der Kanzleiordnung“ von 1652 „mit der Entwicklung im Reich vertraut war“ (S. 141). Von Bedeutung für eine ausgewogene Bewertung der gerichtsverfassungs- und prozeßrechtlichen Inhalte der „Ordnungen“ wären außerdem Ausführungen zur Gesamtorganisation der kurkölnischen Rechtspflege gewesen. Das alles aber unterläßt der Verfasser mit einem Hinweis auf das „recht bunte Bild des kurkölnischen Gerichtswesens, seine[r] Rechtsmittelwege und seine[s] Verhältnisses zu den Reichsgerichten“ (S. 57). Infolge dieser Selbstbeschränkungen bewegt sich die Arbeit auf einer engen Forschungsspur und verliert damit an Weitblick und Tiefendimension.

 

Davon abgesehen hat der Verfasser die zum Teil verwickelte Entstehungsgeschichte des Hofrats – einschließlich der „Ausgliederung der Hofkammer aus dem Hofrat“ – gründlich nachgezeichnet. Darüber hinaus hat er interessante und bemerkenswerte Einzelheiten aus den „Ordnungen“ zutage gefördert. Sie betreffen die Beziehungen von Herrscher und Hofrat, das Verhältnis von Hofrat und Kanzlei oder von Hofrat und Hofgericht, die Appellationen in Straf- und Zivilsachen, das Judizial- und Extrajudizialverfahren, den auch am Reichshofrat üblichen und schillernden Begriff der Supplikation, die Revisionstätigkeit des Hofrats, das Kommissionswesen, das rechtliche Gehör, die hofrätlichen Sitzungszeiten, die Besetzung mit gelehrten Räten, die Modalitäten der Abstimmung, den Einfuß des sächsischen Verfahrensrechts, das Protokollwesen und u. v. a. m. Insgesamt enthält die Arbeit eine Fülle von wertvollen Informationen zur Entwicklungsgeschichte des kurkölnischen Hofrats, darunter nicht zuletzt gewinnbringende Ausführungen zur Trennung von Justiz und Verwaltung.

 

Eine Berücksichtigung der Praxis bleibt allerdings auch dort auf der Strecke, wo man sie an sich erwartet hätte, so z. B. in den Ausführungen zu Vollstreckungsfragen. Der in diesem Zusammenhang immerhin erwähnte praktische Fall, der als Beispiel für einen Verstoß eines Untergerichts gegen dessen Vollstreckungspflicht zitiert wird (S. 202), verfehlt zudem das Ziel. Denn es geht dort keineswegs um gerichtliche Vollstreckung, sondern um eine „innerdienstliche“ Anweisung des Hofrats an das Zülpicher Gericht, es solle über eine Klage entscheiden, d. h. keine Rechtsverweigerung üben. Aber auch sonst stößt man in der Arbeit wiederholt auf Unklarheiten und Lücken. So bleibt bei der Behandlung der „Appellations- und Revisionsordnug“ von 1653 der Unterschied zwischen diesen beiden Rechtsmitteln unerörtert (S. 163f.). Nicht erläutert wird ferner, was sich hinter dem modernen Begriff der von den Untergerichten zu vollstreckenden „Zahlungsbefehle“ verbergen soll. Zahlreiche sprachliche und stilistische Unebenheiten erschweren darüber hinaus die Lektüre und führen zu Schieflagen in der Darstellung.

 

Das umständlich formulierte Schlußkapitel „Das erste Jahrhundert des Hofrats nach den zusammengefaßten Ergebnissen seiner rechtlichen Grundlagen“ enthält ein über vierzig Seiten langes Resümee der Arbeit. Noch einmal werden nicht nur die Ergebnisse, sondern, für eine Zusammenfassung viel zu breit, die Vorgeschichte des Hofrats, seine verfassungsrechtliche Bedeutung sowie seine Organisation und sein Verfahrensrecht geschildert. Diese Materien werden jetzt allerdings nicht mehr „portionsweise“ nach den einzelnen Ordnungen getrennt, sondern jeweils fortlaufend an einem Stück beschrieben. Spätestens hier stellt sich die Frage, ob man den Erörterungen nicht mehr an Übersichtlichkeit, Klarheit, Spannung und Vertiefung hätte verschaffen können, wenn der Verfasser von Anfang an in dieser Weise vorgegangen wäre. Damit hätte nicht zuletzt das Verfahrensrecht mit einer Strukturierung nach prozessualen Grundsätzen für erst- und zweitinstanzliche Angelegenheiten mehr an Profil gewinnen können. So bleibt es auch in der Zusammenfassung der „verfahrensrechtlichen Ergebnisse“, in die im übrigen auch gerichtsverfassungsrechtliche Fragen miteinbezogen werden, bei der Mitteilung zahlreicher Einzelheiten und Besonderheiten, die lediglich wiederholt werden und sich nur schwerfällig zu einem Ganzen zusammenfügen lassen.

 

Das große Lob, das der Verfasser schließlich dem Hofrat zollt, wonach dieser den Anforderungen der Zeit „auch noch zu Beginn seines zweiten Jahrhunderts im ganzen gerecht“ geworden sei, was sich nicht zuletzt an seiner „Rechtsprechung unter der domkapitularischen Regierung“ zeige, vermag man nicht nachzuvollziehen. Denn die Judikatur dieses kurkölnischen Dikasteriums ist an keiner Stelle der Arbeit untersucht worden.

 

Trotz aller Kritik handelt es sich um eine insgesamt ertragreiche Arbeit, die zu einem Vergleich mit den normativen Grundlagen der Reichsgerichte herausfordert und damit die Frage aufwirft, ob und inwieweit sich die „Ordnungen“ des kurkölnischen Hofrats an diesen orientiert haben. Nicht zuletzt regt diese Dissertation zu einer Gegenüberstellung mit entsprechenden Entwicklungen in anderen deutschen Territorien an, so beispielsweise mit den der preußischen Verwaltungs- und Justizbehörden, wie sie Thomas Simon in einer kenntnisreichen Einleitungsskizze zu dem von ihm, Karl Härter und Michael Stolleis 1989 herausgegebenen Repertorium der Policeyordnungen der frühen Neuzeit (= Ius commune, Sonderhefte 111) beschrieben hat.

 

Göttingen                                                                                                       Wolfgang Sellert