Cahiers de Recherches Médiévales (XIIIe-XVe siècles) Bd. 7
Cahiers de Recherches Médiévales (XIIIe-XVe siècles) Bd. 7 (2000) Droits et pouvoirs. Éditions Honorè Champion, Paris 2001. 282 S.
Elf Autoren unter der Leitung Gérard Giordanengos betrachten den Zusammenhang zwischen Recht und Macht in sehr unterschiedlicher Weise und durch mehrere Jahrhunderte des Mittelalters hindurch. Dies macht eine Rezension natürlich besonders schwierig, doch soll nachfolgend versucht werden, die wesentlichen Untersuchungsgegenstände und Forschungsergebnisse knapp mitzuteilen.
Éric Bournazel geht der Frage nach, wie unter den Kapetingern Freunde und „compagnons“ als Ratgeber des Königs für diesen Entscheidungen getroffen haben („Réflexions sur l´institution du conseil aux premiers temps capétiens (XIIe-XIIIe siècles“). Franck Roumy untersucht den Rechtsirrtum in der Zivilrechtslehre des 12. und 13. Jahrhunderts. Führende französische Legisten jener Zeit forderten wegen der Irrtümer stets die Publikation und damit die Schriftlichkeit im Recht, damit sich die Norm und die mit ihr verwobene Gesetzgebungsmacht des Königs durchsetzen und niemand sich auf deren Unkenntnis stützen sollte („L´ignorance du droit dans la doctrine civiliste des XIIe–XIIIe siècles“). In seinem Beitrag „De l´usage du droit privé et du droit public au Moyen Âge“ kommt Gérard Giordanengo zum Ergebnis, daß die Juristen nicht wie heute eine Teilung in Zivil-, Straf- und öffentliches sowie Prozeßrecht suchten, sondern vielmehr im Geiste des Corpus juris civilis die Einheit anstrebten, wenngleich die damalige Ordnung an die Quellenqualität (geschriebenes Recht, Gewohnheitsrecht usw.) und die damit verbundene Normhierarchie anknüpfte. Für das 15. Jahrhundert bespricht Katia Weidenfeld einige Gerichtsfälle, bei denen die Anwälte zwar die königlichen Ordonnanzen in ihre Plaidoyers einführten, sich jedoch im allgemeinen nur sehr vage auf diese Rechtsquellen bezogen. Es galt, keine anspruchsbegründenden Normen vor Gericht zu zitieren, sondern anhand des geschriebenen Rechts das eigene jeweils passende zu komponieren mit der Folge, daß das präzise Recht sehr ungenau vorgetragen und angewandt wurde (vgl. ihren Aufsatz „L´incertitude du droit devant les juridictions parisiennes au XVe siècle“).
Den Streit über die vom Papsttum beanspruchte erstrangige Anwendung des kanonischen Rechts thematisiert die Studie „Causa natalium ad forum ecclesiasticum spectat : un pouvoir redoutable et redouté“, in der Anne Lefebvre-Teillard mehrere Beispiele vorbringt, die belegen, daß der weltliche Richter prozessuale Kunstgriffe anwendete, um sich nicht für unzuständig erklären und die Rechtssache nicht an den kirchlichen Richter verweisen zu müssen.
Anhand des Straftatbestandes der Gotteslästerung und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des „Parlement de Paris“ aus dem 16. Jahrhundert führt Corinne Leveleux-Texeira die Probleme um die genaue Definition der Tat bzw. des Unterlassens aus („Dire et interdire. Le discours juridique entre omission et action. L´exemple du blasphème - XIIe-XVIe siècles)“. In ihrem Beitrag „Des coutumiers aux styles. L´isolement de la matière procédurale aux XIIIe et XIVe siècles“ schildert Sophie Peralba die Entstehung von verschriftlichten Prozeßregeln, in welche etliche, bereits praktizierte gewohnheitsrechtliche Vorschriften Eingang fanden.
Ein Beitrag Sophie Petit-Renauds befaßt sich mit der Judikatur des „Parlement de Paris“ im Spätmittelalter: Mit „Le roi, les légistes et le parlement de Paris aux XIVe et XVe siècles: contradictions dans la perception du pouvoir de ´faire loy´?“ erläutert sie die Kompetenzkonflikte von König, Rechtslehrern und Gericht. Zwar wurde dem Gericht nur Macht delegiert, doch konnte auch der König die rechtsprechende Gewalt an sich ziehen und damit Entscheidungen des Parlement gewissermaßen konterkarieren. Anhand zweier berühmter Fälle, die gleichfalls am „Parlement de Paris“ spielten, wird der Einfluß des Politischen in der Rechtsprechung sehr deutlich (Aufsatz von Michelle Bubenicek, „Bon droit et raison d´État. Réflexions sur les rapports entre le pouvoir royal et la justice du Parlement dans le dernier tiers du XIVe siècle“).
Dem Gewohnheitsrecht widmet sich schließlich noch Jacques Krynen, der in „Entre science juridique et dirigisme: le glas médiéval de la coutume“ zum Ergebnis kommt, daß die Romanisierung des Languedoc ein Ergebnis der Eroberung zum Nachteil des Gewohnheitsrechts war, für welches damit die Toten- bzw. Trauerglocke (le glas) geläutet habe. Mit dem Anschluß des Languedoc an die französische Krone hatten die Juristen mit dem neuen, d. h. dem römischen Recht, ein starkes Regierungsinstrument in der Hand. Um Fragen von Kompetenzkonflikten zwischen den Parlements und dem „Grand Conseil“ kümmerte sich der eingangs des 16. Jahrhundert an der Universität von Avignon unterrichtende Jean Montaigne, welcher mit Nachdruck half, die Macht des absolutistisch regierenden Königs entschieden zu stärken (vgl. Patrick Arabeyre, „Aux racines de l´absolutisme: Grand Conseil et Parlement à la fin du Moyen Âge d´après le Tractatus celebris de auctoritate et preeminentia sacri magni concilii et parlamentorum regni Francie de Jean Montaigne (1512)“).
Fazit: Insgesamt gesehen haben die Autoren einen vorzüglichen Band zum immer wiederkehrenden Themenkreis von Recht und Macht vorlegen können, der von der deutschsprachigen Rechtsgeschichte zur Kenntnis genommen werden sollte.
Saarbrücken Thomas Gergen