Criminalità e giustizia
Criminalità e giustizia in Germania e in Italia. Pratiche giudiziarie e linguaggi giuridici tra tardo medioevo ed età moderna – Kriminalität und Justiz in Deutschland und Italien. Rechtspraktiken und gerichtliche Diskurse in Spätmittelalter und früher Neuzeit, hg. v. Bellabarba, Marco/Schwerhoff, Gerd/Zorzi, Andrea (= Annali dell’Istituto storico italo-germanico in Trento/Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts in Trient 11). Società editrice il Mulino/Duncker & Humblot, Bologna/Berlin 2002. 373 S.
Der anzuzeigende Band versammelt Beiträge eines Kongresses in Trient von deutschen und italienischen Historikern sowie italienischen Rechtshistorikern. Die Beiträge zeigen inhaltlich und methodisch eine „richesse de problématiques“ (Xavier Rousseaux). In verschiedenen Schlusskapiteln wird, insbesondere bei Mario Sbriccoli, danach gesucht, wie sich die heterogenen Ansätze und Ergebnisse zueinander verhalten und sich ergänzen. Der Band kann deutschen Rechtshistorikern als Beispiel für ein Vielzahl anderer Ansätze und Fragestellungen und insbesondere als bibliographische Einführung in verschiedenen Forschungsbereiche dienen.
Das späte Mittelalter wird fast allein von Andrea Zorzi behandelt. Mit bewundernswerter Kenntnis der Quellen und Literatur und feinem juristischem Verständnis gibt er einen Überblick über das ausdifferenzierte Straf- und Strafverfahrensrecht norditalienischer Städte. Vergleichbares ist in Deutschland erst in der frühen Neuzeit und nur in einigen Regionen erkennbar. Der Beitrag von Katharina Simon Murscheid behandelt den „unfriedlichen Erbtransfer“, insbesondere beim Streit über die Gültigkeit von Testamenten. In der Auseinandersetzung mit familienfremden Erbprätendenten werden Familienangehörige unreflektiert sprachlich mit „Erben“ gleichgesetzt und der Zusammenhang zum Strafrecht bleibt schließlich offen. Harriet Rudolph meint im folgenden Beitrag, dass die Strafjustiz Osnabrücks im 18. Jahrhunderts zum Gemeinschaftswerk wurde, da sich das Volk hier durch Anzeigen, Zeugenschaft und Suppliken an den Verfahren beteiligte.
Paolo Marchetti stellt unter profunder Ausnutzung der Quellen die Bedeutung der Grenze für die Jurisdiktionsgewalt der Gerichte im Ius commune dar. Im Deutschland des 17. Jahrhunderts sind allerdings Vereinbarungen zur Bekämpfung des Bandenunwesens nachweisbar, die auch die Aburteilung exterritorial begangener Verbrechen gestatteten. Karl Härter gibt aufgrund seiner intimen Kenntnis der kurmainzischen Quellen einen quantitativen Überblick über die Strafrechtspflege dieses Gebiets und liefert damit wichtige Daten für Deutschland, wie sie A. Soman für Frankreich erarbeitete. Anders stellt Massimo della Misericordia die Beziehungen der einflussreichen Familien im Valtellina im Verhältnis zum mailändischen Territorialherrn und der rein geistlichen Gewalt des Bischofs von Como dar. Die Verrechtlichung sozialer Konflikte in Italien wird damit deutlich, auch wenn Marco Bellabarba für den Trentino gesellschaftliche Mechanismen der Konfliktlösung betont. Mit den deutschen Verhältnissen ist dies nicht zu vergleichen, wie etwa der Beitrag von Michael Frank zu einem Dorf im Lippischen zeigt, in dem meist nur Dienstverpflichtungen vor die Schranken des Gogerichts gebracht werden.
Hier werden die Ergebnisse einer Habilitation zusammengefasst, ebenso wie Andreas Blauert einen Einblick in seine unveröffentlichte Habilitation gewährt, die den Funktionswandel der Urfehden vom Friedensvertrag über den Akt der Anerkenntnis herrscherlicher Gerichtsgewalt bis zum Teil des Landesverweises konturiert, bis die Urfehde selbst Teil der Strafe wird. Beatrice Maschietto kommt das Verdienst zu, mit Filippo Renazzi (1745-1808) auf einen einflussreichen römischen Professor des Strafrechts aufmerksam zu machen, der sich trotz guter Belesenheit in der europäischen Aufklärung für das Strafrecht eines absolutistischen Staates einsetzte.
Francisca Loetz untersucht die Verfolgung der Blasphemie im frühneuzeitlichen Zürich. Einerseits zeigt sie die Differenzierungen des Tatbestandes und die gesetzliche Straffolge, nämlich Todesstrafe, auf, andererseits beschreibt sie die völlig andere Handhabung in der Praxis, die meist mit Ehren-, Geld- und Rutenstrafen ahndet und ganz flexibel auf die Schwere der Tat eingeht. Selbst die Leugnung der Wiederauferstehung bringt dem Täter nur sieben Monate Ehr- und Wehrlosigkeit ein, während das übliche Fluchen gar nicht erst als strafwürdig angesehen wird. Peter Wettmann-Jungblut erinnert an das Delikt des Schatzgrabens und Martin Dinges gibt schließlich einen europäischen Überblick über vielfältige „Justiznutzungen“, also soziale Kontrolle durch die Instrumentalisierung der Gerichte.
Die Beiträge sind heterogen, was den Untersuchungszeitraum, die Methode, die Fragestellung, das Erkenntnisinteresse und das Thema betrifft. Dies illustriert die Reichhaltigkeit dessen, was zur Zeit unter den Begriffen „historische Kriminalitätsgeschichte“ und „Strafrechtsgeschichte“ verstanden wird. Der Band enthält eine Reihe wichtiger Forschungen sowie informativer Zusammenfassungen und gewährt daher einen beachtlichen Überblick.
Bonn Mathias Schmoeckel