Herbers, Klaus, Der Jakobsweg

. Mit einem mittelalterlichen Pilgerführer unterwegs nach Santiago de Compostela, 7. Aufl. Narr, Tübingen 2001. 232 S. Besprochen von Thomas Gergen. ZRG GA 121 (2004)

Herbers, Klaus, Der Jakobsweg. Mit einem mittelalterlichen Pilgerführer unterwegs nach Santiago de Compostela, 7. Aufl. Narr, Tübingen 2001. 232 S.

 

Der Liber Sancti Jacobi ist ein aus dem 12. Jahrhundert stammendes Sammelwerk, das Predigten, eine Kollektion von Wundergeschichten, die Jakobuslegende und einen Bericht über den Zug Karls des Großen nach Spanien enthält. Der fünfte Teil dieses Buches gilt schließlich der praktischen Anleitung und wird deshalb nicht zu unrecht als „Pilgerführer“ bezeichnet. Er ist nicht nur religions- und kulturhistorisches Dokument, sondern gleichermaßen für den Rechtshistoriker von Interesse, da er Buß- und Strafvorschriften enthält. Zum Beispiel kann ein Priester jemand wegen seiner Vergehen auf Pilgerschaft schicken und ihn somit gleichsam ins Exil verbannen. Hintergrund ist, dass der Pilger durch die Gnade Christi gerettet werden kann, wenn er seine Sünden aufrichtig bekannt hat und die auferlegte Buße durchführt. Der Verfasser des Pilgerführers berichtet über verschiedene einschlägige Laster, die er sehr deutlich verdammt. Hier stehen insbesondere die Wirte im Vordergrund; solche, die den Bürgern beste Betten versprechen und ihnen schlechte geben oder ihren Gästen besten Wein ausschenken, um sie betrunken zu machen, um dann während ihres Schlafes von ihnen Geldbeutel, Taschen und andere mitgeführte Gegenstände zu entwenden. Der ganz schlechte Wirt reicht den Pilgern todbringende Getränke, um sich ihrer Habe zu bemächtigen. Ebenso sollen jene bestraft werden, die ein Fass unterteilen und es mit zwei verschiedenen Weinen füllen, von denen sie zunächst den besseren den Pilgern zur Probe anbieten, dann jedoch nach dem Essen den schlechteren Wein aus dem zweiten Teil des Fasses servieren. An anderer Stelle verdammt der Pilgerführer die Wirtsmägde, die sich aus Hurerei und Geldgier auf teuflisches Geheiß nachts den Pilgerbetten zu nähern pflegen. Diese Dirnen werden nicht nur exkommuniziert, sondern von allen geplündert und durch Rümpfen der Nase öffentlich geächtet. Der Pilgerführer verurteilt auch das heuchlerische Betteln, und zwar von solchen, die mit Leidensminen auf ihre Beine und Arme hinweisen, die sie entweder mit dem Blut eines Hasen bestrichen oder durch die Asche einer Pappel gefärbt haben, um den Vorbeigehenden ein Almosen zu entlocken. Andere färben einen Arm oder ein Bein, das ihnen einstmals bei einem Raub zur Strafe abgeschnitten wurde, mit dem Blut eines Tieres, so als ob sie ihre Gliedmaßen durch Krankheit verloren hätten, und zeigen dies den Vorüberziehenden. Zum Schluss erwähnt der Pilgerführer noch die Zöllner von Ostabat, von Saint-Jean-Pied-de-Port und Saint-Michel-Pied-de-Port, die dafür bekannt waren, einen überhöhten und ungerechten Zoll zu verlangen. Über diese Personen verhängt man sogar eine hundertmalige Exkommunikation und schließt sie vom Paradies aus. Die anderen Missetäter, nämlich Wirte, Wechsler, Händler und Zöllner sollen zur Reue ermahnt werden.

 

Von wichtigem Interesse sind ferner die Strafwunder. Eines führt in die Stadt Poitiers, wo der Leichnam des heiligen Bischofs und Bekenners Hilarius von den Pilgern besucht werden muss. Das Strafwunder berichtet, dass zwei französische Herren, die einst ohne jede Habe von Santiago de Compostela zurückkehrten, vom Hause des Johannes Gautier bis zur Kirche St. Porchaire um Gastfreundschaft baten, jedoch keine fanden. Als sie im letzten Haus jener Straße neben der Basilika von St. Porchaire schließlich bei einem Armen Aufnahme fanden, trat die Strafe Gottes ein: Ein rasendes Feuer brannte die ganze Straße in jener Nacht nieder, beginnend bei jenem Hause, in dem sie zuerst um Gastfreundschaft gebeten hatten bis zu jenem Haus, in dem sie bewirtet worden waren, was ungefähr 1000 Häuser betraf. Das Haus, in dem die Diener Gottes aber aufgenommen worden waren, blieb durch Gottes Gnade unversehrt, berichtet der Pilgerführer weiter. Durch dieses Strafwunder sollten die Pilger nicht nur ermuntert werden, die Gastfreundschaft der Einheimischen in Anspruch zu nehmen, sondern umgekehrt auch die jeweils Einheimischen ermahnt werden, die Jakobspilger, seien sie nun arm oder reich, aufzunehmen und gewissenhaft zu umsorgen[1]. Aus den überlieferten Wundergeschichten - abwechslungsweise miraculum oder exemplum genannt - ragt noch das sehr bekannte Galgen- oder Hühnerwunder hervor, das Ende des 11. Jahrhunderts in der Stadt Toulouse spielt. Ein Gastgeber versteckte einen silbernen Becher im Gepäck von schlafenden Pilgern, um diese am nächsten Tag des Diebstahls zu überführen und sich ihres Geldes zu bemächtigen. Nach dem Hahnenschrei folgte ihnen der feindliche Gastgeber mit bewaffneten Leuten und forderte sie auf, das Geld zurückzugeben. Obwohl die Pilger ihre Unschuld beteuerten, konnten sie natürlich des Diebstahls angezeigt werden, da sich der Becher in ihrem Gepäck ohne ihr Wissen befand. Vor Gericht sollten einer (der Vater) freigelassen und der andere (sein Sohn) zur Hinrichtung gebracht werden. Während der Sohn also alsbald gehängt wurde, zog sein Vater weiter nach Santiago de Compostela. Als der Vater nach Toulouse zurückkam, fand er seinen Sohn lebendig und erfuhr, dass der schlechte Gastgeber in einem öffentlichen Prozess verurteilt und aufgehängt worden war[2]. Das Galgen- oder Hühnerwunder wird durch das gesamte Mittelalter hindurch in Mirakel- und Pilgererzählungen immer wieder verwandt und abgewandelt und ist daher als Paradebeispiel eines Strafwunders für die Geschichte des Strafrechts sehr forschungsergiebig[3].

 

Auch in der bildenden Kunst sind Strafwunder und deren Ergebnisse sichtbar. Menschliche Laster und Sünden sind in unterschiedlicher Umsetzung teils als bestrafte oder noch zu strafende exempla sichtbar. Thomas Igor C. Becker zeigt in seiner eindrucksvollen Untersuchung über Eunate (Navarra): Zwischen Santiago und Jerusalem. Eine spätromanische Marienkirche am Jakobsweg[4], dass es in vielen nordspanischen Kirchen Lasterkanones gab, bei denen Habgier und mit Sexualität verbundene Laster im Vordergrund des Geschehens standen. Auf ikonografische Weise wurde also das durchzusetzen versucht, was zum großen Teil der Liber Sancti Jacobi in Schriftform pönalisierte.

 

Saarbrücken                                                                                                  Thomas Gergen

[1] Vgl. die Besprechung zu: Der Jakobuskult in Kunst und Literatur – Zeugnisse in Bild, Monument, Schrift und Ton, hg. v. Klaus Herbers/Robert Plötz (Jakobus-Studien 9), Tübingen 1998, in: ZRG Germ. Abt. 119 (2002), S. 556-559.

[2] Mit den Quellen dieses Wunders setzt sich intensiv auseinander: Luís M. Calvo Salgado, Die Wunder der Bettlerinnen. Krankheits- und Heilungsgeschichten in Burgos und Santo Domingo de la Calzada (1554-1559), Tübingen, Narr 2000 (Jakobusstudien 11), S. 139-173.

[3] Vgl. in diesem Band die Besprechung zum Beitrag von Ignacio Cremades Ugarte über „Das Recht des Jakobsweges: Der Fall des gehenkten Pilgers“.

[4] Narr, Tübingen 1995 (Jakobusstudien 6), S. 51-54.