Bornheim, Silvia, Die arbeitsrechtliche Normsetzung

des Reichskommissariats in den Niederlanden (= Berliner juristische Universitätsschriften, Grundlagen des Rechts 23). Berlin Verlag, Berlin 2002. 245 S. Besprochen von Gerold Neusser. ZRG GA 121 (2004)

Bornheim, Silvia, Die arbeitsrechtliche Normsetzung des Reichskommissariats in den Niederlanden (= Berliner juristische Universitätsschriften, Grundlagen des Rechts 23). Berlin Verlag, Berlin 2002. 245 S.

 

Die von Rainer Schröder betreute Berliner Dissertation führt den Leser in die Niederlande, die am 10. Mai 1940 vom nationalsozialistischen Deutschen Reich trotz ihrer Neutralität überfallen und bis 1945 besetzt gehalten worden sind. Die Zeit der deutschen Besatzung ist historisch vor allem von niederländischer, aber auch von deutscher Seite gut dokumentiert und weitgehend aufgearbeitet worden. Für spezielle rechtshistorische Fragestellungen war bislang jedoch kaum Raum. Um so wichtiger war es, die Kriegswirtschaft in dem besetzten Land unter „arbeitsrechtlichen“ Gesichtspunkten zu untersuchen. Dies ist Silvia Bornheim gut gelungen, unter Verarbeitung der niederländischen und deutschen Literatur und Quellen, aber auch der Archivalien des Nederlandse Instituut voor Oorlogsdocumentatie.

 

Nach der Besetzung der Niederlande und der Kapitulation ihrer Armee am 15. Mai 1940 stand das Land zunächst eine kurze Zeit unter deutscher Militärverwaltung, aber schon Ende Mai übernahm der „Reichskommissar der besetzten niederländischen Gebiete“ Dr. Arthur Seyß-Inquart die Leitung der Zivilverwaltung. § 5 des Erlasses des Führers über die Ausübung der Regierungsbefugnisse in den Niederlanden bestimmte : „Das bisher geltende (d. h. niederländische) Recht bleibt in Kraft, soweit es mit der Besetzung vereinbar ist.“ Der Reichskommissar wurde „ermächtigt, durch Verordnung Recht zu setzen“, er hatte daher größeres Gewicht als der Wehrmachtbefehlshaber, zumal er auch alle nach niederländischem Recht dem König und der Regierung zustehenden Befugnisse übernahm. Er hatte seine eigene (deutsche) Verwaltung (rund 1.500 Personen), beaufsichtigte aber auch die bestehen gebliebenen niederländischen Behörden, auch die Ministerien, an deren Spitze die bisherigen Generalsekretäre standen. Diese konnten auch Ausführungsvorschriften zu den Verordnungen des Reichskommissars erlassen. Eine solche zunächst zurückhaltend agierende „Führungs- und Aufsichtsverwaltung“ entsprach den deutschen Absichten einer „Nazifizierung“ der Niederlande. Auch die kriegswirtschaftlichen Zielsetzungen erforderten anfangs – in der „ersten Besatzungsphase“ (bis Frühjahr 1942) – eine „Sonderbehandlung“ der „germanischen“ Niederlande im Blick auf ihre Rohstoff-, Gold- und Devisenreserven, vor allem aber ihre Arbeitskräfte, deren Arbeitseinsatz in Deutschland zunächst unter der „Maske der Freiwilligkeit“ (S. 81) erfolgte. So gab der Reichskommissar nur einen rechtlichen Rahmen vor, innerhalb dessen in scheinbarer Kontinuität die niederländischen Behörden ihren Landsleuten gegenüber ebenfalls „freiwillig“ handelten. Zu diesem Bild gehört auch, daß der Hoge Raad, das höchste niederländische Gericht, gegen die grundlegende Verordnung des Reichskommissars, seine „Verfassung“ (die nicht den Regeln der Haager Landkriegsordnung entsprach, S. 68 ff.) „aus völkerrechtlicher Sicht keine Einwände“ erhob und auch später den Verordnungen der Besatzungsmacht Gesetzeskraft beimaß. Von dieser ersten unterscheidet Bornheim drei weitere „Besatzungsphasen“ im Blick auf jeweils eintretende Verschärfungen: die zweite vom Frühjahr 1942 bis Februar 1943 im Zeichen der „Existenzkrise der Kriegswirtschaft“ mit „verschärftem Arbeitskräftemangel“ (S. 115) in Deutschland und verstärkter Arbeitskräftebeschaffung dafür in den Niederlanden, die dritte Phase von Februar 1943 bis September 1944 sowie die vierte Phase bis zum Ende des Krieges im Mai 1945 unter dem Ausnahmezustand bei zunehmender Auflösung geordneter Besatzungs-Verwaltung, unter dem Kommando des Wehrmachtbefehlshabers mit starken Einflüssen deutscher Polizei und SS, einer Zeit von „willkürlichem und erbarmungslosem Terror“ (S. 208).

 

Bornheim schildert in den Hauptteilen ihrer Untersuchung (S. 83ff., 129ff. 152ff., 210f. für die vier „Besatzungsphasen“), „mit welchen Mitteln die Ziele der Nationalsozialisten in den besetzten Niederlanden umgesetzt wurden: durch Maßnahmen ohne gesetzliche Grundlagen , also Terror und Willkür, oder mittels Rechtsnormen, die zumindest den Anschein der Legalität vermittelten“ (S. 18), also durch „arbeitsrechtliche Normsetzung“ wie durch „sonstige Maßnahmen“ betreffend „das Arbeitsrecht der in der Privatwirtschaft beschäftigten Arbeitnehmer“ (S. 19). Sie geht aus von der grundsätzlich weitergeltenden niederländischen Rechtsordnung und stellt die Eingriffe der Besatzungsmacht dar, in der ersten Phase das Verbot der Stillegung von Betrieben, der Arbeitszeitverkürzung, der Lohnkürzung und der Lohnerhöhung, die Genehmigungspflicht für Entlassungen und für Lohnregelungen und sonstige Arbeitsbedingungen, also praktisch die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen entsprechend dem niederländischen Recht. Für Ausnahmegenehmigungen waren die niederländischen Behörden zuständig. 1941 wurde die Dienstpflicht für staatliche Aufgaben eingeführt, allerdings zunächst nur innerhalb der Niederlande, erst später (1942) dann ohne örtliche Begrenzung, sowie Einschränkungen des Arbeitsplatzwechsels, das Verbot von Streik und Aussperrung und der Stillegung eines Betriebes. Es handelt sich also einerseits um Eingriffe in die Vertragsfreiheit mittels Genehmigungspflichten, aber auch mittels Festlegung von Arbeitsbedingungen sowie andererseits um öffentlich-rechtliche Regelungen zur Lenkung des Arbeitsmarktes, von denen anfangs „noch wenig Gebrauch gemacht“ (S. 102) wurde. Noch wurde der Schein der Freiwilligkeit aufrechterhalten. In der zweiten Phase wurden die Dienstpflicht ausgeweitet, Meldepflichten eingeführt, die Wochenarbeitszeit allgemein verlängert, Einstellung und Beschäftigung von Arbeitnehmern von Erlaubnissen abhängig gemacht sowie die Gewerkschaften aufgelöst mit der Folge, daß die bisherigen Tarifverträge nurmehr als allgemein verbindliche Regelungen der Generalsekretäre weitergalten. Durch eine Verordnung über die Ordnung des Arbeitslebens wurden nunmehr auch frühere niederländische Gesetze außer Kraft gesetzt. Für die Besatzungsmacht war von besonderer Bedeutung, daß die sogenannte „Auskämmung“ der Betriebe in den Niederlanden zwar nicht die gewünschte, aber doch eine große Zahl von Arbeitskräften für den Einsatz in der deutschen Rüstungsindustrie zur Verfügung stellte. In der dritten Phase brachte der sogenannte „totale Krieg“ die Regelungen „für die totale Mobilisierung des Wirtschaftslebens in den Niederlanden“ (S. 152), in denen nicht mehr die Inhalte, sondern nur noch die Formalien festgelegt wurden, die dann durch Einzelverfügungen ausgefüllt wurden. Im Rahmen der Zwangswirtschaft wurden nur noch „kriegs- oder lebensnotwendige“ Betriebe zugelassen, die Beschäftigung von Arbeitnehmern bestimmter Berufsgruppen verboten, die Wochenarbeitszeit erneut erhöht und verschärfte Meldepflichten zum Einzug ganzer Geburtsjahrgänge eingeführt, gerade letzteres löste freilich Widerstände, Boykotte und Sabotagen aus, denen wiederum verstärkt Terrormaßnahmen und Razzien folgten. Dennoch hatten alle diese Maßnahmen nurmehr begrenzten Erfolg. In der letzten Phase gab es dann praktisch keine arbeitsrechtliche Normsetzung mehr, sondern nurmehr Maßnahmen im Ausnahmezustand.

 

„Die großen Linien der Besatzungspolitik spiegelten sich in den Verordnungen und den entsprechenden Beschlüssen wider. Die Gesetzgebung der Besatzer wurde weitgehend von der Kriegslage der Dritten Reiches beeinflußt. Im Laufe der Besatzungszeit verschärften sich zunehmend die angewandten Maßnahmen der Besatzer.“ (S. 215) Die Politik der „Nazifizierung“ der Niederländer war gescheitert, aber man konnte – bei rund 500.000 Niederländern, die 1940 bis 1944 zur Zwangsarbeit ins Ausland verbracht wurden – doch erkennen, „wie außerordentlich „erfolgreich“ zumindest der Arbeitseinsatz der nationalsozialistischen Besatzer in den Niederlanden funktionierte“ (S. 213). Die Arbeit zeigt beispielhaft, auf welchen Wegen der Besatzungs-Machthaber zunächst im scheinbaren Gewand des Rechts handelte, dann aber eben doch – bei Verschärfung der Situation – zur ausschließlichen Ausübung brutaler Macht überging.

 

Bremen                                                                                                          Gerold Neusser