Forster, Maria, Die Gerichtsverfassung und Zivilgerichtsbarkeit in Straubing

im 15. und 16. Jahrhundert. Diss. jur. Regensburg 1999. XXVII, 217 S. 27 Abb. Besprochen von Reinhard Schartl.

Forster, Maria, Die Gerichtsverfassung und Zivilgerichtsbarkeit in Straubing im 15. und 16. Jahrhundert. Diss. jur. Regensburg 1999. XXVII, 217 S. 27 Abb.

 

Die von Hans-Jürgen Becker betreute Regensburger juristische Dissertation stellt systematisch die komplizierten Gerichtsverhältnisse der niederbayrischen Stadt Straubing dar, in der die Rechte und Interessen des Augsburger Domkapitels als Grundherr, der bayerischen Herzöge und schließlich der Stadtgemeinde aufeinander treffen. Bei ihren Untersuchungen stützt sich die Verfasserin auf bereits veröffentlichte Quellen des untersuchten Zeitraumes sowie auf Vorarbeiten des 19. und 20. Jahrhunderts.

 

Im ersten Teil erhält der Leser zunächst einen kurzen Überblick über die Geschichte Straubings, das seit 1255 Sitz des unteren niederbayrischen Vitztumsamtes und damit Regierungsstadt war. Dabei ist für das zu behandelnde Thema von Bedeutung, dass das Augsburger Domkapitel bis 1536 die Grundherrschaft über die Altstadt und die 1218 gegründete Neustadt innehatte, während den bayerischen Herzögen als Landsherren die Stadtherrschaft zukam. Die daneben nach mehr Selbständigkeit strebende Stadtgemeinde erwarb erst 1536 die Rechte des Domkapitels. An diese historische Einführung schließt die Verfasserin eine Beschreibung der benutzten Quellen an, darunter das Salbuch des Hochstifts Augsburg von 1444, das Rote Buch der Stadt Straubing (eine Stadtrechtsaufzeichnung um 1472 mit späteren Zusätzen) sowie in einem Urkundenbuch von Fridolin Solleder (1911–1918) zusammengestellte Einzelurkunden. Fortlaufende Aufzeichnungen über die gerichtliche Tätigkeit sind 1780 durch einen Stadtbrand weitgehend vernichtet worden und für den untersuchten Zeitraum nur noch aus den Jahren 1556 bis 1559 vorhanden. Nicht erhalten ist auch eine vermutlich 1280 erlassene Handfeste Herzog Heinrichs I.

 

Im zweiten Teil ihrer Arbeit behandelt Forster zunächst das domkapitularische Propsteigericht: Es wurde vom Oberpropst, meist aber von einem Unterpropst, der Straubinger Bürger war, geleitet. Die Urteilsfindung oblag Beisitzern, deren Zusammensetzung und Zahl nach den Ermittlungen der Verfasserin variierte, wobei sie die Auffassung vertritt, dass nur ein einstimmiges Urteil die erstrebten Rechtswirkungen entfalten konnte. Weitere Funktionsträger des Propsteigerichts waren der Fronbote, der Vogt sowie der sogenannte Simonkastner, der als Treuhänder bei der Übertragung domkapitularischer Grundstücke tätig wurde. Aufgrund dieser Aufgabe bevorzugt die Verfasserin zutreffend die Herleitung des Wortes „Simon“ von (mhd.) salman. Zuständig war das Propsteigericht für zivilrechtliche Klagen aller Art, wenn der Beklagte Insasse des Propsteigebietes war, sowie für Streitigkeiten über dort belegene Grundstücke. Die Verfasserin verneint die Möglichkeit, die Zuständigkeit des Propsteigerichtes durch Parteivereinbarung zu begründen, da dies dem mittelalterlichen deutschen Recht fremd gewesen sei. Wenn die Verfasserin auch keine Prorogationsfälle für das Propsteigericht vorgefunden hat, so ist ihre Begründung in dieser Allgemeinheit dennoch nicht überzeugend, da im Spätmittelalter genügend Beispiele derartiger Vereinbarungen vorliegen. Im strafrechtlichen Bereich stand dem Propsteigericht die niedere Bußgerichtsbarkeit zu, in Fällen der hohen Gerichtsbarkeit, die von den landesherrlichen Gerichten zu richten waren, war dem Propst eine Geldbuße verfallen, sofern der Täter Insasse der Propstei war.

 

Danach beschreibt Forster die landesherrlichen Gerichte. Deren oberstes war das Hofgericht, das in der Regel in Straubing tagte. Ihm saß als Vertreter des Herzogs der Vitztum (lat. vicedominus) vor, während das Urteil von Beisitzern gefunden wurde. Auch hier kommt die Verfasserin zu dem Ergebnis, dass die Anzahl der Beisitzer wechselte. Das Hofgericht war in zivilrechtlichen Streitigkeiten wegen des Grundsatzes der Standesgleichheit erstinstanzlich zuständig für Klagen gegen Adlige, ferner für Klagen gegen einige privilegierte Klöster, landesherrliche Beamte sowie die Stadt Straubing selbst. In zweiter Instanz stand das Hofgericht über den niederen Gerichten wie dem Landgericht und dem Stadtgericht. Wie anhand eines Falles aus dem Jahre 1424 zu belegen ist, verwies das Hofgericht dabei die Sache mit bindender Weisung an das untere Gericht zurück. Im 15. Jahrhundert konnten ferner sowohl die Parteien als auch das Untergericht vor der erstinstanzlichen Entscheidung beim Hofgericht eine Unterweisung einholen, eine Parallele zu den mittel- und norddeutschen Oberhofzügen derselben Epoche. Auf strafrechtlichem Gebiet übte das Hofgericht die Hochgerichtsbarkeit in Malefizsachen aus, für die die Verfasserin eine interessante beispielhafte Aufzählung in einer Urkunde Herzog Albrechts IV. von 1497 vorfindet.

 

Unter dem Hofgericht stand das Landgericht, in dem der Oberrichter den Vorsitz führte. Aufgrund eines Privilegs aus dem Jahre 1307 hatte die Stadt Straubing bei der Einsetzung des Richters durch den Herzog ein Vorschlagsrecht, das allerdings dadurch relativiert wurde, dass die Herzöge wiederholt der Bürgerschaft die Benennung eines bestimmten Kandidaten nahelegten. Der Oberrichter teilte sich seine Aufgaben mit einem Unterrichter. Die Urteilsfindung oblag wiederum Beisitzern. Forster weist aber auch aus dem Jahre 1568 einen Fall nach, in dem der Vitztum dem Oberrichter und den Beisitzern die Entscheidung einer Malefizsache anwies. Daneben gehörten zum Landgericht noch der Gerichtsschreiber und ein Fronbote. Das Landgericht war u. a. zuständig für Auflassungen im Landgerichtsbezirk belegener Grundstücke und übte die hohe und niedere Zivilgerichtsbarkeit sowie die strafgerichtliche Hochgerichtsbarkeit aus.

 

Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts stand unter dem Landgericht auf den landesherrlichen Gütern das Kastengericht unter dem Vorsitz des Kastners, das Aufgaben der freiwilligen Gerichtsbarkeit erfüllte sowie für die Ahndung niedergerichtlicher Delikte und offenbar für Streitigkeiten geringerer Bedeutung zuständig war. Daneben bestand eine niedergerichtliche Zuständigkeit grundherrlicher Hofmarksgerichte, in deren Bereich das Landgericht ausgeschlossen war.

 

Die Verfasserin widmet sich sodann ausführlich dem landesherrlichen Stadtgericht, dessen Gerichtsbarkeit im Bereich des sogenannten Burgfriedens bestand. Dieser Behörde stand der auf Vorschlag der Bürgerschaft vom Herzog eingesetzte Oberrichter vor, der zugleich den Vorsitz im Landgericht innehatte. Dadurch war das Gericht zugleich landesherrlich und städtisch. Der Oberrichter wurde auch hier häufig von einem Unterrichter vertreten. Die Urteilsfindung oblag einer wechselnden Zahl von Beisitzern, die sich meist aus dem inneren oder äußeren Rat der Stadt rekrutierten. Vor dem Stadtgericht fand die Aufgabe von Grundstücken im Burgfrieden statt, wobei hier ebenfalls der Simonkastner als Treuhänder fungierte. Im Bereich der streitentscheidenden Zivilgerichtsbarkeit war dem Stadtgericht die hohe und niedere Gerichtsbarkeit zugewiesen. Die persönliche Zuständigkeit erfasste die Bürger und sonstigen Einwohner des Burgfriedens, ansonsten galt auch hier die Regel des forum rei sitae für im Burgfrieden gelegene Grundstücke. Die strafrechtliche Blutgerichtsbarkeit wurde sowohl vom Oberrichter als auch vom Unterrichter ausgeübt. Die Verfasserin erkennt bei der Aburteilung der mit dem Tod bedrohten Malefizsachen ein Vorverfahren mit peinlicher Befragung des Verdächtigten, anschließend zwei heimliche Verfahrensabschnitte und schließlich den endlichen Rechtstag. Das Urteil wurde im zweiten heimlichen Verfahren, also schon vor dem endlichen Rechtstag gefunden. Die Verfasserin stützt ihre Ansicht, dass bei der Urteilsfindung der städtische Rat und der Oberrichter zusammenwirken mussten, auf einen Gerichtsbucheintrag von 1557, in dem das Urteil mitgeteilt wird mit ainhellig stim Zum Stranng. Dass der Oberrichter dabei mitgestimmt hatte, lässt sich daraus zwar nicht zwingend ableiten, immerhin spricht aber für die vertretene Ansicht, dass der Oberrichter als zugleich landesherrlicher Beamter den Blutbann nicht vollends den städtischen Beisitzern überlassen haben wird. Bei mit Leibesstrafen bedrohten Delikten ist zudem klar belegt, dass der Unterrichter zusammen mit den Beisitzern abstimmte, so dass bei den schwereren, todeswürdigen Taten nichts anderes gegolten haben kann. Dieser Befund entspricht im Übrigen Art. 81 der Constitutio Criminalis Carolina.

 

Abschließend befasst sich Forster mit den Rechtspflegeaufgaben des Rates, der aus einem inneren und einem Anfang des 15. Jahrhunderts entstandenen äußeren Gremium bestand. Den Ratsvorsitz führte der Kammerer, den die Gemeinde aus dem Kreis der inneren Räte wählte. Die gerichtlichen Funktionen des Rates lagen einerseits in der freiwilligen Gerichtsbarkeit, etwa der Genehmigung von Grundstücksveräußerungen an Juden, in der Nachlassregelung, dem Vormundschaftswesen oder in der Erteilung von Heiratsbewilligungen. Auf dem Gebiet der streitigen Gerichtsbarkeit hebt die Verfasserin den Erlaß von Zahlungsbefehlen hervor, die ergehen konnten, wenn der Schuldner die Schuld außergerichtlich anerkannt hatte. Daneben erwähnt sie das Verfahren vor dem Rat als Schiedsgericht. Die strafrechtliche Zuständigkeit des Rates beschränkte sich auf die Niedergerichtsbarkeit.

 

Im Verhältnis zur Gerichtsverfassung behandelt die Autorin im dritten Teil das Zivilprozessverfahren nur knapp und unter Beschränkung auf das Stadtgericht. Aus dem Roten Buch geht hervor, dass der Beklagte die Ladung zum ersten Termin folgenlos unbeachtet lassen konnte, dass jedoch bei Säumnis im zweiten Termin der Klage stattgegeben wurde. Dies weicht von der in anderen Teilen des Reiches herrschenden Rechtslage ab, nach der dem Beklagten erst die Versäumung eines dritten Termins schadete. Immerhin konnte der auf die zweite Ladung erschienene Beklagte eine Vertagung auf einen dritten Termin beantragen. Forster entnimmt dem Roten Buch ferner, dass der Kläger bei Geldschuldklagen trotz Säumnis des Beklagten noch einen Behaltenseid zu leisten hatte. Im Übrigen trugen die Parteien mündlich vor, wobei sie dies durch Vorsprecher vornehmen lassen konnten. Die Verfasserin führt sodann die Beweismittel Parteieid, Zeugen und Urkunden auf. Erwähnenswert ist, dass zur Überführung eines jüdischen Beklagten zwei christliche und zwei jüdische Zeugen erforderlich waren, was den bereits 1090 durch Kaiser Heinrich IV. gewährten Judenprivilegien für Worms und Speyer entspricht. Das Urteil wurde vermutlich nur auf Antrag urkundlich ausgefertigt. Eine Appellation an das Hofgericht war möglich, im 16. Jahrhundert wahrscheinlich innerhalb einer Frist von 14 Tagen. Anschließend beschreibt die Arbeit die Vollstreckung aus Urteilen, Zahlungsbefehlen und schiedsrichterlichen Abschieden, wobei die Verfasserin eingehend die Immobiliarvollstreckung (Gantprozess) aufgreift.

 

In einer Schlussbemerkung weist Forster noch auf die Tradition Straubings als Gerichtsstadt hin und erwähnt insbesondere die gerichtsverfassungsrechtlichen Veränderungen im 19. Jahrhundert. In einem umfänglichen Anhang präsentiert sie dem Leser Abbildungen von Siegeln, Stadtansichten und Grenzsteinen sowie eines wegen der Verkleinerung der Kopie allerdings kaum noch lesbaren Übergabebriefs von 1494.

 

Insgesamt zeichnet die Verfasserin überzeugend das Bild einer teils auf Traditionen gewachsenen, teils bewusst geplanten Gerichtsverfassung dreier Gerichtshoheiten, wobei sich diejenige der Stadtgemeinde von der herzoglichen ableitete und mit jener durch die Person des gemeinsamen Oberrichters verschränkt war. Im Verfahrensrecht treten Auswirkungen der Rezeption des römischen Rechts – sieht man von der Möglichkeit der Appellation ab - noch nicht deutlich hervor. Immerhin aber findet die Autorin im Hofgericht für das Jahr 1484 zwei gelehrte Beisitzer. Die Verfasserin trifft auf eine im Ganzen gesehen recht ungünstige Quellenlage. Namentlich die gerichtliche Tätigkeit ist nur sehr bruchstückhaft überliefert. Dies beeinträchtigt vor allem die Darstellung des zivilprozessualen Erkenntnisverfahrens, wo die Verfasserin sich auf lediglich drei Verfahrensurkunden stützt und daneben - wie auch sonst häufig – allgemeine Erkenntnisse anderer Autoren heranzieht, vor allem das Standardwerk Hans Schlossers , Spätmittelalterlicher Zivilprozess nach bayerischen Quellen, 1971. Die rezensierte Arbeit zeichnet sich durch eine sorgfältige und sachkundige Auswertung der verfügbaren Quellen und eine detailreiche Aufbereitung des Materials aus. Hilfreich sind zudem die wiederholt eingefügten materiell-rechtlichen Erläuterungen, vor allem zum Straubinger Liegenschaftsrecht.

 

Bad Nauheim                                                                                                 Reinhard Schartl