Handbuch des Friesischen

. Handbook of Frisian Studies, hg. v. Munske, Horst Haider. Niemeyer, Tübingen 2001. XIV, 845 S. Besprochen von Gerhard Köbler. ZRG GA 121 (2004)

Handbuch des Friesischen. Handbook of Frisian Studies, hg. v. Munske, Horst Haider. Niemeyer, Tübingen 2001. XIV, 845 S.

 

Auf dem farbigen, den stattlichen Band zierenden Umschlag ist eine Landkarte der Südostküste der Nordsee abgebildet, die das Gebiet zwischen Maas und Eider mit den bekannten Orten Amsterdam, Utrecht, Leeuwarden, Groningen, Aurich, Wilhelmshaven, Oldenburg, Bremerhaven, Bremen, Cuxhaven, Hamburg, Husum und Kiel zeigt. Im Band selbst erweist sich das heutige Friesisch auf das Westfriesische um Leeuwarden und einige vorgelagerte Inseln, das Ostfriesische des winzigen Saterlandes westlich von Oldenburg und das Nordfriesische zwischen Husum und Sylt beschränkt. Demgegenüber lassen sich für das Spätmittelalter noch 10 friesische politische Einheiten feststellen (Westfriesland in der Grafschaft Holland, Ostergo und Westergo, Ommelanden und Oldambt, Ostfriesland und Harlingerland, Jever, Butjadingen und Stadland, Wursten, Saterland, Utlande sowie die Karr-, Norder- und Südergoesharde).

 

Von daher ist die Geschichte des Friesischen eine Geschichte des Untergangs. Um so verdienstvoller ist es, dass dem weit von Friesland entfernten Herausgeber in Zusammenarbeit mit anderen führenden Frisisten und fast allen aktiven Wissenschaftlern des Faches in wenigen Jahren die erste systematische Gesamtdarstellung der Frisistik von den Runenzeugnissen bis zur heutigen Minderheitssprache gelungen ist. 45 Autoren unterrichten in 79, teils deutschen, teils englischen Artikeln über das Friesische aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln.

 

Gegliedert ist das Werk in vier Teile. An der Spitze stehen die Berichte über die Erforschung des Friesischen von dem Überblick über die friesische Philologie bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bis zu den neueren Entwicklungen der friesischen Linguistik. Dem schließen sich die Daten über die Institutionen der Frisistik in den Niederlanden und in Deutschland an. Bibliographien werden ebenso geboten wie Zeitschriften und Reihenwerke vorgestellt.

 

Der zweite Teil betrifft die friesischen Sprachen und Literaturen der Gegenwart. Er gliedert sich in das Westfriesische in den Niederlanden und das Nord- und Ostfriesische in Deutschland. Die Verbreitung und Geltung werden ebenso sorgfältig dargelegt wie Sprachkontakte, Relikte, Namen, Lexikographie und Literatur.

 

Der dritte Teil greift auf die Geschichte der friesischen Sprachen und Literaturen zu. Er setzt mit den Friesen im Zeugnis antiker und spätantiker Autoren ein. Sie beginnen mit der griechischen Schilderung des Cassius Dio (vor 230 n. Chr.), nach der Drusus im Jahre 12 v. Chr. gemeinsam mit den Friesen in das Gebiet der Chauken eingefallen sei. Vorher werden sie bei Plinius dem Älteren (23-77 n. Chr.) erwähnt.

 

Aus allen frühen Zeugnissen ergibt sich als ursprünglicher lateinischer Name der Friesen Frisii und nach einer Lücke von zweihundert Jahren Frisiones oder Frisones. Nach Elmar Sebold ist der Name wohl nicht echt germanisch, sondern gehört am ehesten zu einem sprachlichen Übergangsgebiet zwischen Germanen und Kelten. Die bisher vorgeschlagenen Etymologien sind entweder inhaltlich völlig unverbindlich und ausschließlich auf Grund einer möglichen lautlichen Verbindung vermutet oder sachlich ansprechend, aber lautlich kaum zu stützen.

 

Nach Oebele Vries ist die Geschichte der Friesen im Mittelalter nur schwer zu beschreiben, weil die Quellen nicht nur spärlich sind, sondern auch einseitig, nämlich überwiegend juristisch. Chroniken gibt es nur wenige, Klosterarchive sind fast durchweg verloren und Stadtbücher und sonstige Akten fehlen bis 1490 völlig.

 

Schwierigkeiten ergeben sich auch daraus, dass das friesische Siedlungsgebiet nicht sicher feststeht. In der Lex Frisionum von vielleicht 802 werden zwar Sincfal im Westen und Weser im Osten als Grenzen angegeben, aber der gesamte Bereich zwischen Sincfal und Vlie wird nach etwa 1100 nicht mehr zu Friesland gerechnet und und Westfriesland zwischen Vlie und Lauwers und Ostfriesland zwischen Lauwers und Weser stellen keine Einheit dar. Als friesische Gaue um 800 zeigt eine Karte (zwischen Vlie und Weser) Westergo, Ostergo, Hugmerki, Hunsingo, Fivelgo, Federgo, Emsingo, Nordendi, Östringen, Wangerland und Rüstringen, während Saterland (d. h. die drei auf einem Sandrücken im Moor gelegenen Dörfer Strücklingen, Ramsloh und Scharrel mit den umliegenden Bauernschaften) und Nordfriesland, die erst nach Landverlusten durch das Meer in Neusiedlungszügen bis zum 11. Jahrhundert gewonnen werden, noch fehlen.

 

Wegen der Eigenart der Überlieferung befasst sich dann Nikolaas Egbert Algra vertieft mit den Grundzügen des friesischen Rechts im Mittelalter. Thomas S. B. Johnson untersucht die altfriesischen Rechtshandschriften und Rechtstexte und die mittelniederdeutschen Übersetzungen altfriesischer Rechtstexte, Oebele Vries die (späten) altfriesischen Urkunden. Danach geht es um die geographische Gliederung und Periodisierung des Altfriesischen, die Verdrängung des Altfriesischen als Schreibsprache, das Laut- und Schreibsystem des Altfriesischen, die Morphologie des Altfriesischen, die Wortbildung des Altfriesischen, die Lexikologie des Altfriesischen, die Lexikographie des Altfriesischen und die altfriesischen Personennamen.

 

Der Vor- und Frühgeschichte des Altfriesischen und dem Friesischen im Mittelalter folgt die Geschichte der friesischen Sprachen und Literaturen in der Neuzeit. Sie wird eingeleitet mit der Geschichte Westfrieslands, Ostfrieslands und Nordfieslands in dieser Epoche. Danach wird neben vielem anderen etwa die mittelfriesische Sprache und Literatur umsichtig behandelt.

 

Den Beschluss bilden im vierten Teil allgemeine und vergleichende Aspekte des Friesischen. Neben vergleichenden Aspekten friesischer Lautgeschichte, vergleichenden Aspekten friesischer Morphologie und Syntax finden sich hier auch friesische Volkserzählungen. Schließlich widmen sich Durk Groter und Alastair G. H. Walker dem Friesischen als einer europäischen Minderheitssprache der Gegenwart, der eine Zukunft nur dringend gewünscht werden kann.

 

Jeder Freund des Friesischen kann sich über die eindrucksvolle Leistung nur herzlich freuen. Sicherlich bleibt noch genug zu tun. Dies ist von nun an aber auf einer neuen, sichereren, durch farblich abgesetzte Register gut erschlossenen Grundlage möglich.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler