Die Grundrechte im Spiegel des Plakats
Die Grundrechte im Spiegel des Plakats 1919 bis 1999, hg. v. Artinger, Kai. Deutsches Historisches Museum, Berlin 2000. 191 S., zahlr. Abb. (zugänglich auch über http://www.dhm.de/ausstellungen/grundrechte/katalog)
Grundrechte sind überall: In der rechtshistorischen Forschung wie in der tagespolitischen Diskussion. Doch waren die Grundrechte sichtbar? Waren sie Mittel und Gegenstand politischer Kommunikation durch Plakate? Das Deutsche Historische Museum ermöglicht, diese Frage nun zum Gegenstand der rechtshistorischen Forschung zu machen. Bereit steht ein Text- und Bildband mit 150 aufwendig abgebildeten Plakaten vor allem aus der Zeit seit dem Beginn der Weimarer Republik.
Angelehnt an seine „Geschichte des Rechts“ (dort Rz. 272) präsentiert Uwe Wesel einleitend kurze Auszüge aus dem kanonisierten Standardwissen zur Ideen- und Normgeschichte der Menschenrechte. Da Wesel Grundrechte erst dann anerkennt, seitdem sie als Abwehrrechte gegen den (mindestens: früh-) modernen Staat gelten können, kann er dabei einleitend postulieren: „Eigentlich hat alles angefangen mit Thomas Hobbes“. Nicht aber die Geschichte der politischen Plakatkunst, die der Herausgeber in seinen knappen Vorbemerkungen zur Funktion und Geschichte des politischen Plakats erst im 19. Jahrhundert beginnen läßt. Doch auch dieses Jahrhundert erhält keinen Platz, was vom Herausgeber eher implizit mit einem Hinweis auf das Verbot politischer Plakate im Kaiserreich bis 1914 begründet wird.
Doch hat die Revolutionszeit 1848/49 keine Plakate hervorgebracht, die die Grundrechte thematisieren ? Zum Beispiel sind über das Frankfurter Internet-Projekt „1848 – Flugschriften im Netz“ damalige Flugblätter und Plakate zugänglich, in denen sich jedenfalls auf (Schrift-) Plakaten die damalige Grundrechtsdiskussion widerspiegelt. Es ist auch kaum vorstellbar, daß sich die politischen Plakate der frühen Sozialdemokratie nicht auf Grund- und Menschenrechte beziehen. Legislative Verbote politischer Plakate, wie vom Herausgeber erwähnt, können kaum den Grundrechtsbezug der Plakate beeinflußt haben.
Dennoch beginnen „Die Grundrechte im Spiegel des Plakats“ in diesem Buch erst 1919. Ralf Poschers Einleitungstext zu den Grundrechten in Weimar verknüpft Verfassungs-, Wissenschafts- und Justizgeschichte und liefert sogar noch Hinweise zur Bedeutung der Weimarer Grundrechtsdebatten für die Bundesrepublik. Danach werden die Plakate präsentiert, allerdings nicht chronologisch, sondern thematisch geordnet; die verschiedenen Phasen des zum Beispiel rechtswissenschaftlichen[1] Umgangs mit den Grundrechten der Weimarer Verfassung werden daher eher verdeckt. Auffällig ist aber auch so, daß die auf den Plakaten thematisierten Grundrechte ganz durchgängig nicht auf die Weimarer Reichsverfassung bezogen werden. Mehr noch: Überwiegend greifen die Plakate eher auf allgemeine Formeln wie „Freiheit“, „Arbeit“ etc. zurück, anstatt Grundrechte als Referenzobjekte einzuführen. Die in den Begleittexten sorgfältig aufgelisteten Grundrechte der Weimarer Reichsverfassung finden fast ohne Ausnahme gerade nicht den Weg in die politische Kommunikation. Beispielsweise argumentieren die Gegner der entschädigungslosen Fürstenenteignung (S. 52f.) mit vielem, nur nicht mit der Gewährleistung des Eigentums nach Art. 153 WRV. Zudem sind einige Themen in den Band aufgenommen worden, die zwar originelle Plakate liefern, allein der Grundrechtsbezug ist nur mittelbar (Art. 48 Weimarer Reichsverfassung) oder ganz fehlend (Reichsfarben). Einmal mehr läßt sich zeigen, wie sehr „die ‚unvollendete Verfassung‘ fast überall Programm“[2] blieb: Auch die politische Kommunikation durch Plakate verzichtete weitgehend auf die Grundrechte und ‑pflichten der Weimarer Reichsverfassung als Referenzobjekt. Derartige Überlegungen müssen Leserinnen und Leser aber im wesentlichen selbst anstellen, da der Einleitungstext und die Erläuterungen zu den einzelnen Plakaten kaum aufeinander bezogen sind.
Für die NS-Zeit skizziert Hubert Rottleuthner einleitend die Geschichte der schnellen Grundrechtsbeseitigungen nach 1933; einige Plakate illustrieren eher einzelne Aspekte der NS-Geschichte als daß, wie nach dem Buchtitel zu vermuten wäre, nach „Grundrechten im Spiegel des Plakats“ gesucht wird. Die nunmehr ehemaligen Grundrechte wurden nicht einmal mehr für die Propaganda benötigt.
Eine Inflation der Rechte zeigen dann die Plakate zur Deutschen Demokratischen Republik. Nach einer knappen, von Rosemarie Will verfaßten Verfassungstextgeschichte erhalten Plakate aus der DDR fast genauso viel Platz eingeräumt wie im anschließenden Abschnitt jene aus der Bundesrepublik. Rechte im Betrieb, auf Urlaub, auf Gleichberechtigung und so fort bevölkerten die Plakate, änderten aber nichts am „Leerlaufen von Grundrechtsgewährleistungen“ (Will). Soweit ersichtlich, tauchen in diesem Buch aber erstmals auf den Plakaten Zitate aus Gesetzestexten auf (S. 91, 98f.), und es wird nunmehr explizit von „Grundrechten“ gesprochen (S. 105). Gerade deshalb macht sich die Entscheidung gegen eine Reihung, die an den verfassungsgeschichtlichen Abschnitten orientiert ist, hier nachteilig bemerkbar. Die Lektüre vermittelt aber auch so den Eindruck, daß in der DDR die „Grundrechte im Spiegel des Plakats“ besonders im Zusammenhang mit der Erstellung der ersten Verfassung von 1949 von Bedeutung waren. Der Abschnitt endet mit einer überflüssigen Polemik gegen die SPD.[3]
Die bundesdeutschen Plakate, eingeleitet durch Hinweise von Klaus Adomeit zur Grundgesetzentstehung und zum Verfassungstext, werden ebenfalls nach Stichworten geordnet präsentiert. „Arbeitszeitverkürzung“ bis „Zensur“ erhalten Grundgesetzartikel und Plakate aus der politischen Auseinandersetzung zugeordnet. Daraus läßt sich ein grundlegender Umbruch seit den 1970er Jahren ableiten, denn seitdem beziehen sich die Plakate nicht selten direkt auf das Grundgesetz. Das gilt z. B. für Plakate gegen den „Radikalenerlaß“ (S. 145) und Kampagnen gegen den § 218 StGB (S. 122 mit Zitat von Art. 1 GG). Hier und bei anderen Themen sind es aber fast ausschließlich sozialdemokratische, grüne und auch linksradikale Plakate (und Themen), die den Weg in das Buch gefunden haben. Bleibt die Suche nach „Grundrechten im Spiegel konservativer Plakate“ wirklich ohne Erfolg?[4] Und ist die insgesamt eher geringe Visualisierung der Grundrechte auch seit den 1970er Jahren ein Indikator, der gegen den von Habermas vorgeschlagenen „Verfassungspatriotismus“ spricht? Die Stärke des Buchs liegt darin, zu solchen Fragen hinzuführen.
Das Buch endet mit einem Ausblick auf die europäische Grundrechtssituation (Thomas Flint), wofür typischerweise noch keine Plakate zur Verfügung standen. Ob die Verabschiedung der europäischen Grundrechtscharta von Nizza im Jahr 2000 daran etwas geändert hat?
Frankfurt am Main Thomas Henne
[1] Dazu Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 2, München 1992, S. 110f. Eine zusammenfassende Untersuchung zum Umgang der Justiz mit den Grundrechten in dieser Zeit ist nicht ersichtlich.
[2] Christoph Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, Tübingen 1997, S. 381f.
[3] „Gegen die SPD durfte in der DDR in den 80er Jahren nichts Böses gesagt werden. Gleiches erwartete die SED von der SPD, die sich auch an das Agreement hielt.“ (S. 107). Dagegen z. B. Dieter Dowe (Hrsg.), Die Ost- und Deutschlandpolitik der SPD in der Opposition 1982-1989, Bonn 1993.
[4] Am Rande angemerkt sei, daß die Aufnahme eines Zitats aus dem Buch eines rechtsradikalen Publizisten (S. 140) zum Thema „Notstandgesetze“ so unpassend wie unangenehm ist.