Gerono, Anja, Das bayerische Notariat
Gerono, Anja, Das bayerische Notariat - Entstehung und Stellung in der Gesetzgebungsgeschichte des 19. Jahrhunderts (= Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung 97). Erich Schmidt, Berlin 2016. XVI, 263 S. Besprochen von Werner Schubert.
Eines der beiden Hauptthemen der Untersuchungen Anja Geronos ist die Stellung und Bedeutung des Notariats im Verlauf der Kodifikationsarbeiten zu dem Bürgerlichen Gesetzbuch des Deutschen Reiches. In diesem Zusammenhang spielte die weite Zuständigkeit der Notare nach Art. 14 des bayer.ischen Notargesetzes von 1861, der die notarielle Beurkundung aller Grundstücksveräußerungen und Grundstücksbelastungen verlangte, eine wichtige Rolle. Diese Regelung wollte die bayerische Regierung im Interesse der Aufrechterhaltung eines starken und lebensfähigen Notariats auch im BGB verankert wissen. Bevor Gerono auf diese Frage eingeht, befasst sie sich in den Kapiteln 2 und 3 mit den geschichtlichen Grundlagen des Notariats in Deutschland (S. 5ff.) und mit dem deutschen Notariat am Ende des 19. Jahrhunderts (S. 15ff.). Behandelt wird die Reichsnotarordnung von 1512, die Untergrabung des gemeinrechtlichen Notariats durch die partikulare Gesetzgebung insbesondere durch Preußen im 18. Jahrhundert und die Bedeutung des französischen Ventôse-Gesetzes von 1803 für die Rechtsentwicklung in Deutschland. In Kapitel 3 geht es zunächst um das Notariat in Preußen (im Rheinland Weitergeltung der Grundsätze des Ventôse-Gesetzes), Württemberg und Baden; im Mittelpunkt des Kapitel 3 steht die Entwicklung in Bayern. In der Rheinpfalz galt bis 1900 im Wesentlichen das Ventôse-Gesetz (S. 25f.), während im rechtsrheinischen Bayern das gemeinrechtliche Notariat 1807 „faktisch“ abgeschafft wurde (S. 28). 1851 lag den beiden Gesetzgebungskammern Bayerns der Entwurf einer Notarordnung vor, der an Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Kammern scheiterte. Erst die Notarordnung von 1861 führte in Bayern das hauptamtliche Notariat für die Gebiete rechts des Rheins nach französischem Muster ein, allerdings ohne dass die erstinstanzliche Disziplinargerichtsbarkeit den durch eine Verordnung von 1862 geschaffenen Notarkammern zu übertragen wurde. Mit Recht geht Gerono sodann breit auf die Entwicklung des Notariats unter der Geltung des Gesetzes von 1861 bis 1899 ein (S. 33ff.). Es werden untersucht die Besetzung der Notariatsstellen, die Zuständigkeit nach Art. 14 des Notariatsgesetzes und die schwierige Zusammenarbeit mit dem Hypothekenamt, das Einkommen der Notare, die Dienstaufsicht und die stete Diskussion über die Abschaffung des Notariats (hierzu S. 68ff.). Wichtigstes Standesorgan war der Deutsche Notariatsverein, der seinen Schwerpunkt in Süddeutschland, insbesondere in Bayern hatte. Der Notarverein setzte sich für eine Vereinheitlichung des Notarrechts ein, wozu er 1876 den Entwurf des bayerischen Notars Eduard Graf vorlegte (S. 79ff.). Die biografischen Hinweise auf die wichtigsten Persönlichkeiten des Notarvereins hätten ausführlicher sein können. Der Verein wurde 1899 von dessen Vorsitzenden aufgelöst (S. 96); die Nachfolge trat der im September 1900 gegründete Deutsche Notarverein an, der seit 1901 die „Zeitschrift des Deutschen Notarvereins“ herausgibt (S. 93). Ein gesamtbayerischer Notarverein kam erst 1901 zustande (S. 102).
Im Kapitel 4 über das „Notariat und die Kodifikation des BGB“ (S. 105-203) behandelt Gerono in voller Breite die Entstehung der für das Notariat relevanten Bestimmungen des BGB. Es werden dargestellt die Arbeiten der 1. BGB-Kommission, die Vorarbeiten im Reichsjustizamt, die Beratungen der 2. BGB-Kommission, des Bundesrats und des Reichstags sowie die Entstehung der für das Notariat relevanten Nebengesetze zum BGB (insbesondere der Grundbuchordnung). Behandelt werden auch die Arbeiten der bayerischen BGB-Kommission von 1881-1884, welche die Wünsche Bayerns u. a. zum Immobiliarsachenrecht beriet. Der Ausgangspunkt war für Bayern sehr ungünstig, da Preußen die Errungenschaften des Eigentumserwerbsgesetzes von 1873 unter allen Umständen beibehalten wollte. Hierzu gehörten die (abstrakte) Auflassung vor dem Grundbuchamt, die Formfreiheit des obligatorischen Veräußerungsvertrags sowie der grundstücksbelastenden Verträge. Erst in der Endphase der Beratungen der 1. BGB-Kommission konnte das bayerische Kommissionsmitglied Schmitt durchsetzen, dass die obligatorischen Grundstücksveräußerungsverträge der gerichtlichen oder notariellen Beurkundung unterliegen sollten. Die gleichzeitig beschlossene Heilungsmöglichkeit durch Eintragung des Eigentums in das Grundbuch lehnte er ab. Diese Regelung konnte Bayern auch in der Folgezeit nicht verhindern, zumal sie der von Bayern in die 2. BGB-Kommission entsandte Ministerialjurist Jacubezky für angebracht hielt. Lediglich als Vorbehalt in § 98 der Grundbuchordnung konnte Bayern durchsetzen, dass durch Landesgesetz sollte bestimmt werden können, dass das Grundbuchamt die Erklärung der Auflassung nur entgegennehmen soll, wenn die nach § 313 BGB erforderliche Urkunde vorgelegt würde. Ferner sollten für die Beurkundung von Rechtsgeschäften, die nach dem BGB gerichtlicher oder notarieller Beurkundung bedurften, entweder nur die Gerichte oder nur die Notare zuständig sein (Art. 141 EGBGB) und sollte die Auflassung auch vor einem Notar erklärt werden können (Art. 143 EGBGB). Mit der Zulassung des eigenhändigen Testaments durch den Reichstag „verkleinerte sich der Wirkungsbereich der Notare in einem wichtigen Punkt“ (S. 185), eine Frage, die Gerono nur knapp behandelt hat. Der Einfluss des selbständigen Notariats auf die Gesetzgebungsarbeiten war sehr gering, was vor allem daran lag, dass es an einer umfassenden, schlagkräftigen Standesorganisation fehlte. Auch von einzelnen Notaren kamen keine grundlegenden Äußerungen während des Gesetzgebungsverfahrens. Insgesamt ist es fast ausschließlich Bayern zu verdanken, dass das BGB und das EGBGB Regelungen enthielten, die eine „ausreichende Lebensgrundlage für das selbständige Notariat“ sicherten (S. 227f.). In Kapitel 6 befasst sich Gerono mit der bayerischen Gesetzgebung zur Umsetzung der Vorbehalte im bayerischen AGBGB, im AGGVG und im bayerischen Ausführungsgesetz zur Grundbuchordnung (S. 203ff.) sowie mit der Neuordnung des Notariats durch das Notargesetz von 1899 (S. 211ff.). Mit der Eingliederung der Notare in den „Staatsapparat“ haftete der Staat auch für schuldhafte Amtspflichtverletzungen des Notars. Die Dienstaufsicht, die bisher der Staatsanwaltschaft oblag, übertrug das Notargesetz von 1899 den Präsidenten der ordentlichen Gerichte (S. 218f.). Nach einer Schlussbetrachtung folgen ein Rechtsquellenregister, das weitgehend ein Sachregister ersetzt, und ein Personenregister.
Gerono hat schwerpunktmäßig die Praxis des bayerischen Notargesetzes von 1861 und die Einflüsse der bayerischen Staatsregierung und der bayerischen Mitglieder der BGB-Kommission auf das BGB, soweit es um die Beurkundungszuständigkeiten ging, untersucht. Insgesamt hätte die Entstehungsgeschichte der Notarordnung von 1861 (vgl. S. 24f.), der Notarkammerverordnung von 1862 sowie der Gesetze von 1898-1900 etwas ausführlicher sein sollen. Da ein Ausblick auf die weitere Entwicklung fehlt, sei zunächst darauf hingewiesen, dass durch eine Verordnung vom 1. 3. 1918 die Vereinigten Notarkammern geschaffen wurden, bei denen bald der Schwerpunkt der Organisation der bayerischen Notare lag. 1925 wurden eigene Notardisziplinarkammern eingerichtet, in denen auch Notare vertreten waren. Unter dem aus Bayern kommenden Reichsjustizminister Franz Gürtner erging die Reichsnotarordnung von 1937, die das Notarrecht vereinheitlichte. Durch eine Verordnung vom 12. 5. 1934 über Auflassungen wurde die bayerische Regelung auf das ganze Reich übertragen: „Auflassungen können in allen Ländern des Reichs außer vor dem Grundbuchamt oder einer sonst nach Landesrecht zuständigen Stelle auch vor einem Notar erklärt werden. Dies gilt auch für Grundstücke, die außerhalb des Amtsbezirks des Notars oder des Landes, von dem er bestellt ist, liegen“ (RGBl. I 1934, 378). Ferner wurde bestimmt, dass die Erklärung einer Auflassung nur entgegengenommen werden sollte, „wenn die nach § 313 BGB erforderliche Urkunde vorgelegt oder rechtzeitig errichtet wird“. Diese Regelungen wurden 1953 in das BGB eingefügt (vgl. §§ 925, 925 a BGB n. F.). Seit dem Beurkundungsgesetz von 1969 ist, wie in Bayern seit 1861, nach § 313 BGB Fassung von 1973) für die Beurkundung der Verpflichtung zur Veräußerung des Grundeigentums nur noch der Notar zuständig.
Insgesamt liegt mit den Untersuchungen Geronos ein wichtiges, immer gut lesbares Werk zur Geschichte des bayerischen Notarrechts für das 19. Jahrhundert einschließlich der notariellen Zuständigkeiten vor allem im Grundstücksrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs vor, das noch eine Fortsetzung für das 20. Jahrhundert finden sollte.
Kiel
Werner Schubert