Glossen zum Sachsenspiegel-Landrecht

. Buch’sche Glosse, hg. v. Kaufmann, Frank-Michael (= Monumenta Germaniae Historica, Fontes iuris Germanici antiqui, Nova Series 7). Hahnsche Buchhandlung, Hannover 2002. LXXXII, VII, VIII, 1-510, 511-1104, 110-1697, 8 S. Abb. in 3 Teilbänden. Besprochen von Gerhard Köbler. ZRG GA 121 (2004)

Glossen zum Sachsenspiegel-Landrecht. Buch’sche Glosse, hg. v. Kaufmann, Frank-Michael (= Monumenta Germaniae Historica, Fontes iuris Germanici antiqui, Nova Series 7). Hahnsche Buchhandlung, Hannover 2002. LXXXII, VII, VIII, 1-510, 511-1104, 110-1697, 8 S. Abb. in 3 Teilbänden

 

Die Verschriftlichung des Rechts ist einer der wichtigsten Schritte auf dem Weg zu seiner Verwissenschaftlichung. Wie die Wiederentdeckung des geschriebenen römischen Rechts in Italien im ausgehenden 11. Jahrhundert seine umfassende Glossierung an den entstehenden Universitäten ermöglichte, so schuf die Aufzeichnung des Rechts in Sachsen durch Eike von Repgow im frühen 13. Jahrhundert überhaupt erst die Voraussetzung für eine gelehrte Beschäftigung mit sächsischem Recht. Sie führte zur sog. Sachsenspiegelglosse.

 

Sie wurde in Basel 1474 bei Bernhard Richel nach einer inzwischen verlorenen Handschrift (Landrecht mitteldeutsch mit Glosse, Cautela, Premis, Richtsteig Landrechts, Landrecht lateinisch) erstmals gedruckt. Dem folgten bis 1500 neun weitere Drucke in Köln (1480, 1492), Augsburg (1481, 1482, 1484, 1496), Leipzig (1488, 1490) und Stendal (1488). Vielleicht am bekanntesten wurde der von dem späteren Leipziger Professor Christoph Zobel seit 1535 besorgte, in seinem Wert allerdings umstrittene Druck.

 

Im 18. Jahrhundert plante der hannoversche Bürgermeister Christian Ulrich Grupen eine neue bessere Ausgabe, scheiterte aber trotz ansprechender Ansätze. Carl Gustav Homeyer gelang dann zwar eine grundlegende Ausgabe des Sachsenspiegels und anderer Rechtsbücher, eine Edition der Sachsenspiegelglosse kam jedoch nicht zustande. Sie ist nach mehr als einhundert Jahren Vorarbeit erst durch das vorliegende Werk verwirklicht.

 

Dieses beruht auf dem nach dem Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland 1990 vom Präsidenten der seit einem Beschluss von 1921 (Ernst Heymann) mit der Sachsenspiegelglosse befassten Monumenta Germaniae Historica der sächsischen Akademie der Wissenschaften in Leipzig unterbreiteten und von ihr alsbald angenommenen Vorschlag, an der Akademie eine Arbeitsstelle Sachsenspiegelglosse der Monumenta Germaniae Historica einzurichten, um die mehrfach gescheiterte textkritische Edition zum Abschluss zu bringen. Am 1. Januar 1994 konnte die Arbeitsstelle ihre Tätigkeit aufnehmen. Die Leitung wurde Rolf Lieberwirth und die Editionsarbeit Frank-Michael Kaufmann übertragen.

 

Dabei wurde im Gegensatz zu früheren umfassenden und leider auch erfolglosen Planungen eine einfachere Dokumentation der einzelnen Entwicklungsstufen beschlossen. Das vorliegende Werk bietet in einem ersten Schritt auf der Grundlage von drei Handschriften die älteste Entwicklungsstufe. Sie ist mit Johann von Buch untrennbar verbunden.

 

In der Einleitung beschreibt zunächst Rolf Lieberwirth sorgfältig und umsichtig die Entstehung und Entwicklung der Sachsenspiegelglosse zu dem um 1225 entstandenen, vielleicht einst in 750 Handschriften festgehaltenen Sachsenspiegel. Dabei grenzt er die Entstehungszeit der Glosse auf die Jahre zwischen 1325 und 1333 ein, verfolgt die Familie des um 1290 geborenen Johann von Buch bis 1184 zurück und trägt die über Johann von Buch bekannten Daten (z. B. 1305 Immatrikulation in Bologna) klar und knapp zusammen.

 

Johann von Buchs Kommentierung folgt im Aufbau den Artikeln des Sachsenspiegels, der ihm in drei Handschriften vorgelegen haben dürfte. Inhaltlich bringt die Glosse Sacherklärungen, Worterklärungen, kleine Abhandlungen und in sich geschlossene Einschübe. Quellen sind das Corpus iuris civilis, die geradezu als Vorbild dienende accursische Glosse, das Corpus iuris canonici, die zugehörige Glosse, die Libri feudorum und vereinzelt Rechtsgewohnheiten der Mark Brandenburg.

 

Später wurde die in zwei Redaktionen Johanns von Buch vorliegende Glosse weiterentwickelt. Die erste wesentliche Erweiterung ist die vor 1434 entstandene petrinische, nach Petrus de Posena benannte Glosse. Ihr folgen vor allem die Stendaler Glosse und die sog. bocksdorfsche Vulgata.

 

Die Zahl der bekannten vollständigen oder bruchstückhaften Sachsenspiegelglossenhandschriften beträgt derzeit 204. Noch benutzbar sind 82 (und eingeschränkt 4) vollständige Handschriften und 81 Handschriftenbruchstücke, nicht verfügbar 31 vollständige Handschriften und 6 Handschriftenbruchstücke. Von den 82 vollständigen Handschriften ist etwa die Hälfte mittelniederdeutsch, ein Drittel mittelmitteldeutsch und ein Sechstel mitteloberdeutsch oder mittelniederländisch.

 

Im Anschluss an diese grundlegenden Ausführungen beschreibt Rolf Lieberwirth detailliert die Anstrengungen der Monumenta Germaniae Historica um Verwirklichung einer Ausgabe, die engstens mit Claudius von Schwerin, Erika Sinauer und Helene Bindewald verknüpft sind. Seit der Versetzung Helene Bindewalds in den Ruhestand am 1. Juli 1962 ruhte die Arbeit. Erst nach mehr als 30 Jahren konnte sie mit neuen Überlegungen wieder aufgenommen werden.

 

Sie erforderte ein klares Ordnungssystem der Glossenhandschriften. Nach seiner vorläufigen Form bilden die Klasse I die Handschriften der sogenannten kürzeren, bis Art. III 81 reichenden, in drei Ordnungen teilbaren buchschen Glosse (Ia sieben Handschriften, Ib zwölf Handschriften, Ic sieben Handschriften), die Klasse II die Handschriften der sogenannten längeren, bis Art. III 87 reichenden buchschen Glosse (19 Handschriften). Die Umgestaltungen und Erweiterungen durch Bearbeiter sind in der in fünf Ordnungen (IIIa wurmsche Glosse, eine Handschrift, IIIb tzerstedische Glosse, neun Handschriften, IIIc petrinische Glosse, drei Handschriften, IIId Stendaler Glosse, drei Handschriften und ein Druck, IIIe bocksdorfsche Vulgata elf Handschriften und ein Druck) untergliederbaren Klasse III zusammengefasst.

 

Da in den verfügbaren Handschriften die Stammhandschrift Johanns von Buch nicht enthalten ist, mussten für die Edition besonders geeignete Handschriften ausgewählt werden. Sie sollten möglichst der verlorenen Stammhandschrift zeitlich und sprachlich nahe kommen. Obwohl dies für die nach den Wasserzeichen wohl zwischen 1405 und 1415 geschriebene Handschrift Berlin, Staatsbibliothek preußischer Kulturbesitz Ms. germ. fol. 942 nicht wirklich gilt, wurde sie doch der Edition als Leithandschrift zugrundegelegt, weil ihr Bearbeiter ihre Fremdzitate auf ihre Richtigkeit überprüft hat. Ihre Schwesterhandschrift Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek Cod. Guelf. A. d. Extravagantes (W, 1365-1367, älteste datierte Glossenhandschrift) wird als Variantenhandschrift verwendet, in den Variantenapparat eingearbeitet und zu nötigen Ergänzungen angeführt, ihre Schwesterhandschrift Heidelberg, Universitätsbibliothek Cod. Pal. Germ. 165 (H, 1368) durchgehend als paralleler Text unter dem Haupttext abgedruckt.

 

Beschrieben werden die drei Handschriften ausführlich von Frank-Michael Kaufmann. Er bietet auch die für die Textgestaltung angewandten Grundsätze. Beigegeben sind ein Abkürzungsverzeichnis, ein Quellen- und Literaturverzeichnis, ein Siglenverzeichnis und ein Abbildungsverzeichnis.

 

Im Anhang werden von Alt-Zelle bis Zwickau alle Handschriften und Handschriftenfragmente und von Basel 1474 bis Leipzig 1732 die 28 vorwissenschaftlichen Drucke der Glosse zum Sachsenspiegellandrecht aufgelistet, werden Konkordanzen der Handschriftennummerierung (zu Homeyer, Steffenhagen, Homeyer3 und Oppitz) und der Artikelzählungen der Handschriften geboten, werden die nicht im Variantenapparat dokumentierten Kontraktionen und Substitutionen zusammengefasst, wird eine Synopse der Handschriften B, W und H dargelegt, werden die Textrubriken in den Handschriften B und W aufgeführt, Artikelzählungen in B und W zum keyserrecht (Schwabenspiegel) abgedruckt, die Namen registriert und die in den Anmerkungen nachgewiesenen Quellen verzeichnet. Leider hat ein unglücklicher Zahlendreher zwischen 2001 und 2010 ein Glossar verhindert. Dessenungeachtet schließt die Edition nach kurzer Bearbeitungszeit erfreulicherweise eine der bekanntesten Lücken der deutschen Rechtsquellengeschichte in einem ersten vorbildlichen Schritt, dem möglichst bald möglichst viele andere folgen sollten.

 

Für ihre große Mühe verdienen Leiter und Herausgeber aufrichtigen Dank.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler