Howe, Marcus, Karl Polak

. Parteijurist unter Ulbricht (= Ius Commune Sonderheft 149). Klostermann, Frankfurt am Main 2002. XII, 332 S. Besprochen von Christian Friedrich Schroeder. ZRG GA 121 (2004)

Howe, Marcus, Karl Polak. Parteijurist unter Ulbricht (= Ius Commune Sonderheft 149). Klostermann, Frankfurt am Main 2002. XII, 332 S.

 

Karl Polak war der „Kronjurist“ der SED, war maßgeblich an der Entwicklung der Staatslehre der SED beteiligt und verfaßte die berüchtigte Rede Walter Ulbrichts auf der Babelsberger Konferenz von 1958, die zur völligen Gleichschaltung der Staats- und Rechtswissenschaft der DDR führte. Die Anregung zu dieser interessanten Biographie verdanken wir Uwe Wesel, der schon so oft erfolgreich über die Grenzen seines Ausgangsfachs, der römischen Rechtsgeschichte, hinausgegangen ist. Die Arbeit stützt sich auf das SED-Parteiarchiv, das Universitätsarchiv Leipzig und andere Quellen. Bedauerlicherweise leidet die Biographie an einer Lücke: Der Nachlaß Polaks wurde von dessen Familie dem früheren Direktor des Instituts für Theorie des Staates und Rechts an der Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht“ in Potsdam-Babelsberg zur ausschließlichen Auswertung anvertraut. So kann Howe den Grund für die überraschende Emigration des Sohnes wohlhabender jüdischer Eltern, der eben noch bei Erik Wolf mit „Studien zu einer existenzialen Rechtslehre“ promoviert hatte, 1933 in die Sowjetunion nur vermuten, und zwar in der Liebe zu einer Kommunistin, die er kurz darauf in Moskau heiratete. Auch die Jahre in der Sowjetunion bleiben weitgehend im Dunkeln. Überraschend fand Polak, obwohl noch ohne russische Sprachkenntnisse, Anstellung bei zwei führenden juristischen Instituten[1]. In einem panegyrischen Nachruf auf Wyschinski, den unmenschlichen Generalstaatsanwalt in den Schauprozessen der dreißiger Jahre[2], erklärte er diesen 1954 nicht nur zum „größten Rechts- und Staatstheoretiker unserer Epoche“, sondern auch, er habe an Diskussionen mit Wyschinski teilgenommen. Daß er von den Verfolgungen der deutschen kommunistischen Emigranten in der Sowjetunion ausgenommen blieb, erweckt Argwohn. In der Evakuierung nach Taschkent verfaßte er eine zweite Dissertation „Kritik der klassischen und soziologischen Richtung im deutschen Strafrecht“[3].

 

Erst im März 1946 wurde er, vermutlich auf Anraten des inzwischen als politischer Berater bei der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland tätigen Wyschinski, von der KPD nach Deutschland geholt. Hier baute er die Abteilung Justiz beim Zentralkomitee der KPD auf und entwickelte bald enge Beziehungen zu seinem Vorgesetzten Walter Ulbricht und wurde zum Mittelsmann bei der SMAD. Nach Kräften half er mit bei der Lancierung von SED-Leuten auf wichtige Posten, beschönigend „Personalpolitik“ genannt. Die folgende Darstellung wird im wesentlichen zu einer Wiederholung der in der letzten Zeit häufig dargestellten Entwicklung der Justizverwaltung und der Verfassung der DDR von 1949 unter Herausstellung der Beteiligung Polaks.

 

1949 wurde Polak, wie lange ersehnt, trotz fehlender Habilitationsschrift Ordinarius an der Universität Leipzig. Doch schon anderthalb Jahre später geriet er in die im Gefolge des Prozesses gegen Noel Field auch in der DDR einsetzende versteckte Antizionismuskampagne. Ein 100 Seiten langes Dossier warf ihm Idealismus, völlige Ignorierung der Bedeutung von Stalin und Engels für die Staatstheorie, sozialdemokratische Einstellung, Kosmopolitismus, Zersetzung und Geldgier vor. Polak brach psychisch zusammen, verbrachte Monate in einer Nervenheilanstalt und nahm seine Vorlesungstätigkeit nicht wieder auf.

 

Ulbricht holte ihn in den Parteiapparat zurück, und Polak versuchte, das Vertrauen durch wütende Polemik gegen die Bundesrepublik und Verherrlichung von Stalin, Wyschinski und Ulbricht zu rechtfertigen. Mitte 1955 half er Ulbricht bei einer ersten Kampagne gegen die Rechtswissenschaft, der dann 1958 die berüchtigte Babelsberger Konferenz folgte.

 

Auf einer Besprechung in der Abteilung Staats- und Rechtsfragen beim Zentralkomitee der SED hieß es 1960: „Es hat sich ein richtiger Polak-Kult“ entwickelt. Kurz darauf führte allerdings ein Referat über das Thema „Die Entwicklung der Staatsfrage unter besonderer Berücksichtigung der nationalen Frage“ zu scharfer Kritik an Polak. Dieser brach wieder zusammen und mußte ein Krankenhaus aufsuchen. Kurz darauf wurde er allerdings von Ulbricht zum Mitglied des neugeschaffenen Staatsrats ernannt. Howe widerlegt die herrschende Meinung von der maßgeblichen Beteiligung Polaks an dem Rechtspflegererlaß von 1963 mit dem Hinweis auf dessen schwere, lang andauernde Erkrankung. Howe deutet den Artikel von Heinz Such „Für eine schöpferische Staats- und Rechtswissenschaft, gegen Dogmatismus und Rechtsnihilismus“ vom Frühjahr 1962 sachkundig als zwar verdeckten, aber deutlichen Angriff auf Polak. Die für den Außenstehenden schwer durchschaubaren Auseinandersetzungen um das Schlagwort von der „Spezifik des Rechts“ und die „Erbe-Thesen“ werden von Howe überzeugend erläutert. Die Leitung eines ihm auf den Leib geschneiderten Forschungsinstituts konnte Polak nicht mehr antreten; er starb im Oktober 1963 im Alter von 57 Jahren.

 

Abschließend befaßt sich Howe mit dem postumen Umgang mit Polak. Es erschienen umfangreiche Ausgaben seiner Reden und Aufsätze, die jedoch teilweise im Sinne des neuen Zeitgeistes geschönt waren. Mitte der achtziger Jahre sei „ein regelrechter „Polak-Boom“ ausgebrochen.

 

Marcus Howe hat es verstanden, ein Leben mit wenigen spannenden Momenten fesselnd darzustellen. Von seinem Lehrer Uwe Wesel hat er die kurzen Sätze und die legere Ausdrucksweise übernommen. Wenn die Biographie auch vielfach auf eine Darstellung der Staats- und Rechtsgeschichte der SBZ/DDR bis zum Jahr 1963 hinausläuft, so erhält diese Darstellung doch durch die Beziehung auf einen ihrer Hauptakteure eine in vielem neuartige Betrachtungsweise. Ob Polak eine Gestalt der „Europäischen Rechtsgeschichte“ ist, darf man nach der Lektüre des Buches bezweifeln. Immerhin paßt es in das Forschungsprojekt „Normdurchsetzung in osteuropäischen Nachkriegsgesellschaften“, das das Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte betrieben hat.

 

Regensburg                                                                                         Friedrich-Christian Schroeder

[1] Unzutreffend die Behauptung, daß das Volkskommissariat für Justiz, bei dem das Unionsinstitut für juristische Wissenschaften angesiedelt war, „zur Unionsprokuratur, der Staatsanwaltschaft gehörte“ (S. 13). Das Institut stand bis 1936 unter gemeinsamer Leitung des Volkskommissariats der Justiz der RSFSR und der Staatsanwaltschaft und des Obersten Gerichts der UdSSR (Schroeder, Osteuropa-Recht 1969, S. 48).

[2] A. Waksberg, Gnadenlos. Andrei Wyschinski – Mörder im Dienste Stalins, 1991.

[3] Unzutreffend die Ansicht Howes, eine Kandidatendissertation sei mit einer Habilitationsschrift vergleichbar. Dies gilt nur für die russische „Doktordissertation“.