Mayer, Gregor, Verschwörung in Sarajevo

. Triumph und Tod des Attentäters Gavrilo Princip. Residenz Verlag, Sankt Pölten 2014. 159 S. Besprochen von Werner Augustinovic.

Mayer, Gregor, Verschwörung in Sarajevo. Triumph und Tod des Attentäters Gavrilo Princip. Residenz, St. Pölten 2014. 159 S., Ill. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Wohl kaum ein politisch motiviertes Attentat hat in der Weltgeschichte ähnlich gravierende Folgen nach sich gezogen wie die Ermordung des österreichischen Thronfolgerpaares am 28. Juni 1914 durch den bosnisch-serbischen Gymnasiasten Gavrilo Princip (1894-1918) in Sarajevo: Im blutigen Ersten Weltkrieg zerbrach das Kaiserreich der Habsburger, aber auch das seiner Erbmasse entstammende Vielvölkerreich der Südslawen, das Princip anstrebte, dessen Realisierung er aber nicht mehr erleben durfte, ist faktisch bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten Geschichte. Die Würdigung seiner Tat ist kein rechtliches, aber ein grundlegend ethisches Problem im weiten Dunstkreis der Diskussion um ein Widerstandsrecht, die Legitimität des Einsatzes von Gewalt zu politischen Zwecken und die Rechtfertigung des Tyrannenmordes und wird somit, abhängig vom jeweiligen Standpunkt des Betrachters, zu kontroversen Ergebnissen führen.

 

Gregor Mayer, der in Belgrad und Budapest lebt, gilt als Kenner des südosteuropäischen Raumes wie des Nahen Ostens und berichtet als Korrespondent für gehobene Medien wie „Profil“, den „Standard“ und auch für die Deutsche Presse-Agentur. Persönliche Erfahrungen in der Gegenwart - zunächst im Rahmen der jugoslawischen Nachfolgekriege, dann des amerikanisch besetzten Irak - mit Terrorismus, fremder Besatzung, gescheiterten Staaten und intransparenten internationalen Verhältnissen haben ihn Parallelen zur Lage in Europa vor 1914 erkennen lassen und sein Interesse am Hintergrund des antihabsburgischen Verschwörerkreises um Princip befruchtet. Ihn interessiert vor allem „ihre geistige Entwicklung […] und wie sie sich unter den Bedingungen der Okkupation radikalisierten“, des Weiteren, „wie ein harter Kern von Schulabbrechern aus Sarajevo […] in den großserbischen Milieus von Belgrad relativ umstandslos die Tatwaffen und logistische Unterstützung für den Mordanschlag auf den Thronfolger erhalten konnte“ (S. 8f.).

 

Im Ergebnis liegt nun eine Arbeit vor, die auf wissenschaftlich erwiesene Fakten aufbaut, die in der Darstellung aber an zwei Stellen um der Vorstellungskraft des Verfassers entflossene Elemente angereichert ist. Die das erste Kapitel des Buches einnehmenden Gespräche in den Kasematten der Kleinen Festung Theresienstadt zwischen dem dort eingekerkerten Princip und dem Militärpsychiater Martin Pappenheim haben tatsächlich stattgefunden (Pappenheim hat sie 1926 veröffentlicht), aber Gregor Mayer konzentriert sich weniger auf deren Inhalt, die Schilderung will in erster Linie die trostlose Atmosphäre des traurigen Ortes, den der Verfasser persönlich in Augenschein genommen hat, und die hoffnungslose Lage des prominenten Häftlings transportieren: „Durch die vergitterte Luke oberhalb der Zellentür drang kaum etwas von dem gedämpften Licht aus dem Gefängnisgang […]. Eine fast körperlose, in sich gekrümmte Gestalt richtete sich unter anhaltendem Husten auf der Holzpritsche auf, die ihr als Liegestatt diente …“ (S. 11). Ein zweites Mal fließt Fiktion in die wörtliche Entfaltung eines Dialoges ein, in dem Princip im März 1914 auf einer Belgrader Parkbank seinen Mitverschwörer Nedeljko Čabrinović zur Beteiligung an dem Anschlag auf Franz Ferdinand bewegt haben soll (vgl. S. 93f.).

 

Abseits dieser beiden entsprechend ausgewiesenen Passagen liefert die Darstellung ein gut nachvollziehbares Bild der Biographien Princips - er stammte aus bitterarmen, ländlichen Verhältnissen - und seiner Mitverschwörer, des gesellschaftlichen und politischen Klimas im von Österreich seit 1908 annektierten Bosnien und der die dortige Jugend beeinflussenden zeitgenössischen geistigen Strömungen, wie die Philosophie des späteren ersten Staatspräsidenten der Tschechoslowakei, Thomas G. Masaryk, die literarische Avantgarde um den späteren Nobelpreisträger Ivo Andrić und vor allem die russischen Sozialrevolutionäre mit ihrer „Propaganda der Tat“, dem Bekenntnis zur individuell-revolutionären Aktion. Die mit Schulverweisen gegen politisierende Schüler vorgehende, österreichische Bildungsbürokratie förderte auf diese Weise nur eine „Vernetzung der revolutionären Gruppen im südslawischen Raum“ (S. 66). Auch Gavrilo Princip wechselte Ende Mai 1912 von Sarajevo nach Belgrad, wo er Kontakt zu jenen serbisch-nationalen Zirkeln fand, deren Unterstützung ihm später die Umsetzung seiner Anschlagspläne ermöglichte. Als „Schlüsselerlebnis seiner ‚politischen Erweckung‘“ (S. 71) hat er das im Juni 1910 von Bogdan Žerajić auf den bosnischen Landeschef, Marijan Varešanin, verübte, misslungene Schussattentat, bei dem sich der Täter anschließend durch eine eigene Kugel selbst gerichtet hat, bezeichnet.

 

Der vom Verfasser dargestellte Gang der Ereignisse um den Thronfolgermord ist weitgehend bekannt, sodass er hier nicht weiter ausgeführt werden muss. Rechtsgeschichtlich von Bedeutung ist hingegen der am 12. Oktober 1914 gegen 25 Angeklagte in einem Saal des Sarajevoer Militärgefängnisses wegen Hochverrats, Mordes sowie Beihilfe zu diesen Verbrechen eröffnete Strafprozess. Das Verfahren sei „im Großen und Ganzen fair“ verlaufen, jedoch - so heißt es im merkwürdigen Widerspruch zu dieser Feststellung - seien die Pflichtverteidiger „schwach“ gewesen und „verhielten sich in ihrer Habsburg-Loyalität eher wie Ankläger“. Mit einer Ausnahme: Rudolf Zistler, Sozialdemokrat aus Zagreb, verwies darauf, dass „die Anklage des Hochverrats keine juristische Grundlage habe. Er argumentierte damit, dass Bosnien-Herzegowina kein Teil der Monarchie sei, weil die Berliner Kongressbeschlüsse von 1878, die Österreich-Ungarn zur Okkupation Bosniens ermächtigt hätten, von den Parlamenten der beiden Reichshälften nie ratifiziert worden waren“ (S. 133f.). Der „Lohn“ für seinen Einsatz und seine geschliffene, aber politisch unerwünschte juristische Argumentation war vielsagender Weise eine Verwarnung durch den Richter sowie - im Anschluss an den Prozess - der Entzug der Anwaltszulassung in Sarajevo. Zurzeit thematisiert der bekannte serbische Filmemacher Srdjan Koljević das Wirken des mutigen Anwalts in einem historischen Streifen mit dem Titel „Ich habe Mlada Bosna [= „Junges Bosnien“, WA] verteidigt“ (vgl. S. 150). Das Verfahren gegen die Verschwörer endete am 28. Oktober mit 16 Verurteilungen und neun Freisprüchen, drei Hinrichtungen wurden im Februar 1915 vollstreckt. Princip entging, da noch unter zwanzig und somit noch nicht volljährig, der Todesstrafe und wurde zu 20 Jahren verschärfter Festungshaft verurteilt; der schwer an Tuberkulose Erkrankte verstarb am 28. April 1918 in Theresienstadt.

 

Die Bewertung Gavrilo Princips, der sich der persönlichen Konsequenzen seiner Tat stets vollauf bewusst war und nichts leugnete, der sich im Strafverfahren als „jugoslawischer Nationalist“ bekannte, der „die Vereinigung aller Jugoslawen, in welcher Staatsform auch immer und befreit von Österreich […] durch Terror“ anstrebe, der seine Tötungsabsicht uneingeschränkt eingestand in der Überzeugung, „dass ich ein Übel beseitigt habe und dass ich gut bin“ (S. 130f.), und der die soziale Misere der Landbevölkerung ungeschminkt anprangerte, unterliegt dem Wandel. Vor dem Hintergrund serbischer Gräueltaten während der jugoslawischen Sezessionskriege unterscheide sich für viele Einwohner Sarajevos heute „der Attentäter von 1914 kaum von den islamistischen Fundamentalisten, die sich und ihre Opfer mit Sprengstoffgürteln in die Luft jagen oder Verkehrsflugzeuge in Wolkenkratzer steuern, […] viele bosnische Muslime und Kroaten (blickten) mit einer geradezu nostalgischen Verklärung auf die österreichische Zeit zurück“. Auf der anderen Seite „missbrauchten serbische Nationalisten wie Karadžić Princip als Heldenikone für einen neuen Faschismus, der Jugoslawien und Bosnien zerstört hat“. Der bereits erwähnte serbische Filmschaffende Koljević hebt das soziale Engagement der damaligen „Jungbosnier“ hervor: „Sie wären heute eine soziale Bewegung. […] Sie würden die Auswüchse des heutigen Kapitalismus in die Schranken weisen, jene Prozesse, die bewirken, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden“. Daran anknüpfend, schließt Gregor Mayer sein Buch mit unterschwelliger Sympathie: „Gavrilo Princip stünde heute möglicherweise an der Spitze von ‚Occupy‘“ (S. 148ff.). Für den Rezensenten stellt sich aber die Frage, ob ein den Mord einschließender, vielleicht missbrauchter, aber allemal gewaltbereiter jugendlicher Fanatismus durch eine derartige Robin Hood-Sozialromantik nicht verharmlost oder gar exkulpiert wird. Und natürlich steht das übergeordnete philosophische Problem der Existenz eines Notwehrrechts der Beherrschten gegenüber den Herrschenden und dessen Reichweite und Grenzen prominent im Raum.

 

Die vertiefende Diskussion solcher Fragen trifft allerdings auch nicht wirklich die Intention des Verfassers. Ihm geht es vornehmlich um die Rekonstruktion geistiger wie realer Netzwerke und die Identifikation der sich zum Attentat verdichtenden Motivationsimpulse. Dies gelingt ihm auch vorzüglich; Gregor Mayers Band, geschrieben mit der feinfühligen Sensorik des erfahrenen Journalisten und Kenners der Schauplätze, atmet buchstäblich die zeitgenössische Atmosphäre zwischen der Ahnung des heraufziehenden Untergangs der in die Jahre gekommenen Habsburgermonarchie und den diffusen Zielvorstellungen eines sich entfaltenden südslawischen Nationalismus, sowohl im angenehm flüssig lesbaren Text als auch in den wenigen, aber treffenden, die wesentlichen Stationen auf dem Lebensweg Gavrilo Princips (sein Geburtshaus in Gornji Obljaj, seine Eltern, die Treffpunkte der Verschwörer in Belgrad, der Tatort an der Lateinerbrücke in Sarajevo, die Gefängniszelle in Theresienstadt) vorstellenden Schwarzweißbildern.

 

 Kapfenberg                                                                          Werner Augustinovic