Björne, Lars, Den konstruktiva riktningen

. Den nordiska rättsvetenskapens historia. Del III 1871-1910 (= Rättshistorisk bibliotek 60). Rönnells Antikvariat AB Stockholm 2002. XVI, 552 S.  ZRG GA 121 (2004)

Björne, Lars, Den konstruktiva riktningen. Den nordiska rättsvetenskapens historia. Del III 1871-1910 (= Rättshistorisk bibliotek 60). Rönnells Antikvariat AB Stockholm 2002. XVI, 552 S.

 

Nachdem in den Jahren 1995 und 1998 die ersten beiden des auf vier Bände angelegten Werkes über die Geschichte der nordischen Rechtswissenschaft erschienen waren[1], legte der Verfasser 2002 den dritten Band seiner umfassenden Darstellung vor, der die Zeit von 1871 bis 1910 behandelt. Er nennt ihn Den konstruktiva riktningen, die konstruktive Richtung, und meint damit den rechtswissenschaftlichen Positivismus, wie er in Deutschland von Teilen der Historischen Rechtsschule und vor allem vom jungen Ihering gepflegt wurde.

 

Nach einer Darstellung der Forschungslage, die bemerkenswert kurz ausgefallen ist, weil es nicht allzu viele Werke gibt, die sich bisher der skandinavischen Wissenschaftsgeschichte gewidmet haben, bietet er in einem ersten Teil die Voraussetzungen der Rechtswissenschaft in dem behandelten Zeitpunkt. Für die politische Ebene ist auf den Frieden von Wien 1864 hinzuweisen, in dem Dänemark Schleswig und Holstein an Preußen und Österreich abtreten mußte. Das führte zwar zu einer Entfremdung zwischen Dänemark und Deutschland, hinderte die Juristen aber nicht, dort zu studieren und sich mit der deutschen rechtswissenschaftlichen Entwicklung auseinanderzusetzen. Einschneidend war auch die Auflösung der nordischen Union zwischen Schweden und Norwegen im Jahre 1905, die beispielsweise in der den ganzen Norden übergreifenden Tidsskrift for Rettsvitenskap[2] zu einer Krise führte und die Zusammenarbeit der nordischen Juristen jahrelang beeinträchtigte. Das Verhältnis Dänemarks zu Island beherrschten starke Spannungen, die sich durch die Verfassungen von 1874 und 1903 zwar verminderten, aber weiter wirksam waren.

 

Die juristischen Fakultäten vermehrten sich um zwei: 1906 errichtete Schweden in Stockholm eine juristischen Fakultät mit sechs Professoren, und in Island begann 1908 die bereits 1904 errichtete die Rechtsschule (Lagaskóli) zu arbeiten. Sie ging als juristische Fakultät in der 1911 errichteten Universität Reykjavík auf. Auch die juristischen Examen befanden sich in einem ständigen Umbruch. Zwischen 1873 (Schweden) und 1901 (Finnland) ließ man zwar auch Frauen zum Studium der Rechtswissenschaft zu, doch wirkte sich das erst wirklich aus, als sie – mehrere Jahrzehnte später – in den Staatsdienst eintreten und auch Professorinnen werden konnten. Bemerkenswert ist schließlich auch, daß in dem dargestellten Zeitraum viele Professoren politisch tätig waren und häufig Ministerposten annahmen, so in Dänemark Johannes Nellemann, Carl Goos und Johann Henrik Deuntzer, in Norwegen Fredrik Stang und Francis Hagerup und in Schweden Ernst Trygger.

 

Den zweiten Hauptteil seines Werkes widmet der Verfasser der juristischen Literaturgeschichte des Zeitraumes. Er bearbeitet die einzelnen Länder – nicht mehr wie in den früheren Bänden – nach Personen, sondern nach Sachgebieten, zu denen neben dem Privatrecht, dem Straf- und Prozeßrecht, dem Staats- und Völkerrecht auch die Rechtsphilosophie und die Rechtsgeschichte gehören. Am schmalsten fällt diese Bilanz für Island aus, dessen Hochschulwesen erst nach 1900 in Schwung kam. Deshalb finden sich hier außer einigen Arbeiten, die der Laienjurisprudenz zuzurechnen sind, nur der Deutsche Konrad Maurer in München und der in Dänemark wirkende Vilhjalmur Finsen, welche die reiche isländische Rechtsgeschichte bearbeiteten. Die Stellung Islands im dänischen Staat war durch die Verfassung von 1903 nicht geklärt, so daß sich im 19. Jahrhundert Autoren wie Johannes Ephraim Larsen, Jón Sigurðsson, Einar Arnórson und Jón Þorkelsson dazu kritisch äußerten. Die rechtshistorische Forschung erlebte in Dänemark gegen Schluß des 19. Jahrhunderts eine Blütezeit: Zu nennen sind vor allem Christian Ludwig Ernst Stemann, Henning Matzen, der die letzte vollständige Rechtsgeschichte Dänemarks geliefert hat, und Poul Johannes Jørgensen, dessen Lehrbuch noch immer maßgeblich ist, aber leider nur die Rechtsquellen und das Staatsrecht umfaßt. In Norwegen glänzten – neben Konrad Maurer – in der Rechtsgeschichte besonders Fredrik Brandt, Torkel Halvorsen Aschehoug, Ludvig Maribo Benjamin Aubert, vor allem aber Ebbe Carsten Horneman Hertzberg, der die norwegische Quellenkritik auf neue Grundlagen gestellt hat. Auch wenn der Verfasser feststellt, daß in dem von ihm behandelten Zeitraum die Rechtsgeschichte in Schweden blühte, muß man bedauern, daß sie es zu keiner Gesamtdarstellung gebracht hat, sondern sich – leider bis heute – mit hektographierten Vorlesungstexten behilft. Genannt zu werden verdienen Alfred Winroth, Ludvig Bååth, Wilhelm Uppström, Wilhelm Sjögren und Carl Delin. Da es in Finnland damals nur eine Universität in Helsinki gab, ist die Zahl der Rechtshistoriker gering. Zu nennen sind Jaakko Forsman, der die erste finnische Rechtsgeschichte schrieb, Julian Serlachius, Ernst Estlander und Wilhelm Gadolin, die sich vor allem um mittelalterliches Recht verdient machten.

 

Den literaturgeschichtlichen Teil seiner Arbeit, der etwa die Hälfte des Buches einnimmt, schließt Björne auf S. 207 ab. Es folgt ein etwa gleich großer zweiter Teil, der dogmatischen Entwicklung der Rechtswissenschaft gewidmet. Hier ist kennzeichnend, daß der rechtswissenschaftliche Positivismus, der damals in Deutschland herrschte, durch die vielen skandinavischen Gasthörer auch in den Norden getragen wurde. Vor allem ist der große Einleitungsaufsatz des Norwegers Hagerups in der Tidsskrift for Rettsvitenskap 1888 zu nennen, in dem er sich – der selbst in Deutschland studiert hatte – mit Iherings und Windscheids Thesen auseinandersetzte. Hagerup hatte zwar große Sympathien für die systematische betriebene deutsche Rechtswissenschaft, verhehlte aber nicht, daß die Begriffsjurisprudenz nur ein Hilfsmittel sein konnte und man eine Rechtsregel nicht allein auf konstruktive Gründe aufbauen könne. Sein Aufsatz ist dann Gegenstand weiterer Kontroversen in Skandinavien geworden. In unseren Tagen waren es Stig Jørgensen und Kjell Åke Modéer, die diesem Einfluß nachgegangen sind[3]. In Dänemark hat der rechtswissenschaftliche Positivismus den geringsten Widerhall gefunden. Es wird zwar behauptet, das hänge mit dem nach 1864 entstandenen antideutschen Ressentiment zusammen, Björne kann aber nachweisen, daß Scheels und Aagesens Arbeiten vielfache Hinweise auf Savigny und den älteren Ihering enthalten. Dagegen war man der späteren konstruktiven Richtung des Positivismus, wie sie der jüngere Ihering, Puchta und Gerber vertraten, weniger zugeneigt und zitierte sie deshalb entsprechend seltener. Auch im übrigen Skandinavien wurde sie weniger geschätzt. Björne meint, Deutschland habe darunter gelitten, daß seine Gesetzgebung mangelhaft und veraltet gewesen sei. Die dadurch entstandenen Lücken, Mängel und Mißhelligkeiten hätten geradezu eine produktive Rechtswissenschaft hervorgerufen. Demgegenüber sei aber die Gesetzgebung im Norden durch die dänisch/norwegische Kodifikation von 1683 und die schwedische von 1734 modern und lückenlos gewesen, so daß die Rechtswissenschaft sich auf die Interpretation der Gesetze beschränken konnte. Anders war es nur in Finnland, daß damals russische Provinz war und wo auch das größte Interesse an der konstruktiven Jurisprudenz herrschte.

 

Während die Einteilung in Privat- und öffentliches Recht auch im Norden – mit wechselnder Begründung und geringen Ausnahmen, wie den Dänen Bornemann und Goos – allgemeinen Beifall gewann, war man in der Rechtsquellenlehre uneins: Zwar wurde das Gesetz als primäre Rechtsquelle anerkannt, Streit herrschte aber über die Rolle des Gewohnheitsrechts und vor allem über die rechtsbildende Kraft von Rechtswissenschaft und Rechtsprechung. Immerhin war anerkannt, daß beide der Rechtsentwicklung dienlich waren, sie galten deshalb als subsidiäre Quellen. Das Gewohnheitsrecht als Rechtsquelle gewann Anhänger vor allem in Norwegen (Aschehoug, Brandt), Schweden (Schrevelius) und Dänemark (Scheel), während es Montgomery in Finnland erst nach 1880 anerkannte, als die große Zeit des Gewohnheitsrechts in Deutschland bereits versunken war. Auch die skandinavische Auslegungslehre hatte starke Wurzeln in Deutschland, wenn sie auch typisch skandinavische Züge trug.

 

In der Privatrechtsdogmatik tobte gegen das Ende des 19. Jahrhunderts in Skandinavien der Streit zwischen Willenstheorie und Vertrauenstheorie. Während in Dänemark die Vertrauenstheorie durch Niels Lassen und Viggo Bentzon an Boden gewann, sprachen sich in Norwegen Francis Hagerup und Oscar Platou für die Willenstheorie aus, während der jüngere Fredrik Stang keiner der beiden Theorien folgte, weil beide in der Praxis zu Unzuträglichkeiten führten. Nikolaus Gjelsvik dagegen wollte die Schwierigkeiten beider Theorien nicht überbewerten, stützte sich aber doch wesentlich auf eine (modifizierte) Willenstheorie. In Schweden vertrat Nordling eine Interessentheorie im Sinne Iherings, dagegen war Reuterskiöld Vertreter der Willenstheorie, der sich auch Hällström und Serlachius für Finnland anschlossen. Während dieser Streit unentschieden weiter wogte, bis ihn das Vertragsgesetz (Avtalslagen) erledigte, das zwischen 1915 und 1936 in allen nordischen Ländern eingeführt wurde, war die Frage, ob ein Vertragsangebot bindend sei, oder ob es – wie im gemeinen Recht – eines Vertrages bedürfe, im Sinne des bindenden Angebotes bald entschieden.

 

Am Ende seines Buches erörtert Björne die Entwicklung der rechtshistorischen Forschung im Norden zwischen 1810 und 1910. Hier fand die historische Rechtsschule weite Anerkennung, wofür vor allem Carl Johann Schlyter in Schweden mit seiner großen Ausgabe der schwedischen Landschaftsrechte steht. Es herrschte eine idealistische und nationalistische Geschichtsauffassung, auch um die Quellenkritik war es nicht gut bestellt, glaubte man doch in den in den Gesta Danorum des Saxo Grammaticus erwähnten Gesetzen wie in Odins, Harald Blauzahns, Viga Spas und Lumbærs Gesetzen echte Rechtsquellen zu finden, obwohl sie teilweise im Wortlaut nicht überliefert oder jedenfalls ihre Urheber unklar waren. Erst nach 1910 setze sich eine quellenorientierte und positivistische Auffassung durch, für die in Dänemark Kristian Erslev und Poul Johannes Jørgensen, in Norwegen Gustav Storm und Ebbe Hertzberg, in Schweden die Brüder Lauritz und Curt Weibull stehen. Sie haben in der Quellenkritik eine Wende herbeigeführt, die Grundlage der heutigen Geschichtswissenschaft geworden ist.

 

Meine kritischen Bemerkungen hinsichtlich der in den Kurzbiographien und im Quellenverzeichnis aufgeführten Literatur (vgl. oben Fn. 1, S. 664f.) und den Schriften der Nichtskandinavier, vor allem der deutschen Pandektisten halte ich aufrecht, da hier nichts gebessert ist. Auch jetzt noch fehlen in dem sonst ausführlichen und mit Lebensdaten versehenen Personenregister zum Teil die Vornamen (z.B. Aagaard, Aschehoug, Aubert, Odhner, Olivarius, Olsen etc., obwohl sie in den Kurzbiographien genannt sind). Der Verfasser hat dankenswerterweise diesmal ausführlicher als in den früheren Bänden die Entwicklung der Dogmatik behandelt. Um so schmerzlicher vermißt man ein Sachverzeichnis, das hoffentlich noch dem Band IV (für alle Bände) beigefügt werden wird. Insgesamt hat Björne auch diesmal den hohen Rang der früheren Bände aufrechterhalten können, so daß er ein Standardwerk geliefert hat, dessen baldige Vollendung durch einen vierten Band sehr zu wünschen ist.

 

Köln am Rhein                                                                                                           Dieter Strauch

[1]  Vgl. dazu meine Besprechung in ZRG GA, Bd. 117 (2000), S. 659 – 665.

[2]  Über die Geschichte dieser den skandinavischen Norden übergreifenden Zeitschrift vgl. Sten Gagnér, Hagerups tidskrift, in: TfR 1999, S. 255-379. Sein eingehender Beitrag wird in deutscher Übersetzung 2003/04 in Goldbach im Rahmen von Sten Gagnérs „Gesammelten Abbhandlungen“ erscheinen, die Joachim Rückert, Maximiliane Kriechbaum und Michael Stolleis herausgeben.

[3] Vgl. Stig Jørgensen, Grundzüge der Entwicklung der skandinavischen Rechtswissenschaft, in: JZ 1970, S. 529 – 535; Kjell Åke Modéer, Iherings Rechtsdenken als Herausforderung für die skandinavische Jurisprudenz, in: Juristische Theoriebildung und rechtliche Einheit. Beiträge zu einem rechtshistorischen Seminar in Stockholm im September 1992, Lund 1993, S. 91-115.