Wejwoda, Marek, Dietrich von Bocksdorf und seine Bücher
Wejwoda, Marek, Dietrich von Bocksdorf und seine Bücher. Rekonstruktion, Entwicklung und inhaltliche Schwerpunkte einer spätmittelalterlichen Gelehrtenbibliothek (= Schriften aus der Universitätsbibliothek 31). Leipzig, Universitätsverlag 2014. V, 270 S., 54 Abb. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.
„Der in Zinnitz bei Calau um 1405 oder um 1410 geborene Dietrich von Bocksdorf ist einer der wenigen etwas allgemeiner bekannten deutschen Juristen des ausgehenden Mittelalters. Vielleicht von einem in Prag ausgebildeten und in Magdeburg als Domherr wirkenden Onkel beeinflusst, studiert er zunächst in Leipzig, wo er 1426 den Grad eines baccalaureus erwirbt, und später in Perugia, wo er den Doktorgrad beider Rechte erlangt. 1443 wird er Professor des kirchlichen Rechtes in Leipzig und 1463 Bischof von Naumburg und verstirbt in Zeitz am 9. 3. 1466.“
Als vierter und letzter Teil der bei Enno Bünz (Leipzig) im Jahre 2011 abgeschlossenen historischen Dissertation über Dietrich von Bocksdorf erschien im Dezember 2014 der hier anzuzeigende Band des 1977 geborenen Verfassers. Konnte bisher schon für jeden der drei zuvor veröffentlichten Teile der Untersuchung (Spätmittelalterliche Jurisprudenz ..., Sächsische Rechtspraxis …, Die Leipziger Juristenfakultät …) festgestellt werden, dass er ausreichend für eine sehr qualifizierte Promotion gewesen wäre, so ist es bei dem Abschlussband nicht anders. Der Autor, der längere Zeit am Leipziger Handschriftenzentrum gearbeitet hat, klärte anhand der Handschriftenbestände der Universitätsbibliothek Leipzig, mit dem Depositum der Stadtbibliothek Leipzig, der Domherrenbibliothek Zeitz und der Stiftsbibliothek Zeitz, bei welchen Handschriften ein Bezug zu Bocksdorf herzustellen ist. Ergänzend hat er eine Handschrift, die in die John Frederick Lewis Collection der Free Library of Philadelphia/Pennsylvania gelangt ist, in seine Studien einbezogen. In seinem Vorwort weist Christoph Mackert, Leiter des Handschriftenzentrums an der Universitätsbibliothek Leipzig, darauf hin, dass die Arbeit in einer bislang nicht bekannten Weise Einblicke in die Wege des Handschriftenerwerbs und der (handschriftlichen) Buchproduktion im Umfeld der Universität um die Mitte des 15. Jahrhunderts eröffnet. Mit 68 überlieferten Handschriften und einer weiteren verschollenen Büchern (Deperdita) aus Bocksdorfs Besitz, deren Schicksal bisher nicht zu klären war, nimmt diese Bibliothek unter den Bibliotheken von Gelehrten des 15. und 16. Jahrhunderts eine Ausnahmestellung ein. Sämtliche Bücher Bocksdorfs waren Handschriften, obwohl ab etwa 1450 auch schon der Erwerb von Frühdrucken möglich gewesen wäre. Im Abschnitt über die Überlieferung und Rekonstruktion der Bibliothek stellt der Autor die Quellen vor, denen Kenntnisse über die Bibliothek zu verdanken sind. In einer testamentarischen Verfügung im Jahre 1459 nennt Bocksdorf 33 Bände, von denen einige in einem Dedikationsvermerk diese Jahresangabe tragen. 1463 erneuerte er diese Stiftung und erweiterte sie auf 42 Bände. Einen weiteren Teil seiner Bibliothek übertrug er wenige Monate vor seinem Tod dem Dominikanerkloster St. Paul (Leipzig) und dem Kloster in Altzelle. Hierüber ist zwar keine Liste der Titel erhalten, jedoch tragen verschiedene Bände einen Hinweis auf den Vorbesitz des damaligen Bischofs von Naumburg. Der weitere Weg der meisten Bücher führte letztlich zur Universitätsbibliothek Leipzig. Dadurch konnten Studien an den einzelnen Handschriften durchgeführt werden, die nur in dieser besonderen Überlieferungssituation möglich waren. Ein auf verschiedene Besitzer verstreuter Buchbesitz hätte einem Bearbeiter unvergleichlich mehr Schwierigkeiten bereitet. So konnten die Handschriften nach Benutzungsspuren durch Einträge des Besitzers, die Art des Bucheinbandes, die Wasserzeichen der verwandten Papiere und dem Inhalt der überlieferten Texte vorbildlich bearbeitet werden. Die Suche nach Deperdita war ohne eine gründliche Auswertung der erhaltenen Bände und der verstreuten archivalischen Überlieferung nicht möglich. Dem Autor gelang es, 14 Bände aus der Bücherstiftung, 3 Bände aus dem Katalog des Dominikanerklosters St. Paul und 3 Bände aus dem Testament namhaft zu machen. Eine Auswertung von Bocksdorfs Werken führte zu weiteren 13 Bänden, auf die Allegate hinweisen und 6 Ausleihen von Büchern, bei denen aber eine Zuordnung zum persönlichen Buchbesitz nicht sicher ist. Eine derartige Bibliothek von etwa 100 Handschriften konnte von ihrem Sammler nur mit erheblichen Finanzmitteln zusammengebracht werden. Bocksdorfs dem entsprechende wirtschaftliche Situation ist in einem anderen Teil der Dissertation untersucht. Bei der Entwicklung der Bibliothek unterscheidet der Autor zwei Hauptgruppen: einmal die der Handschriften, die Bocksdorf in Italien erworben hat und zum anderen die Stücke, die in Leipzig geschrieben wurden. Von seinem Studium in Italien brachte er überwiegend Rechtstexte mit, jedoch ist nicht auszuschließen, dass er auch später italienische Handschriften anderer Rückkehrer von Studien in Italien erworben hat. Die gewonnenen Ergebnisse sind in übersichtlichen Tabellen aufgelistet. Gleiches gilt für die sicher oder sehr wahrscheinlich in Leipzig geschriebenen Handschriften. Die Ergebnisse sind auf der Grundlage der Untersuchung nach Wasserzeichen, Schrifteigentümlichkeiten und Auswertung der Kolophone überzeugend begründet. Eine Auswertung der Annotierungen und Kommentierungen der erhaltenen Bücher erlaubt es, die Texte zu bestimmen, die ihm bei seiner Arbeit zur Verfügung standen. Naturgemäß war seine juristische Arbeitsbibliothek gut ausgestattet mit sämtlichen Quellen des kanonischen Rechts, verschiedenen Dekretalensammlungen, von ihm verfassten Remissorien, Decisiones der päpstlichen Rota und Dekreten des Basler Konzils. Dazu kamen wesentliche Texte der spätmittelalterlichen Reichsgesetzgebung, wie die Goldene Bulle (1356) und die so genannte Frankfurter Reformation Friedrichs III. (1442). Nicht erhalten sind aus Bocksdorfs Besitz Handschriften des sächsisch-magdeburgischen Rechts. Zwar sind entsprechende Handschriften in seinen Bücherverzeichnissen genannt, jedoch sind sie nicht nicht mehr auffindbar.
Ein eigener Zufallsfund des Rezensenten, der im Herbst 2014 bei Auswertung des Bestandes des Domstiftarchivs Naumburg gemacht werden konnte, ist in diesem Zusammenhang von großem Wert. Ein Pergamentblatt (Fragm. 15) aus einer Handschrift eines glossierten Sachsenspiegel-Landrechts, die als Einband einer Rechnung (1566/1567) genutzt wurde, trägt, wie Marek Wejwoda bei einer Einsichtnahme bestätigte, handschriftliche Anmerkungen Dietrichs von Bocksdorf. Dieses Blatt wird in einer gesonderten Untersuchung vorgestellt werden. Die Auffindung und die Textbestimmung erfolgte in Verbindung mit dem DFG-Projekt ‚Erschließung von Kleinsammlungen mittelalterlicher Handschriften in Sachsen und dem Leipziger Umland‘. Nicht auszuschließen ist, dass dieses Blatt aus einer der Handschriften stammt, die im Testament genannt sind. Nach Bocksdorfs Tod könnte diese Handschrift an einen Buchbinder gelangt sein, vielleicht lassen sich eines Tages auch noch weitere Blätter aus dieser Handschrift aufspüren.
Neben den juristischen Texten finden sich Traktate und Dokumente zur Kirchen- und Reichspolitik sowie historische Werke. Ergänzend gehörten der Sammlung Werke der Theologie, der geistlichen Literatur und Predigten an. Diese Arbeiten sind sorgfältig beschrieben und bewertet. Das Register (S. 262-270) erschließt diesen Teil der Arbeit. Im Katalog der Bücher (S. 81-176) sind die Handschriften detailliert in einer dem gegernwärtigen Standard der Handschriftenbeschreibung entsprechenden Weise behandelt. Zu jedem Buch werden die Anhaltspunkte aufgeführt, die für eine Zuschreibung zu Bocksdorfs Besitz sprechen. Für die Qualität der gemeinsamen Arbeit zwischen dem Autor und Christoph Mackert spricht, dass auch unterschiedliche Zuschreibungen offengelegt werden. Die Ergebnisse werden später noch tabellarisch (S.202-205) dargestellt. Unter den zahlreichen Texten finden sich nur wenige deutschsprachige Stücke, zu denen etwa die böhmische Chronik des (Ps.) Dalimil und Heinricus Tokens Concilia gehören.
Wenn es auch bei der überzeugenden Arbeit beckmesserisch erscheint, kleine Fehler anzumerken, so ist doch darauf hinzuweisen, dass der Mainzer Bischof zur Zeit der Stiftsfehde Diether von Isenburg hieß (nicht: Isenberg, S. 134, 192). Weiter weicht der Autor zumindest von der herkömmlichen Konvention ab, wenn er mehrfach vom Meißner Rechtsbuch nach Distinktionen (statt: Meißner Rechtsbuch oder Rechtsbuch nach Distinktionen) spricht (S. 41, 183). In einem zweiten Verzeichnis (S. 206-217) werden Schriftproben der Schreiber und die Handschriften gezeigt, in denen sie nachweisbar sind. Ein drittes Verzeichnis (S. 218-239) führt die in den Büchern vorkommenden Wasserzeichen auf. Diese beiden Verzeichnisse sind aus der Arbeit des Leipziger Handschriftenzentrums erwachsen. Sie belegen überzeugend die in der Beschreibung der einzelnen Bücher gemachten Angaben. Das Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 245-260) lässt keine Wünsche offen.
Neu-Ulm Ulrich-Dieter Oppitz