Guggenbühl, Dietegen, Mit Tieren und Teufeln

. Sodomiten und Hexen unter Basler Jurisdiktion in Stadt und Land 1399 bis 1799 (= Quellen und Forschungen zur Geschichte und Landeskunde des Kantons Basel-Landschaft 79). Verlag des Kantons Basel-Landschaft, Liestal 2002. 392 S. Besprochen von Harald Maihold. ZRG GA 121 (2004)

Guggenbühl, Dietegen, Mit Tieren und Teufeln. Sodomiten und Hexen unter Basler Jurisdiktion in Stadt und Land 1399 bis 1799 (= Quellen und Forschungen zur Geschichte und Landeskunde des Kantons Basel-Landschaft 79). Verlag des Kantons Basel-Landschaft, Liestal 2002. 392 S.

 

1. Kaum ein anderes Gebiet der europäischen Strafrechtsgeschichte ist inzwischen so gut erschlossen, mit so vielen regionalen und übergreifenden Untersuchungen bearbeitet worden wie die Hexenprozesse der frühen Neuzeit. Man möchte schon meinen, es gäbe mittlerweile mehr Bücher über die Scheiterhaufen der Hexenverfolgung als solche Scheiterhaufen selbst. Da nimmt es beinahe Wunder, wenn es einer Veröffentlichung gelingt, nicht nur die Entwicklung der Prozesse in einem weiteren Territorium zu schildern und mit der allgemeinen Entwicklung zu vergleichen, sondern dem ganzen Thema eine andere Perspektive zu verschaffen. Letzteres ist der vorliegenden Publikation Guggenbühls gelungen.

 

Das Buch widmet sich den Sodomie- und Hexenprozessen unter der Jurisdiktion des Basler Rats über einen Zeitraum von 400 Jahren hinweg. Es beginnt nach einer Einleitung zur Entstehung des Buches mit einer Darstellung des Rechtsgangs im Basler Strafgericht (S. 19-34), um dann jeweils in einem besonderen Kapitel die Sodomie- (S. 35-104) und Hexenprozesse (S. 105-152) in den Basler Akten zu schildern. Ein weiteres Kapitel ist dem „Prattelner Hexentanzplatz“ gewimet (S. 153-155). Daran schließt sich eine Quellenedition an, die die wichtigsten Aktenstücke wörtlich, andere in Zusammenfassungen wiedergibt (S. 177-392). Ein Glossar und ein Literaturverzeichnis runden das Werk ab.

 

Die Arbeit bestätigt eine in letzter Zeit durch viele regionale Untersuchungen gereifte Erkenntnis, dass nämlich die Hexenprozesse keineswegs überall ein Massenphänomen waren, das Tausende oder gar Millionen von Menschen den Tod auf dem Scheiterhaufen gekostet habe.[1] Schon im ersten und einzigen Massenprozess um den „Hexenmeister“ Hans von Fürenfeld um 1450 zeigte der Basler Rat große Umsicht im Umgang mit Verleumdungen (S. 115ff.). Für das 16. Jahrhundert berichtet Guggenbühl von lediglich zwei Hinrichtungen, denen zehnmal so viele Urfehden gegenüber standen (S. 125f.), und auch im 17. Jahrhundert, wo die Hexenprozesse anderenorts ihren Höhepunkt erleben, gab es zwar einige unbeholfene und langwierige Verfahren, aber zu einer Hinrichtung kam es, mit Ausnahme einer u.a. als Hexe bezeichneten dreizehnfachen Giftmörderin, nicht mehr (S. 132ff.).

 

Der Autor, eigentlich Facharzt für Psychiatrie und Eheberater, kam auf einem Umweg zur Hexenforschung: Nach seiner Dissertationsarbeit zur Geschichte der gerichtlichen Medizin 1963 wollte er eine Geschichte der forensischen Psychiatrie in Basel schreiben und glaubte in den Gutachten der Hexenprozesse Hinweise auf psychiatrische Beurteilungen zu finden. Diese Einschätzung erwies sich zwar als falsch, bescherte der Strafrechtsgeschichte jetzt aber eine ebenso fachkundige wie persönliche Darstellung der Basler Hexenprozesse, die sich nach streng historischer Methode nahe an die Quellen hält, sich dabei aber der Betroffenheit, die das Aktenstudium beim heutigen Leser unweigerlich hervorruft, nicht entzieht. Das Hauptaugenmerk legt der Autor auf die menschlichen Tragödien, die sozialen Ursachen der Prozesse. Welche Beweggründe, welche psychische Beschaffenheit hatten die „Täter“? Was bewog die Zeugen zur Anzeige? Welche Auswirkungen hatten die Prozesse auf die Angehörigen? Die psychiatrischen und medizinhistorischen Kenntnisse des Autors sind bei der Beurteilung einer Zeit, in der Sünde, Krankheit und Verbrechen noch nahe beieinander lagen, von großem Vorteil. Dies zeigt einmal mehr den Wert interdisziplinären Arbeitens an rechtshistorischen Fragestellungen.

 

2. So mancher wird sich, wie Guggenbühl, bei der Beschäftigung mit den Hexenprozessen der frühen Neuzeit schon gefragt haben, warum dort die Opfer fast durchweg Frauen sind. Männer spielen bei den Hexenprozessen kaum eine Rolle. Von der feministischen Forschung wurden die Hexenprozesse deshalb schon als „Jagd auf weise Frauen“ interpretiert, als Abwehrreaktion einer von Männern dominierten Wissenschaftskultur gegen aufkommende weibliche Emanzipation.[2] Nun ist in der Forschung längst anerkannt, dass sich ein Phänomen wie die Hexenprozesse nicht monokausal erklären lässt und im Rahmen eines Ursachengeflechts auch die Unterdrückung weiblicher Emanzipation eine Rolle gespielt haben wird. Nach der vorliegenden Publikation müsste jedoch das Verhältnis der vielen Ursachen neu gedeutet werden, denn sie stellt die These auf, dass dem Hexereidelikt ein Delikt gegenüberstand, mit dem Männer in gleicher Weise verfolgt wurden: die Sodomie.

 

Leider wird diese These zwar zu Beginn als Arbeitsthese vorgestellt (S. 10) und sie durchzieht auch die Gliederung des ganzen Buches, wird aber zum Schluss nicht noch einmal aufgegriffen und beantwortet. Grund dafür ist sicher die Schwerpunktsetzung: Dem Autor kam es nicht auf eine juristische Klassifizierung der Delikte an, sondern auf die Schilderung der menschlichen Tragödien und sozialen Ursachen. Mit der Schilderung zahlreicher Verfahren hat der Autor den Nachweis erbracht, dass die Männer mit der Sodomie, was die sozialen Ursachen und Folgen angeht, in durchaus ähnlicher Weise verfolgt wurden wie die Frauen mit der Hexerei. In beiden Fällen waren die Opfer oft Außenseiter, zum Teil psychisch Kranke. Ganz ähnlich verläuft auch die Ahndung durch die Basler Jurisdiktion: Nach frühen Anfängen wird der Rat mit der Verfolgung sehr vorsichtig, so dass sich jeweils große Lücken feststellen lassen, in denen eine Verfolgung offenbar überhaupt nicht stattgefunden hat (S. 57, 117f.). Aber liegen beide Delikte auch rechtlich so nahe beieinander, dass man, um das Phänomen ganz zu erfassen, beide Delikte zusammen betrachten muss?

 

Der Begriff der Sodomie bezeichnet jeden geschlechtlichen Verkehr „außerhalb der Christenheit“, also in erster Linie den Verkehr mit Tieren, mit dem Teufel und mit Nichtchristen, ferner homosexuellen, aber auch heterosexuellen, ja sogar ehelichen (!) Verkehr, bei dem der Samen nicht in das „dazu bestimmte Gefäß“ gelangen konnte (S. 35), was befürchten ließ, dass der Teufel sich des Samens bemächtigte. Nimmt man hinzu, dass die Vollendung des Delikts im Samenerguss gesehen wurde (S. 91ff.), so stellt sich die Sodomie als ein Sexualdelikt dar, das die Vergeudung des Samens beinhaltete und die Fruchtbarkeit des Bösen, Nichtchristlichen stärkte. Damit richtete es sich zugleich gegen die göttliche Ordnung und gegen die Gemeinschaft der Christenheit. Von einer derartigen abscheulichen Sünde, meine man, konnte der Mensch nicht von sich aus wissen, sondern nur durch Einflüsterung des Teufels, der daher in den Protokollen immer wieder als Anstifter zur Tat genannt wird (S. 69f.).

 

Die Begehung des Delikts war also nicht ohne den Einfluss des Teufels denkbar, was die Sodomie in die Nähe der Häresie rückt. Zu dieser Einschätzung passt auch die Begriffsgeschichte: Wie Guggenbühl (S. 35) ausführt, verwendete man nämlich bis zur Reformationszeit für die Sodomie den Begriff „Ketzerei“. Erst ab 1600 sei der Begriff „Sodomie“ üblich und der Begriff „Ketzerei“ auf die Häresiedelikte übertragen worden. Sodomie und Häresie lagen also schon begrifflich nahe beieinander.

 

Die Teilnahme des Teufels ist dann auch das verbindende Glied zur Hexerei. Dieses Delikt hatte drei Merkmale: Teufelspakt, Teufelsbuhlschaft und Schadenszauber. Es handelte sich also um ein aus der Zauberei, der Häresie und der Sodomie mit dem Teufel zusammengesetztes Delikt, mithin um eine Qualifizierung der Häresie, woraus sich die ausgesprochen harte Ahndung erklären lässt (S. 105ff.). Dabei schloss sich hier ein ähnlicher „Teufelskreis“ wie bei der Sodomie: Der Schadenszauber war an sich zunächst nicht mit der Todesstrafe bedroht, doch meinte man, solchen Zauber könne der Mensch nicht ohne die Hilfe des Teufels vollbringen. So war jeder Hinweis auf Zauberei später letztlich auch ein Indiz für Teufelspakt und Teufelsbuhlschaft.

 

Hexerei und Sodomie haben also gemeinsam, daß der Täter „us der Christenheit wibet“, d. h. Geschlechtsverkehr mit nichtchristlichen Wesen hat. Es handelt sich um Sexualdelikte, die zugleich die Gemeinschaft der Christenheit verletzen. Die frühe Neuzeit kannte noch keine religiöse Toleranz. Die Identität der Gesellschaft bestimmte sich, was noch der Augsburger Religionsfriede zeigt, weitgehend über die Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinschaft. Diese war aber im konfessionell zerstrittenen Europa der frühen Neuzeit gefährdet, und die Staatsgewalt versuchte allerorten, sie, nicht zuletzt mit den Mitteln des Strafrechts, aufrecht zu erhalten. Wenn Hexerei und Sodomie also Delikte nicht nur gegen die Sexualmoral, sondern gegen die gesellschaftliche Identität waren, so wird die außerordentlich harte Ahndung verständlich, die derjenigen von Häresie und Majestätsverbrechen sehr nahe kam. Hexerei und Sodomie gehörten, wie die Häresie und das Majestätsverbrechen, zu den crimina excepta, denjenigen Schwerstverbrechen, bei denen man von den sonst üblichen Verfahrensregeln abweichen durfte, um den Teufel zu überlisten. So berichtet Guggenbühl, dass bei der Hinrichtung von Sodomiten die Öffentlichkeit beschränkt wurde, um die Jugend nicht zu gefährden (S. 76ff.). In den Hexenprozessen des 17. Jahrhunderts ließ der Rat zwei der beschuldigten Frauen einfach wegschließen, als der Prozess ins Stocken geraten war (S. 132ff). Nach alledem dürfte sich die These von Guggenbühl bestätigt sehen, dass die Hexenprozesse in den Sodomieprozessen ein gleichwertiges Gegenstück finden und sich das Gesamtphänomen erst in der gemeinsamen Untersuchung erschließt. Es ist daher zu wünschen, dass diese Verbindung noch von weiteren regionalen Arbeiten aufgegriffen wird.

 

3. Eine Erwähnung verdient abschließend die Frage, warum bei der Sodomie auch das missbrauchte Tier, häufig zusammen mit dem Sodomiten, getötet wurde (S. 48ff., 84ff.). Die Brauchbarkeit der von Guggenbühl übernommenen Abgrenzung eigentlicher „Tierstrafen“ von „rechtsritueller Tötung“ mag hier dahingestellt sein. Der Strafbegriff war zumindest am Anfang des hier untersuchten Zeitraumes noch nicht auf die Schuldstrafe festgelegt, sondern umfasste durchaus auch andere Sanktionen, die eine Persönlichkeit, Verantwortlichkeit oder Schuldfähigkeit nicht voraussetzten und die wir heute als „Maßnahmen“ oder „Maßregeln“ kennen. Eine „Strafe“ im eigentlichen Sinne für eine Sünde war die Tötung des Tieres sicher nicht, wohl aber konnte eine „Strafe“ aus anderen „Gründen“ auferlegt werden. Die Kanonistik hatte dazu eine ganze Reihe von Fällen entwickelt, die seit Gratian[3] in der Literatur immer wieder rezipiert wurden.[4]

 

Nach Guggenbühl spielten bei der Tötung des Tieres vermutlich die Angst vor Missgeburten und alte magische Vorstellungen von der schädlichen Wirkung der Tötung von Schwangeren auf die allgemeine Fruchtbarkeit der Gemeinschaft eine Rolle. Durch die Gleichzeitigkeit des Tötens habe man „die Fruchtbarkeit des Bösen“ unterbrechen und zerstören wollen. Eine Stütze in den Quellen hat diese These, wie auch Guggenbühl sieht, jedoch nicht. Die damals weit verbreitete Begründung, für die der Autor den römischen Rechtsgelehrten Prospero Farinacci („Fornacius“) anführt (der übrigens selbst einmal wegen Sodomieverdachts in Haft war) und nach der das „durch die Schande befleckte Tier“ getötet werden müsse, weil es die „Erinnerung an das Verbrechen immer wieder aufbreche“, geht eigentlich bis auf Augustinus zurück, dessen Kommentar zu 3. Mose 20, 15 Eingang in das Dekret Gratians gefunden hat: „Pecora inde credendum est iussa interfici, quia tali flagitio contaminata, indignam refricant facti memoriam.“[5] Wenn mit der Tötung des Tieres die Erinnerung (memoria) an das Verbrechen getilgt werden soll, richtet sich die Sanktion also gegen den Geist des Verbrechens. Es ist freilich auch von der Befleckung des Tieres mit der „Schande“ (flagitio contaminata) die Rede, und hier könnte man nicht nur an die Entehrung des Tieres denken, sondern ganz materiell an die Besudelung durch den Samen. Diese Interpretation gäbe Guggenbühls magisch-biologischer Deutung der Sanktion Recht. Augustinus kann sie aber nicht gemeint haben, da er sich auf einen Fall der Sodomie durch eine Frau (mulier) bezieht.

 

Bleibt die Frage, ob sich später Hinweise auf eine Zerstörung der „Fruchtbarkeit des Bösen“ finden lassen. Die deutsche Strafrechtswissenschaft hat die Argumentation von Augustinus aufgenommen: Benedikt Carpzov bemerkt im Anschluss an die Wiedergabe des Augustinus-Zitats, dass die Tötung des Tieres dem Anstandsgefühl des Menschen entspreche; es wäre nämlich ungeziemend, das irrationale Tier am Leben zu lassen und dem Anblick der Menschen auszusetzen, während der rationale Mensch getötet würde: „Neque enim animantia bruta in crimine hoc Sodomiae ob peccatum commissum puniuntur, sed quia instrumenta fuere socia, cum quibus homines nefandissimum perpetrarunt nefas, unde et ipsi morte horrendi plectuntur, aequum est, ut et illa ceu instrumenta cum homine simul plectantur. Indignum siquidem et odiosum esset, tale brutum irrationabile vivere, atque in conspectu hominum versari, ob quod misera morte periisset homo rationalis ...“[6] Auch Johann Samuel Friedrich Böhmer sieht die Zerstörung der Erinnerung als den Sinn der Sanktion an: „Nec in crimine sodomitico brutum punitur, sed memoriae abolendae caussa e medio tollitur.“[7] Nirgendwo ist also ausdrücklich von dem ausgestoßenen Samen und seinen magischen Wirkungen die Rede. Stattdessen wird immer nur auf die „rationale und vordergründige“ Argumentation abgestellt, das Andenken an das Verbrechen müsse ausgelöscht werden. Hugo Grotius ist sogar noch viel nüchterner in seiner Argumentation: Ihm zufolge ist die Tötung einfach Ausübung des Rechts über das Tier.[8]

 

Vor diesem Hintergrund könnte man fragen, mit welchem Recht und welcher Motivation wir eigentlich heute Kampfhunde, die einen Menschen getötet oder angefallen haben, töten, auch wenn man ihrer Gefährlichkeit, zum Beispiel durch einen Maulkorbzwang, auch anders Herr werden könnte. Ist es nicht unser Empfinden, das sich an der bloßen Existenz des Tieres stört, weil sie die Erinnerung an das Geschehen wachhält?

Basel                                                                                                             Harald Maihold

[1] So noch Bruno Gloger, Walter Zöllner, Teufelsglaube und Hexenwahn, Leipzig 1983.

[2] Vgl. dazu Colette Piat, Frauen, die hexen, Freiburg im Breisgau 1985.

[3] Dictum post C. 1, q. 4, c. 11, pars 3, § 7.

[4] Z.B. Raymundus de Peniaforte, Summa de poenitentia, et matrimonio, Rom 1603, lib. 3, tit. 32, § 7, p. 378s.

[5] C. 15, q. 1, c. 4 mulier.

[6] Benedikt Carpzov, Practica nova Imperialis Saxonica rerum criminalium, Wittenberg 1635, pars 2, q. 76, num. 33, p. 275, vgl. pars 3, q. 131, num. 16, p. 326.

[7] Johann Samuel Friedrich Böhmer, Elementa jurisprudentiae criminalis, editio tertia, Halle 1743, sect. 2, § 12, p. 258. Vgl. sect. 1, § 307, p. 204.

[8] Hugo Grotius, De iure belli ac pacis libri tres, Leiden 1639, lib. II, cap. 21, num. 11, p. 546f.