Deutsche Landesgeschichtsschreibung im Zeichen des Humanismus

, hg. v. Brendle, Franz/Mertens, Dieter/Schindling, Anton/Ziegler, Walter (= Contubernium 56). Steiner, Stuttgart 2001. VII, 295 S. Besprochen von Dietmar Heil.

Deutsche Landesgeschichtsschreibung im Zeichen des Humanismus, hg. v. Brendle, Franz/Mertens, Dieter/Schindling, Anton/Ziegler, Walter (= Contubernium 56). Steiner, Stuttgart 2001. VII, 295 S.

 

Der vorliegende Band fasst die Beiträge eines im September 1999 abgehaltenen Arbeitsgesprächs zum Thema „Humanistische Landeschronistik in Deutschland” zusammen. Die Änderung des Buchtitels gegenüber der Tagung weist sogleich auf ein wichtiges Ergebnis hin: Es gab keine „humanistische Landeschronistik”.

 

In drei einleitenden Beiträgen werden in instruktiver Weise die um die Begriffe „Humanismus” und „Landeschronistik” gelagerten Grundprobleme erläutert. Ulrich Muhlack wertet als Spezifika humanistischer Historiographie (1.) den Aufstieg der profanen Geschichte zur Geschichte schlechthin und (2.) die (Wieder-)Entdeckung der historiographischen Darstellung. Dies begreift nicht nur das Ideal ästhetischer Vollkommenheit, sondern auch das Instrumentarium historischer Erkenntnis. (3.) Der humanistische Ansatz zur Historisierung, Dynamisierung und Individualisierung der Geschichte lässt Muhlack geradezu von einem „humanistischen Historismus” sprechen. In Deutschland äußert sich dieser als Ringen um ein eigenes germanisch-deutsches in Abgrenzung zum römischen Altertum. Hauptziel der projektierten Germania illustrata war es, die Wandlungen des nationalen Lebens zwischen älteren und neueren Zeiten aufzuzeigen. Dieter Mertens charakterisiert die Landeschronistik nicht als Beschreibung eines Landes, sondern als Geschichtsschreibung aus regionaler Perspektive, da der Begriff des Landes nicht exakt definiert ist. Auch die „regionale Geschichtsschreibung” scheint sich gegen Ende des 15. Jahrhunderts auf die hochadligen Dynastien zu konzentrieren. Ihre Vertreter waren gleichwohl häufig nicht dem eigentlichen Fürstenhof zuzuordnen: gelehrte Geistliche, studierte Geistliche am Hof oder an den Stiften des Landes, Universitätsangehörige. Wenn es auch keine humanistische Landeshistoriographie gab, so veränderten sich doch deren Inhalte und Formen unter dem Einfluss des Humanismus, „indem das freischweifend erzählte Herkommen in ein zunehmend kanonisiertes Geschichtsbild integriert, Ereignisse und Verläufe mit geographischen, topographischen und volkskundlichen Zustandsschilderungen verbunden und moralische und didaktische Absichten entschiedener zur Geltung gebracht werden” (31). Notker Hammerstein betonte in seinem Vortrag über die humanistisch beeinflusste Landeschronistik an den Universitäten jedoch auch die Traditionalität humanistischen Wissenschaftsverständnisses, das eben kein neues Wissenschaftssystem begründete, sondern lediglich in der Besinnung auf die germanische Frühzeit, im deutschen Kulturstolz und im damit verbundenen Emanzipationsbestreben von Italien eine bessere Umgangsweise mit der Geschichte forderte. Dass Geschichte in der Ära des Humanismus dennoch nicht als eigener Gegenstand an den Universitäten gelehrt wurde, hatte in Deutschland seinen Grund unter anderem auch in der Überlagerung der humanistischen Probleme durch die Reformation, womit ein zentrales Problem der Späthumanismus-Forschung angeschnitten wird.

 

Unter den genannten Aspekten - Methodik, Geschichtsauffassung (Geschichte als magistra vitae), Bezug zum Germania-illustrata-Projekt, literarische Form usw. - werden im zweiten Teil des Bandes von ausgewiesenen Kennern wichtige Vertreter der deutschen Geschichtsschreibung in ihrem Bezug zur Landeschronistik behandelt: der Hamburger Humanist Albert Krantz (Ulrich Andermann), am Beispiel der Kleinen Annalen von 1511 der erste amtliche Landeshistoriograph Johannes Aventin (Alois Schmid), Lorenz Fries als Historiograph der Würzburger Bischöfe (Christoph Bauer) sowie die Illustrationen seiner Bischofschronik (Christiane Kummer), der noch den Kategorien der mittelalterlichen Weltchronistik verhaftete Vater der Schweizergeschichte Aegidius Tschudi (Bernhard Stettler), der humanistische Kirchenhistoriograph und Begründer der Germania sacra Kaspar Brusch (Bernhard Richter) und der Verfasser der „Annales Suevici” Martin Crusius (Franz Brendle). Bei ganz unterschiedlicher Nähe der einzelnen Persönlichkeiten zum Humanismus weist die Gesamttendenz doch auf die Begründung eines neuen methodischen Standards mit der kritischen Verarbeitung von archivalischen und Sachquellen sowie eine durchgehend neue Auffassung von Geschichte primär als magistra vitae hin. Zugleich zeigt sich, wie überaus wirkmächtig der mittelalterliche Stammesgedanke im Vergleich zur aktuellen Territorialstruktur des Reiches weit in das 16. Jahrhundert hinein noch war. Albert Krantz vertrat einen auf den Stamm der Sachsen hin orientierten niederdeutschen Reichsgedanken, die Landesgeschichtsschreibung des Tübinger Professors Martin Crusius weist weit über den Blickwinkel Württembergs hinaus auf das alte Herzogtum Schwaben.

 

Im dritten Teil des Bandes - Themenfelder - gelangt demnach auch Klaus Graf in seinem Beitrag über die südwestdeutsche Historiographie um 1500 zu dem Ergebnis, dass es eine Landesgeschichtsschreibung gab, die der schwäbischen Nation galt, jedoch kaum Territorialgeschichtsschreibung. Michael Klein konstatiert den Beginn der württembergischen Historiographie erst für die Mitte des 16. Jahrhunderts. Als weiterer Themenfelder-Schwerpunkt ergibt sich mit den Beiträgen über die humanistische Bistumsgeschichtsschreibung (Markus Müller), über den Bezug der Landeschronistik zur Kirchenreform (Walter Ziegler) und über die Stadthistoriographie Hamburgs, Kölns und Breslaus (Susanne Rau) das Verhältnis des Humanismus zu Religion und Reformation. Sehr aufschlussreich sind die Überlegungen Raus zum strittigen Begriff des „Konfessionellen Humanismus” (254-257). Der Beitrag Martin Otts über die humanistische Erschließung der antiken Landschaft mittels römischer Inschriften vermittelt einen Einblick in die Geschichtsauffassung und Methodik humanistischer Landeskunde. Bemerkenswert scheint dabei insbesondere, dass erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Inschriftensylloge ihre bis dahin ausschließliche topographische Ausrichtung verlor und die inhaltliche Auswertung dieser Sachüberreste begann. Dieter Mertens greift in seinen Schlussbemerkungen noch einmal die den Band durchlaufenden Hauptstränge auf. Zu Recht betont er die Bedeutung des von Klaus Graf angewandten Begriffspaares „Herkommen” (Identitätsstiftung, Legitimation) und „Exemplum” (Vermittlung von Normen) als Möglichkeit, die unterschiedlichen Zwecksetzungen von Landesgeschichtsschreibung im Zeichen des Humanismus zu fassen. Die beiden komplementären Begriffe verbinden „unter einer formalen und funktionalen Kategorie die vor dem Aufkommen des Humanismus entstandene spätmittelalterliche Historiographie mit der im Zeichen des Humanismus verfassten” (280).

 

Der Band dokumentiert von einem Randgebiet humanistischer Betätigung, der Landeschronistik, her gewonnene, gleichwohl bemerkenswerte und wichtige Erkenntnisse zum deutschen Humanismus und bietet dabei auf knappem Raum einen fundierten Zugriff auf die Landesgeschichtsschreibung innerhalb des Reichs im späten 15. und im 16. Jahrhundert. Unbedingt aufzugreifen ist die Anregung Michael Kleins zur Edition von Texten der württembergischen Landeshistoriographie des 16. und 17. Jahrhunderts (262). Gegen die derzeitige Tendenz der Geschichtswissenschaft zu möglichst schnellen und oft genug schnelllebigen Ergebnissen ist festzustellen, dass angesichts des insgesamt immer noch dürftigen veröffentlichten Quellenmaterials jede neue Edition zur Frühen Neuzeit beträchtlichen und auch bleibenden Erkenntnisgewinn gestattet.

 

Regensburg                                                                                                    Dietmar Heil