Hoensch, Jörg K., Die Luxemburger.

*Hoensch, Jörg K., Die Luxemburger. Eine spätmittelalterliche Dynastie gesamteuropäischer Bedeutung (= Urban-Taschenbuch 407). Kohlhammer, Stuttgart - Berlin - Köln 2000. Besprochen von Alois Gerlich. ZRG GA 118 (2001)

GerlichHoensch20000710 Nr. 10090 ZRG 118 (2001)

 

 

Hoensch, Jörg K., Die Luxemburger. Eine spätmittelalterliche Dynastie gesamteuropäischer Bedeutung (= Urban-Taschenbuch 407). Kohlhammer, Stuttgart – Berlin – Köln 2000. 368 S., 2 Karten, 4 genealogische Taf.

Aus der Flut der vom Buchmarkt dargebotenen Taschenbücher hebt sich die vom Kohlhammerverlag betreute Reihe heraus, in der bisher überwiegend die großen Dynastien des frühen und hohen Mittelalters Gegenstand der Darstellung aus der Feder ausgewiesener Experten waren. Mit Hoenschs Band treten jetzt das 14. und die vier ersten Dezennien des folgenden Jahrhunderts der Reichsgeschichte in den Vordergrund. Nach der Ermordung des Königs Albrecht I. von Habsburg 1308 gelangt fast unvermittelt mit Heinrich von Luxemburg wieder ein Graf aus der westlichen Grenzregion durch kurfürstliche Wahl zur Krone, in seiner nur fünfjährigen Regierungszeit kann durch den Erwerb Böhmens seine Familie zur dritten großen Dynastie bis zum Tod des Urenkels 1437 emporsteigen. Die weit auseinander liegenden Machtgebilde recht unterschiedlichen Gewichtes und differenzierter Struktur stellen an das Gebot ausgewogener Darstellung hohe Ansprüche. Diese werden, um ein Gesamturteil vorwegzunehmen, erfüllt. Hoensch fügt mit diesem Band gleichsam eine dynastisch orientierte Schau des deutschen Spätmittelalters und der Verschlingungen mit den Entwicklungen in Ostmitteleuropa, in Italien und im Hundertjährigen Krieg zwischen Frankreich und England an seine Studien an, die bereits Früchte trugen in seinen konzisen, mehrfach aufgelegten Darstellungen der Geschichte Polens und Böhmens. Zu eigenen Schwerpunkten des Schaffens lockten ihn im Blick auf Ungarn und den Deutschen Orden die Politik und Biographie des Kaisers Sigismund, zuvor des Böhmenkönigs Przemysl Ottokar II. Die Parallelität dieses Buches zur gleichermaßen gelungenen Behandlung der Habsburger im Mittelalter von Karl‑Friedrich Krieger in der gleichen Reihe 1994 ist zu begrüßen.

Grundlage für derartige Darstellungen bieten die Quelleneditionen und Regestenwerke in den Bereichen der deutschen und böhmischen sowie der territorialen Geschichte mit deren untereinander intensiven Nachweisverkettungen. Vorgegebenes Gerüst der Darstellung ist die Generationenfolge. Naturgemäß mager bleibt das erste Kapitel über die Grafenzeit mit den Entwicklungen zwischen 963 und der Königswahl von 1308, satter sind die Nachweisungen für die Jahre der Regierung des Kaisers Heinrich VII. Erwägenswert sind die Äußerungen über die Zufälligkeit des Erwerbs des im Vergleich mit der Grafschaft Luxemburg riesigen Königreichs Böhmen und Heinrichs VII. Wendung statt zum neuen Land hin zum Kaisertum (S. 39).

Unverkennbar ist des Verfassers verstärktes Engagement im Kapitel über König Johann, dessen Wirken er mehr Umfang beimißt als den Generationen zuvor. Auf das facettenreich ‑ wechselvolle Wirken geht Hoensch in Zusammenfassung von Ergebnissen der oftmaligen Beschäftigung mit Johanns Auftreten in Deutschland, dem wechselvollen Verhältnis mit Ludwig dem Bayern, mit Frankreich und Böhmen ein, behandelt abwägend dessen Beziehung zum anders gearteten Sohn Karl und überzeugt mit seinen kritischen Hinweisen auf die historiographischen Fehlzeichnungen (S. 104).

Die gleiche Raffung von historischen Fakten und Bewertungen charakterisiert den dem Kaiser Karl IV. gewidmeten Abschnitt (S. 105‑176). Die Andersartigkeit der Reichsverfassung im Vergleich mit der Struktur des Königreichs Böhmen und seinen Nebenländern tritt plastisch hervor. Die Goldene Bulle von 1356 wird als Ergebnis sorgfältig vorbereiteter und auf den aktuellen Zustand der Machtverhältnisse zugeschnittener Gesetzgebung behandelt. Eigenen Wert haben die Beobachtungen im Blick auf die geistlichen Kurfürstentümer und mehr noch auf die Pfalzgrafschaft sowie die von Karl formulierte Position seines böhmischen Königtums im Kreis der Wahlfürsten. Die Effektivität der Landfrieden litt oft an den Gegensätzen der Feudalgewalten und am Mißtrauen in den die Reichsstädte führenden Kreisen. Mit Recht weist Hoensch auf das Wirken des Pfalzgrafen Ruprecht I. als vom Mittel‑ und Oberrhein ausgehender Wegbereiter wittelsbachischer Opposition gegen das luxemburgische Machtstreben hin. Eine die Karte auf S. 157 ergänzende Zeichnung der Oppositionsregionen hätte hier und mehr noch für die späteren Teile des Buches guten Dienst getan. Die geraffte Nennung der Hauptereignisse in der oftmals durch Heiraten und deren Vermittlung gesteuerten Hausmachtpolitik, die vielfältigen Finanzgeschäfte, das ganz unmilitärisch‑zähe und erfolgreiche Eingreifen in Italien, der Ausgriff nach der Mark Brandenburg zur Gewinnung der Kurstimme und zur Festigung der Position gegenüber Polen seien hier aufgezählt als Details der Ausführungen, die hinleiten zur meisterhaften Gesamtwürdigung Karls IV. (S. 174ff.).

Zu Umfeld und Hintergrund des Geschehens leitet hin ein etwas angehängt wirkendes Kapitel über die Gesellschaft mit deren stark wachsenden Sozialspannungen und die eng vernetzten Wirtschaftsbeziehungen. Die Bevölkerungsverluste durch die Pestwellen können mit einem Drittel nur geschätzt werden. Im technischen Wandel spielen Tuch‑ und Eisenherstellung bedeutende Rollen infolge flächendeckender Vervollkommnungen. Die vom Kaiser angestoßene Gründung der Prager Universität ist Spitzenerscheinung des fühlbaren Aufschwungs im Bildungswesen, in dem langsam laikale Träger neben die klerikalen treten.

Kürzer gehalten sind die Ausführungen über die Regierungszeit Wenzels (S. 193‑233), obwohl es nicht an Dynamik in seinen beiden Königreichen fehlte. Überkommen war die lästige Beschäftigung mit dem Großen Schisma. Die Oppositionen der rheinischen Kurfürsten und des böhmischen Landadels, unerfüllte Hoffnungen im Landfriedenswesen und die fortdauernden Rankünen im Kreis der eigenen Familie, dann Frankreichs Eingreifen in Oberitalien ließen schwere Vorwürfe gegen den lange Zeit nicht im Reich erscheinenden König anwachsen und schließlich als Argumente für die Absetzung im August 1400 brauchbar werden. Überschattet wurde alles durch das Anwachsen des Hussitismus mit der symptomatischen Universitätskrise von 1409 in Prag und dem Aufkeimen des böhmischen Nationalempfindens. In Deutschland entglitten Wenzel Einflußmöglichkeiten auf das Münzwesen, auf die Besetzung der geistlichen Reichsfürstentümer, auf den Krieg der Fürsten gegen die Städte am Rhein und in Schwaben. Der Verfasser stellt überzeugend die strukturellen Unvereinbarkeiten in jenen wirren Konstellationen heraus und findet auch im Falle Wenzel zu einer ob der bislang vorherrschenden negativen Beurteilungen annehmbar ausgewogenen (S. 226 u. 228). Wenn jedoch anschließend von einer Wiedergewinnung der Machtstellung gesprochen wird, um das luxemburgische Überleben im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts zu kennzeichnen, sei eine stärkere Nuancierung der Abläufe angemahnt. Wohl war König Ruprecht von der Pfalz nicht fähig seinen Gegner zu besiegen, doch die Luxemburger Brüder und Vettern haben in Deutschland ihrerseits keine Erfolge gehabt, sondern nur in Ostmitteleuropa. Die Eigenwilligkeit der Entwicklungen im Reich blieb ‑ insgesamt gesehen ‑ kaum mehr umkehrbar. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch der Kaiser Sigismund gewidmete Abschnitt (S. 234‑306) zu beurteilen. Streitereien mit Wenzel, Kriege am Rhein, in Schwaben und Bayern waren nicht neu. Der erst mit dreijähriger Verspätung nach den merkwürdigen Wahlen ins Reich Gekommene setzte mit der Überwindung des dreigeteilten Papsttums und dem starken Einfluß auf das Konstanzer Konzil, hierin weiter schauend als die Theologen, seine Akzente. Die in Polen, dem Deutschordensland, Ungarn, Italien und in den westlichen Grenzgebieten harrenden Aufgaben gingen jedoch über seine Kräfte. Der unglückliche Krieg mit Venedig, die Verluste in Friaul und Dalmatien und zeitweise die im Binger Kurverein manifeste Oppositionstendenz, vor allem aber der seit 1420 in Wellen anbrandende Hussitenkrieg, er mit verursacht durch die gegen Sigismunds Bedenken 1415 durchgebührte Verbrennung des Jan Hus, zeichnet Hoensch mit sicheren Konturen als die großen Lasten jener Regierung in den zwanziger Jahren. In der Folge geben die Annäherung an die Habsburger, die Befriedung Italiens, Kaiserkrönung, in Böhmen der Ausgleich mit den Gemäßigten und Anerkennung als König freundlichere Farben in die Darstellung jener höchst komplizierten Regierungszeit eines rankünebegabten Herrschers, dem wie seinen Vorgängern die kritisch ausgewogene wohlwollende Bewertung mit Recht zukommt (S. 301ff.). In gerafftem Ausblick werden die Folgen der Sigismundzeit in den von ihm beherrschten Reichen dargestellt und die Hauptdaten im Geschick des 1616 im Mannesstamm erloschenen französischen Zweiges des Hauses Luxemburg nachgetragen.

Ergänzt werden die Ausführungen durch eine auf die Kapitel bezogene Auswahlbibliographie (S. 321‑345), vier Stammtafeln und ein Personenregister. Dem Benutzer wird der Weg gewiesen zu eigenständiger Beschäftigung mit den beiden letzten Jahrhunderten der europäischen Geschichte im Mittelalter. Das hebt diesen Band ebenso wie seine Vorgänger in der Urban‑Reihe heraus aus der Flut der Taschenbücherproduktion. Gar zu oft nimmt man anderwärts rasch Zusammengeschriebenes und trotz Effekthascherei und Zuspitzungen Langweilendes in die Hand. Hier aber werden Ergebnisse gründlich betriebener Fachwissenschaft und solider Überblick dargeboten, wofür Dank gebührt.

Wiesbaden                                                                                                     Alois Gerlich