Hausleitner, Mariana, Die Donauschwaben

1868-1948. Ihre Rolle im rumänischen und serbischen Banat (= Schriftenreihe des Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde 18, Quellen und Forschungen Band 2). Steiner, Stuttgart 2014. 417 S., 3 Karten. Besprochen von Werner Augustinovic.

Hausleitner, Mariana, Die Donauschwaben 1868-1948. Ihre Rolle im rumänischen und serbischen Banat (= Schriftenreihe des Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde 18, Quellen und Forschungen Bd. 2). Franz Steiner, Stuttgart 2014. 417 S. 3 Kart. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Als Donauschwaben bezeichnet man pauschal die Nachkommen jener zumeist aus dem Süden und Südwesten Deutschlands, aber auch aus anderen Gebieten der Habsburgermonarchie stammenden, ursprünglich 100.000 bis 120.000 Kolonisten, die nach dem Abstoppen und Zurückdrängen der ins Herz Europas zielenden Expansion des Osmanischen Reiches (1683 Niederlage vor Wien, 1717 Verlust der Festung Belgrad, 1718 Friede von Passarowitz) in drei später als „Schwabenzüge“ bezeichneten Migrationswellen (1722-1726 unter Karl VI., 1763-1772 unter Maria Theresia, 1782-1786 unter Joseph II.) zum Zweck der Peuplierung, militärischen Sicherung, Melioration, Erhöhung der Nahrungsmittelproduktion und des Steueraufkommens im Banat angesiedelt wurden. Dort, im Raum zwischen Donau, Theiß, Marosch und den Ausläufern der Südkarpaten, glichen die überwiegend bäuerlichen Neusiedler im Laufe von zwei bis drei Generationen einander in Sprechweise und Lebensstil zunehmend an, sodass sich aus den vielen deutschen Mundarten ein als „Schwäbisch“ bezeichneter, regionalspezifischer deutscher Dialekt herausbildete. Den Verwerfungen des 20. Jahrhunderts blieb es vorbehalten, diese über zwei Jahrhunderte gewachsene Minderheit zu Grabe zu tragen: Mit der Expansion Hitlerdeutschlands nach Südosteuropa gerieten auch die Donauschwaben in den Sog nationalsozialistischer Bevölkerungspolitik; ihre partielle Verstrickung in deren Machenschaften führte 1944/1945 zu ihrer kollektiven Bestrafung, wobei die Maßnahmen im serbischen Westbanat genozidale Züge tragen, während sie aufgrund anders gelagerter Umstände im rumänischen Ostbanat vergleichsweise gemäßigter ausfielen. Das Herausarbeiten der strukturellen Voraussetzungen, die für diese jeweils unterschiedliche Behandlung ursächlich sind, ist das oberste Anliegen der Verfasserin.

 

Mit Mariana Hausleitner ist eine Wissenschaftlerin am Werk, die sich durch besondere Kenntnisse  auf dem Gebiet der neueren und neuesten Geschichte Rumäniens auszeichnet. 1950 in Bukarest geboren, behandelt ihre Bremer Dissertation von 1987 die „Nationale Frage in der rumänischen Arbeiterbewegung vor 1924“; im Jahr 2000 wird sie mit einer Untersuchung zur „Rumänisierung der Bukowina 1918-1944“ im Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin habilitiert. Zuletzt hat die Privatdozentin an der Ludwig-Maximilians-Universität München die derzeitige Dekanin der dortigen Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaft und namhafte Gutachterin in völkerrechtlichen Strafprozessen, Marie-Janine Calic, in ihrer Professur in den Fächern der Geschichte Osteuropas und Südosteuropas vertreten.

 

Ihrer aktuellen Studie stellt Mariana Hausleitner ein erstes, „Innerethnische Beziehungen und Minderheitenpolitik im Vergleich“ betiteltes Kapitel voran, das einen Überblick über den Stand der Forschung gibt und den Gang ihrer Untersuchung an Hand der von ihr gestellten Fragen grob skizziert. Dabei schickt sie die Antwort auf ihre Kardinalfrage nach den unterschiedlichen Gegebenheiten im rumänischen Ostbanat und im serbischen Westbanat bereits voraus. Der „entscheidende Unterschied“ sei „die Herrschaftsform während der Kriegsjahre“ gewesen: „Übergriffe gegen Rumänen waren im Ostbanat nicht möglich, weil die [rumänische, WA] Staatsgewalt sonst eingeschritten wäre. Einige Schwaben versuchten 1940 bei der Verteilung des enteigneten Besitzes von Juden zu partizipieren. Sie hatten geringen Erfolg, weil das zuständige ‚Zentrum für Rumänisierung‘ vor allem rumänische Flüchtlinge aus den an die Sowjetunion, Ungarn und Bulgarien abgetretenen Gebieten versorgen wollte. Da Rumänien ein Bündnispartner des Deutschen Reiches und kein besetztes Gebiet wie Serbien war, verübten die Schwaben im Ostbanat keine Gewalttaten innerhalb der Landesgrenzen. Die verheerenden Folgen der Einsätze volksdeutscher Rekruten bei der SS-Division ‚Prinz Eugen‘ in Jugoslawien waren in Rumänien 1944/1945 noch kaum bekannt. Dagegen gingen die deutschen Besatzer auf dem Territorium des zerstückelten Jugoslawien mit brutaler Gewalt gegen Aufständische vor. Besonders in Serbien hatte fast jede Familie Opfer der umfangreichen Geiselerschießungen zu beklagen. Die Donauschwaben wurden dort als willige Helfer der Besatzungsmacht wahrgenommen. Daher billigten viele ihre kollektive Bestrafung nach 1944“ (S. 11f.). Diese sollte verheerend ausfallen: „Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die deutsche Minderheit Jugoslawiens nach Kriegsende verglichen mit den Gruppen in allen anderen Staaten Südosteuropas am brutalsten und längsten bestraft wurde“ (S. 305).

 

Die folgenden sechs Abschnitte illustrieren in einem umfassenden Ansatz die Geschichte der Banater Donauschwaben von ihrer Einwanderung bis zum faktischen Ende ihrer Existenz als eigenständige Volksgruppe. Mit großer Sachkenntnis beleuchtet die Verfasserin das Verhältnis der Ethnien im Raum (Schwaben, Juden, Serben, Rumänen) und die komplexe Entwicklung der maßgeblichen politischen Kräfte und Organisationen. Kulturpolitische Pionierarbeit billigt sie der Arbeiterbewegung - einer ihrer bevorzugten Forschungsbereiche - im Ostbanat zu, denn „während die Kulturvereine des deutschen Bürgertums im Banat […] sich zunehmend an der ungarischen Kultur orientierten, pflegten die Arbeiterbildungsvereine vor allem deutsche Kultur“ (S. 45). Neben der katholischen Kirche und den Konservativen bildeten die Sozialdemokraten das Gegengewicht zu den um 1900 aufkommenden nationalorientierten, später weitgehend im Nationalsozialismus aufgehenden Kräften. Die Darstellung von dessen Herrschaft und der daraus resultierenden Konsequenzen für das Schicksal der donauschwäbischen Minderheit umfasst allein um die 200 Seiten, somit gut die Hälfte des zur Verfügung stehenden Druckraums. Sie thematisiert die Gegensätze und den ungleichen Kampf zwischen den Interessen der Volksgruppe und den zuwiderlaufenden Intentionen der Reichsführung in Berlin und berichtet über die Bereicherung von Schwaben an jüdischem Vermögen, die brutalen Straf- und Vernichtungsmaßnahmen der reichsdeutschen Besatzer und die rücksichtslosen Einsätze der im Banat weitgehend zwangsrekrutierten SS-Division „Prinz Eugen“ gegen die Tito-Partisanen und ihre tatsächlichen und mutmaßlichen Unterstützer ebenso wie über die unverhältnismäßige Vergeltung der späteren Sieger in Form der kollektiven Enteignung, von Massenerschießungen, der Deportation zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion oder des kalkulierten Hungertodes in den berüchtigten Internierungslagern.

 

Während der Masse der Zivilbevölkerung des Westbanats die Evakuierung verweigert wurde, konnten sich - wie gegen Ende des Bandes zu lesen ist - viele ehemalige NS-Funktionäre der Volksgruppe rechtzeitig absetzen und später im Westen Deutschlands und in Österreich in zum Teil höchsten Positionen als Vertreter und Sprecher der Vertriebenen etablieren. Obwohl sie dort die Interessen ihrer Klientel im Weg von Lastenausgleichszahlungen, Familienzusammenführungen oder des Einsatzes für die Freilassung Kriegsgefangener durchaus erfolgreich wahrgenommen haben, konnten sie zugleich unter systematischer Unterschlagung ihrer eigenen Verantwortung für das historische Geschehen ein einseitiges Opferbild kultivieren, ein Verhalten, das auch Johann Böhm und Klaus Popa in ihrer an dieser Stelle unlängst besprochenen Schrift „Vom NS-Volkstum- zum Vertriebenenfunktionär“ (2014) heftig und sehr emotional kritisieren. Der Tonfall Mariana Hausleitners ist deutlich ruhiger und sachlicher, sie lässt die Fakten für sich sprechen. Ihre vorzügliche, mit großer Sorgfalt erstellte Arbeit ist zweifellos die zurzeit modernste und analytisch exakteste Gesamtdarstellung zur Geschichte der Donauschwaben im rumänischen und serbischen Banat und als solche ein unverzichtbares Standardwerk.

 

Selbstredend integriert der sehr gut lesbare Text vielfältige Informationen zur Verwaltungspraxis und zum Gerichtswesen im Banat, ohne allerdings deren Entwicklung in einem selbständigen Kapitel abzuhandeln. Bisweilen regt sich beim Leser der unerfüllte Wunsch, mehr zu erfahren, wenn man beispielsweise zunächst liest, dass, nachdem die deutsche Minderheit 1941 den lange angestrebten Status als juristische Person erlangen konnte, der ehemalige Abgeordnete Wilhelm Neuner 1943 „Präsident des Appellationsgerichtshofes in Großbetschkerek“ wurde (S. 260), der später „nach vier Jahren Haft 1948 nach Österreich zog“, dort aber wohlweislich „über seine Tätigkeit in den Kriegsjahren […] nichts“ zu berichten wusste (S. 358). An anderer Stelle erfährt man vielsagend: „Die Schwaben unterstanden zwar den serbischen Strafgesetzen, aber zusätzlich gab es spezielle Disziplinargerichte der deutschen Volksgruppe. Sie konnten anfangs nur Verweise erteilen, ab Mai 1943 jedoch auch Strafen bis zu drei Monaten Erziehungslager verhängen. Die Herauslösung der Schwaben aus dem Justizsystem dürfte stimulierend für die Raubaktionen gewesen sein, die sich anfangs gegen Juden, später auch gegen Serben richteten“ (S. 262).

 

Wer, wie der Rezensent, selbst donauschwäbische Wurzeln hat, wird Mariana Hausleitners Ausführungen auch mit einem besonderen persönlichen Gewinn studieren. So manche Kleinigkeit aus den Zeugnissen der Vorfahren ordnet sich bei der Lektüre überraschend in einen größeren Rahmen ein. Erinnerlich ist so etwa aus den Erzählungen des aus einem deutschen Dorf im Kreis Pantschowa nahe Belgrad stammenden und als Kleinbauer nur rudimentär alphabetisierten Großvaters mütterlicherseits, Martin Stuber (1905-1989), die beiläufige Episode, er habe in der Volksschule nur Ungarisch (eine Sprache, die er nicht beherrschte) sprechen dürfen, wer Deutsch gesprochen habe, sei für dieses „Vergehen“ mit Schlägen gemaßregelt worden. Die Verfasserin schreibt zum Magyarisierungszwang in den Ländern der Ungarischen Krone, nachdem das Banat von 1849 bis 1860 kurzfristig als eigenes Kronland „Serbische Wojwodschaft und Temes(ch)er Banat“ existiert hatte: „Das deutsche Volksschulwesen, das sich bis zum Ausgleich von 1867 ungehindert im Banat entwickelt hatte, schrumpfte immer mehr. Zwischen 1871 und 1914 ging die Zahl deutscher Schulen von 1232 auf 714 zurück. […] Durch das Volksschulgesetz von 1879 wurde der obligatorische Unterricht in magyarischer Sprache eingeführt. […] Noch schwieriger wurde die Lage für die Nichtungarn durch das Schulgesetz des Kultusministers Albert Graf Apponyi […] 1907. Nun wurde auch an allen Konfessionsschulen der Minderheiten magyarischer Unterricht eingeführt. In der gesamten Gesellschaft wurden die anderen Sprachen verdrängt, sogar die Einfuhr deutscher Bücher wurde verboten“. Viele Schwaben nahmen diesen Druck zur Magyarisierung zwangsläufig hin, weil die meisten von ihnen „katholische Bauern waren, die ihr Schicksal als gottgegeben betrachteten. Der harte Arbeitsalltag ließ ihnen wenig Freiraum“ (S. 31f.). Die unglücklichen Folgen beklagte ein Abgeordneter aus Siebenbürgen im ungarischen Parlament, der festhielt, dass nun „in ihren meisten Gemeinden die Kinder gar nichts können, nicht Deutsch, nicht Ungarisch, sondern nur einige Vokabeln, die sie ohne Verständnis herausstottern“, wodurch „bloß der Unkultur“ ein Dienst erwiesen werde (S. 53). Auch die von Hausleitner hier skizzierte Mentalität, das eigene Schicksal als gottgegeben zu akzeptieren, ist dem Rezensenten geläufig, hörte er doch – im Gegensatz zu den gebetsmühlenartig vorgetragenen Anklagen der offiziellen Vertriebenenvertreter – solches von seinen Großeltern, die immerhin ihre gesamte materielle Existenz eingebüßt hatten und mit Mühe das nackte Leben retten konnten, erstaunlicher Weise niemals: Statt dem Verlorenen nachzutrauern, krempelte man die Ärmel hoch und war stolz auf das, was man in der neuen Heimat in kurzer Zeit und aus eigener Kraft wieder geschaffen hatte.

 

Kapfenberg                                                                           Werner Augustinovic