Gast, Birte, Der Allgemeine Teil und das Schuldrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Urteil von Raymond Saleilles

*Gast, Birte, Der Allgemeine Teil und das Schuldrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Urteil von Raymond Saleilles (1855-1912). (= Rechtshistorische Reihe 212). Lang, Frankfurt am Main 2000. 294 S. Besprochen von Filippo Ranieri. ZRG GA 118 (2001)

RanieriGast20000821 Nr. 10151 ZRG 118 (2001)

 

 

Gast, Birte, Der Allgemeine Teil und das Schuldrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Urteil von Raymond Saleilles (1855-1912). (= Rechtshistorische Reihe 212). Lang, Frankfurt am Main – Berlin – Bern – Brüssel – New York – Oxford – Wien 2000. 294 S.

Vorliegende Dissertation stammt aus der Schule des Kieler Rechtshistorikers Werner Schubert. Sie will das Werk des berühmten französischen Zivilrechtlers Raymond Saleilles erschließen und insbesondere dessen Bedeutung für die Rezeption des deutschen Rechts, vor allem der deutschen Zivilrechtskodifikation von 1900 in Frankreich, beleuchten. Raymond Saleilles, Schüler von Claude Bufnoir, war seit Anfang der 80er Jahre „Professeur de droit civil“, zunächst in Grenoble, später in Dijon und seit 1898 an der Pariser Rechtsfakultät. Durch sein Werk und seine Lehre hat er das französische Zivilrecht an der Schwelle zwischen dem 19. und dem 20. Jahrhundert tiefgreifend geprägt. Er war zugleich einer der ersten bedeutendsten Vertreter der neu aufkommenden Wissenschaft der Rechtsvergleichung in Frankreich. In einem ersten Abschnitt ihrer Arbeit (S. 17-34) schildert die Verfasserin die Biographie und die wesentlichen Etappen im wissenschaftlichen Werk unseres Autors. Mit einem liebevollen Reichtum an Einzelheiten präsentiert sie Saleilles im Kontext seiner Zeit. In diesem Zusammenhang sei auch die vollständige Bibliographie der von Saleilles verfaßten Schriften erwähnt (S. 269-286). Raymond Saleilles wirkte seinerzeit auf allen Gebieten des französischen Zivilrechts. Eine besondere Stellung nimmt jedoch in seinen Schriften das Interesse für die damalige deutsche pandektistische Zivilrechtsliteratur sowie vor allem für die Ende des 19. Jahrhunderts im damaligen deutschen Kaiserreich publizierten Entwürfe einer neuen Privatrechtskodifikation ein. Hierzu veröffentlichte Saleilles in einzelnen Berichten und Analysen zwischen den 80er und den 90er Jahren unzählige Beiträge. Sie kulminierten in zwei außerordentlich bedeutsamen Monographien: „De la déclaration de volonté. Contribution à l’étude de l’acte juridique dans le Code civil allemand (Art.116 à 144)“, Paris (: Pichon) 1901 sowie „Etude sur la théorie générale de l’obligation d’après le premier project de code civil pour l’empire d’Allemagne“, 2.Aufl., Paris (: Pichon) 1901. Der Analyse dieser zwei Werke ist die Dissertation im wesentlichen gewidmet. 1904 publizierte Saleilles im Auftrag des „Comité de législation étrangère“ die erste französische Übersetzung des BGB (Code civil Allemand, Band 1, Paris 1904). Übersetzt wurden damals der Allgemeine Teil, §§ 1-240, und der Erste Teil des Schuldrechts, §§ 241-432 BGB. Eines der zentralen Probleme des Verhältnisses zwischen französischem und deutschem Zivilrecht lag damals und liegt heute noch gerade in der unterschiedlichen Begrifflichkeit und Rechtssprache. Die erste Übersetzung des Bürgerlichen Gesetzbuchs ins Französische, die damals am Ende des 19. Jahrhunderts angefertigt wurde, bietet deshalb Gelegenheit, außerordentlich interessante Beobachtungen zu machen. Besonders verdienstvoll ist deswegen die Idee der Verfasserin, die von Saleilles redigierten Übersetzungen der §§ 116-144 BGB in einer Anlage (S. 255-268) zu reproduzieren. Parallel werden hier jeweils die 1901 und 1904 publizierten Übersetzungen abgedruckt. Gelegentlich zeigen die geringfügigen Abweichungen in den Textfassungen, daß Saleilles in jenen Jahren sich immer wieder mit dem Problem befaßt hat, die neuartige Begrifflichkeit der deutschen Kodifikation in die französische Rechtssprache zu übertragen. Die Dissertation selbst gliedert sich in zwei zentrale Teile. In einem ersten wird die Monographie zur „Déclaration de volonté“ analysiert (S. 35-193). In einem zweiten Teil wird die Abhandlung zur „Théorie générale de l’obligation“ zugrundegelegt (S. 195-252). Die Analyse gliedert sich nach der Paragraphenfolge des BGB und erfolgt insoweit immer nach einem identischen Schema: Nach einer kurzen Präsentation des im jeweiligen deutschen Paragraphen geregelten Problems folgt ein kurzer Hinweis auf eventuelle Unterschiede im ersten und zweiten Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie eine ausführliche Wiedergabe der Stellungnahme von Saleilles. Eine umfassende Einarbeitung des pandektistischen Schrifttums sowie auch der damaligen französischen Rechtsliteratur bleibt im Regelfall allerdings aus. Hinweise werden regelmäßig nur zum Lehrbuch des Pandektenrechts von Bernhard Windscheid sowie zu den französischen Kommentaren im Bulletin de législation étrangère gegeben. Hier sei als Beispiel auf die Ausführungen zur Unmöglichkeit der Leistung auf S. 203-205 hingewiesen. Die Analyse und die Wiedergabe des Kommentars von Saleilles wirkt gelegentlich etwas ermüdend, weil sich die Verfasserin in ihren Ausführungen streng auf die bereits erwähnten Werke von Saleilles beschränkt. Weitestgehend ausgeblendet bleiben leider die tieferen Gründe, warum französisches Zivilrecht und deutsches Bürgerliches Gesetzbuch in Sprache, Begrifflichkeit und häufig auch im materiellrechtlichen Inhalt so divergieren. Eine solche, in die Tiefe geführte historisch-vergleichende Analyse hätte der Untersuchung zweifellos gut getan. Damit wäre gelegentlich auch die besondere Bedeutung von Raymond Saleilles im Kontext der Entwicklung des französischen Zivilrechts deutlicher geworden. Mit ihrer präzisen Einzelanalyse der Kommentare von Saleilles liefert die Verfasserin aber auf jeden Fall wichtiges Material für einen deutsch-französischen Rechtsvergleich. Insoweit findet der Leser darin unzählige Einzelheiten und Beobachtungen, die auch aus der Sicht der heutigen Rechtsvergleichung noch lesens- und bedenkenswert bleiben.

Saarbrücken                                                                                                  Filippo Ranieri