Hussong, Ulrich, Jacob Grimm und der Wiener Kongress

. Mit einem Anhang größtenteils unveröffentlichter Dokumente (= Schriften der Brüder-Grimm-Gesellschaft N. F. 33). Brüder-Grimm-Gesellschaft, Kassel 2002. 256 S., Ill. Besprochen von Elmar Wadle. ZRG GA 121 (2004)

Hussong, Ulrich, Jacob Grimm und der Wiener Kongress. Mit einem Anhang größtenteils unveröffentlichter Dokumente (= Schriften der Brüder-Grimm-Gesellschaft N. F. 33). Brüder-Grimm-Gesellschaft, Kassel 2002. 256 S., Ill.

 

Etwa neun Monate lang amtierte der Legationssekretär Jacob Grimm als Mitglied der kleinen, drei Köpfe umfassenden kurhessischen Delegation auf dem Wiener Kongress. Der Tätigkeit Grimms in dieser kurzen Zeitspanne gilt der mit akribischer Genauigkeit recherchierte Bericht Hussongs. In den offiziellen Akten tritt Grimm zumeist „durch seine schöne und schwungvolle Handschrift“ (S. 29) hervor; eine direkte Einflussnahme auf den Inhalt der Berichte oder gar die Verhandlungen selbst ist so gut wie nicht zu ermitteln. Grimm hatte insoweit keine gestaltende Rolle; er beklagte sich laut genug darüber, dass er oft nur als bloßer Kanzlist Verwendung finde. Dass Grimm neben der amtlichen Tätigkeit seiner Liebe zu den Musen treu geblieben ist, sei eigens festgehalten, spielt aber in Hussongs Werk eine eher untergeordnete Rolle. Um so aufwendiger wird über das amtliche Umfeld der Wiener Zeit berichtet. Die Gesandten Dorotheus Ludwig Christoph Graf von Keller und der Geheime Regierungsrat Georg Ferdinand Freiherr von Lepel, ihr Werdegang, ihre Stellung am Kongress und ihre spätere Verwendung finden ebenso breite Beachtung wie manch andere Einzelheit zur Organisation und Ablauf des Kongresses; insoweit ist die Arbeit nützlich, aber nicht immer originell, da sie sich mit Recht auf eine reiche ältere und jüngere Literatur stützen kann[1]. In einer Hinsicht verdient das Buch freilich besondere Aufmerksamkeit: Jacob Grimms Kritik an dem von den beiden Brüdern von Marschall, den Gesandten Hessen-Homburgs und Badens, erarbeiteten „Entwurf einer künftigen Verfassung Deutschlands (Anfang Dezember 1814)“ wird zu Recht als bedeutendes, wenngleich nicht sehr einflussreiches Zeugnis des politischen Engagements präsentiert. Unter jedem nur wünschenswerten Gesichtspunkt geht Hussong auf diese wohl eher als Nebenarbeit einzustufende Arbeit Jacob Grimms ein. Dankenswerterweise stellt Hussong die Texte als Anhang in einer sorgfältigen Edition zur Verfügung; dass in diesem Quellenanhang noch vieles andere mehr oder minder bedeutsame Stück aufgenommen worden ist, sei eigens festgehalten.

 

Weniger erfreuen kann den verfassungsrechtlich Interessierten der bisweilen recht unpräzise Umgang mit zentralen Fragen im einleitenden Abschnitt: Neben vielen korrekten Aussagen steht etwa eine in ihrer Terminologie auf spätere Begrifflichkeit zurückgreifende Beschreibung des Deutschen Bundes (S. 11: „Der Zusammenschluss zu einem Staatenbund, allerdings verknüpft mit bundesstaatlichen Elementen, war für die deutschen wie die übrigen europäischen Großmächte ohne Alternative.“), als hätte es die verfassungsgeschichtliche Diskussion um die Zeitgebundenheit des Begriffspaares „Bundesstaat/Staatenbund“ nicht gegeben[2]. Auch die Passagen zur Stimmenverteilung in der Bundesversammlung (S. 12) überzeugen nicht recht, kennt dieses Gremium doch zwei nach der Bedeutung der Gegenstände gegliederte Abstimmungsweisen mit unterschiedlicher Stimmengewichtung. Noch verblüffender ist die Feststellung, im Vergleich zur Bundesakte (1815) habe die Wiener Schlussakte von 1820 „nichts wesentlich Neues“ gebracht (S. 13).

 

Solche Ungenauigkeit mindert den Wert des Buches, das Grimms Zeit beim Wiener Kongress aufhellen will, allerdings wenig. Das Werk beeindruckt, weil es auf einer ungemein genauen und umfangreichen Quellenrecherche beruht. Man legt es mit dem Gefühl aus der Hand, dem, was Hussong zu Grimm in Wien sagt, könne nichts mehr hinzugefügt werden.

 

Saarbrücken                                                                                                              Elmar Wadle

[1] Besonders hervorgehoben seien die Werke von Eckhardt Treichel (Bearb.), Die Entstehung des Deutschen Bundes 1813-1815 (Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes, hg. v. Lothar Gall, Abt. 1: Quellen zur Entstehung und Frühgeschichte des Deutschen Bundes 1813-1830 Bd. 1/1-2) ; Michael Hundt, Die mindermächtigen deutschen Staaten auf dem Wiener Kongress (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz Abt. Universalgeschichte Bd. 164), 1996.

[2] Vgl. etwa Elmar Wadle, Staatenbund oder Bundesstaat? Ein Versuch über die alte Frage nach den föderalen Strukturen in der deutschen Verfassungsgeschichte zwischen 1815 und 1866, in: W. Brauneder (Hg.), Staatliche Vereinigung: Fördernde und hemmende Elemente in der deutschen Geschichte. Tagung der Vereinigung f. Verfassungsgeschichte in Hofgeismar vom 13.-15. 3. 1995. Berlin, 1998, S. 137-170.