Institutionen und Ereignis.

* Über historische Praktiken und Vorstellungen gesellschaftlichen Ordnens, hg. v. Blänkner, Reinhard/Jussen, Bernhard (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 138). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998. Besprochen von Anja Amend. ZRG GA 118 (2001)

AmendInstitutionenund20000915 Nr. 1215 ZRG 118 (2001)

 

 

Institutionen und Ereignis. Über historische Praktiken und Vorstellungen gesellschaftlichen Ordnens, hg. v. Blänkner, Reinhard/Jussen, Bernhard (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 138). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998. 407 S.

Die Beiträge des Sammelbandes gehen zurück auf die Tagung „Institutionen und Ereignis“, die 1994 im Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen stattfand. Ziel der Tagung war es, die Nützlichkeit der analytischen Kategorien ‚Institution’ und ‚Ereignis’ als Instrumente historischer Forschungsarbeit auszuloten, nachdem sich die institutionentheoretische Diskussion in der Geschichtswissenschaft zunächst vom institutionellen Denken abgewendet hatte. Sowohl die Veranstalter der Tagung als auch einige der Referenten wirkten zuvor an dem interdisziplinären Schwerpunktprogramm „Theorie politischer Institutionen“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft als dessen zentrale Figuren mit, durch das die Diskussion in Deutschland maßgeblich belebt und forciert wurde. Die Göttinger Veranstaltung knüpfte an diese Arbeit an. Die hauptsächlich von politologischen und soziologischen Interessen motivierten Konzeptualisierungen des DFG-Projekts wurden durch die in dem Band vereinigten Einzelstudien historisch erprobt. Gemeinsam ist ihnen allen die Konzentration auf die handelnden Subjekte bzw. Gruppen. Nicht dagegen wurden die versammelten Autoren auf Einheitlichkeit der beiden hier tragenden Begriffe festgelegt.

Nach einer Einleitung der beiden Herausgeber (S. 9-16) und einem Beitrag zu Pierre Bourdieu von Gerhard Göhler und Rudolf Speth (S. 17-48) überspannt der Bogen der weiteren Beiträge in chronologischer Folge die okzidentale Geschichte: Egon Flaig (S. 49-73) behandelt die Volksversammlung der antiken römischen Republik. Der Beitrag von Bernhard Jussen (S. 75-136) betrifft die Frage, inwieweit die Bischofsherrschaft der Gallia für den dortigen Zerfall des römischen Reiches verantwortlich war. Dem Mittelalter sind die Beiträge von Otto Gerhard Oexle (S. 137-162) zur Entstehung politischer Stände und von Valentin Groebner (S. 163-184) zur Korruption in der städtischen Verwaltung gewidmet. Der Beitrag von Beate Schuster (S. 185-252) zur rätlichen Sittlichkeitspolitik am Beispiel randständiger Dirnen leitet zu dem frühneuzeitlichen Beitrag von André Holenstein (S. 253-273) zu den badischen Frevelgerichten als obrigkeitliches Instrument zur Durchsetzung der ‚guten Polizey’ über. Dem 19. Jahrhundert sind drei Beiträge gewidmet, so der von Ann Goldberg (S. 275-293) über „Institutionalizing Female Sexual Deviancy: Women, Rural Society, and the Insane Asylum in Nassau, 1815-1849“, der von Reinhard Blänkner (S. 295-325) und Andreas Holzem (S. 327-354). Blänkner skizziert - ausgehend vom Konstitutionsfest zu Gaibach in Franken 1832 als institutionelles Ereignis - den Konstitutionalismus in Deutschland als politische Institution. Am Beispiel der Trierer Rockwallfahrt von 1844 lotet Holzem aus, inwiefern Religion als Institution und Ereignis aufgefasst werden kann. Dabei umschreibt er Kontinuitäten und Brüche der religiösen Prozession als Typus kollektiven Handelns „zwischen Frühneuzeit und Katholischem Milieu“. Schließlich prüft Alf Lüdtke (S. 355-379) in seinem Beitrag den Nutzen und die Grenzen der institutionentheoretischen Diskussion anhand der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Er kommt zu dem kritischen Ergebnis, dass das Institutionelle gerade nicht zum ausdrücklichen Gegenstand historischer Reflexion gemacht werden sollte. Den Abschluss der Beitragsreihe bilden die Betrachtungen von Karl-Siegbert Rehberg (S. 381-407) zur „stabilisierenden ‚Fikionalität’ von Präsenz und Dauer“, in denen er auf seinen Eröffnungsvortrag bezugnehmend über den generellen Wert der institutionellen Analyse „sowohl als Mittel historischer Forschung ...“ als auch als Beitrag „zu der gegenseitigen Begriffs- und Problemübersetzung von Geschichts- und Sozialwissenschaften“ (S. 407) resümiert.

Ungeachtet der Tatsache, dass aufgrund der lockeren Handreichung durch die Stichworte ‚Institution’ und ‚Ereignis’ die Beiträge insgesamt Unterschiede aufweisen, stellt der abschließende Diskussionsbericht von Peter Charles Caldwell und Craig Koslofsky[1] zu Recht fest, was auch für die vorliegende Publikation gilt: Sie wird das Bewusstsein des Historikers über die Institution als methodisch- theoretisches Problem für die kommenden Jahre, nicht zuletzt auch im Hinblick auf die bereits anlässlich der Konferenz zu Tage getretenen kontroversen Ansichten, nachhaltig schärfen.

Frankfurt am Main                                                                                                     Anja Amend

[1] German History 13, 1995, S. 209-218.