Meier, Anke, Die Geschichte des deutschen Konkursrechts, insbesondere

die Entstehung der Reichskonkursordnung von 1877 (= Rechtshistorische Reihe 268). Lang, Frankfurt am Main 2003. XI, 230 S. Besprochen von Wolfgang Forster. ZRG GA 121 (2004)

Meier, Anke, Die Geschichte des deutschen Konkursrechts, insbesondere die Entstehung der Reichskonkursordnung von 1877 (= Rechtshistorische Reihe 268). Lang, Frankfurt am Main 2003. XI, 230 S.

 

Die 1999 in Kraft getretene Insolvenzordnung hat unter Zusammenführung von Konkurs und Vergleich die Rechtseinheit von alten und neuen Bundesländern hergestellt. Mit ihr hat das deutsche Insolvenzrecht auch terminologisch mit der Reichskonkursordnung von 1877, der „Perle der Reichsjustizgesetze“ (1 mit Zitat Uhlenbruck), gebrochen. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist, „die Entstehungsgeschichte der Reichkonkursordnung darzustellen sowie ihren Verlauf zu erklären und zu begründen.“ (2) Dazu greift die Verfasserin insbesondere auf die Auswertung unveröffentlichten Archivmaterials (V) zurück.

 

Auf diese kurze Zielbestimmung folgt etwas unvermittelt eine Darstellung der Geschichte des europäischen Konkursrechts schlechthin (3-85) mit den Stationen des römischen Rechts, des italienischen Statutarrechts, des spanischen Rechts sowie der Rechtsentwicklung in Deutschland bis zur preußischen Konkursordnung von 1855 (35-85). Dazu verwertet die Autorin umfassend die einschlägige Literatur, die vorwiegend aus dem 19. Jahrhundert stammt. Die Darstellung bewegt sich dabei ganz in den Bahnen von Josef Kohlers Ausführungen in seinem „Lehrbuch des Konkursrechts“ (1891) und seinem „Leitfaden des Deutschen Konkursrechts“ (2. Auflage 1903). Dabei beruht diese Übereinstimmung wohl weniger auf direkter Abhängigkeit als auf dem enormen Einfluss, den Kohlers Darstellung gewinnen konnte. Dieser erklärt sich aus seiner materialreichen, mit der griffigen Dichotomie von gläubigerautonomen und obrigkeitlichem Verfahren durchgeführten und auf fassliche Rechtskreise (Italien, Spanien, Niederlande, Frankreich) zugeschnittenen Darstellung. Ihrer suggestiven Kraft konnten sich die nachfolgenden Autoren kaum entziehen (vgl. zum Beispiel 27 mit Fn. 200). Besonders ärgerlich ist es daher aber, dass in den Belegen teilweise bei richtiger Seitenangabe Kohlers „Leitfaden“ statt des Lehrbuchs angegeben wird (43 Fn. 305, 47 Fn. 328 - die belegte Stelle bestätigt die Aussage i. ü. nur für Freiburg, Fn. 333, 48 Fn. 342, 345, 49 Fn. 348, 350 - dort ist auch die S. falsch angegeben, 50 Fn. 358, 364, 51 Fn. 369, 372 - dieser Beleg gehört wohl zur vorhergehenden Fn., 52 Fn. 384, 55 Fn. 402, 404, 56 Fn. 411, richtig 57 Fn. 419, falsch wieder 58 Fn. 421, richtig 60 Fn. 441f. und 61 Fn. 456).

 

Insgesamt präsentiert sich der erste Teil als durchaus nützlicher Précis der Lehrbuchliteratur, bei dem aber auch Missverständnisse unterlaufen, etwa dass mit der missio in bona des römischen Rechts die Inhaftierung des Schuldners verbunden gewesen wäre (15, richtig 7). Die Orientierung an den von Kohler vorgegebenen und in der weiteren Literatur übernommenen Kategorien führt auch zu irreführenden Ausdrücken wie „Tradition des italienischen Liberalismus und der Gläubigerautonomie“ (62). Allerdings hat die Verfasserin hier wohl ungewollt offen gelegt, aus welchen Wertungen sich Kohlers Darstellung speist. Sie entgeht leider auch nicht der - mit einem einschlägigen Juristenlexikon leicht vermeidbaren - Falle, den spanischen Juristen Salgado de Somoza als „Samoza“ zu schreiben (26, 28). Dieser Schreibfehler findet sich auch bei Kohler, geht aber über Wolfgang Heinrich Puchta, den Vater des bekannten Georg Friedrich Puchta, schon auf Christoph von Dabelows „Versuch einer ausführlichen systematischen Erläuterung der Lehre vom Concurs der Gläubiger“ (Halle 1792/95) zurück.

 

In einem zweiten Abschnitt (86-114) wird die nach französischem Vorbild (86-91) gestaltete preußische Konkursordnung von 1855 behandelt, wobei weniger deren Entstehung als der Inhalt des französischen Rechts, dieser Konkursordnung und die Unterschiede zum gemeinen Recht im Mittelpunkt stehen.

 

Der dritte größere Abschnitt ist der noch als Gesetz des Norddeutschen Bundes konzipierten Reichskonkursordnung von 1877 gewidmet (115-201). Dazu hat die Autorin, neben den von Hahn veröffentlichten Materialien, weitere Quellen erschlossen (117ff.) Sie nimmt damit eine Anregung Jürgen Thiemes auf, dessen Plan einer entsprechenden Aktenedition sich nicht verwirklicht hat, so dass die Reichskonkursordnung, im Gegensatz zu Rechtsanwaltsordnung, Gerichtsverfassungsgesetz, Civil- und Strafprozeßordnung, zu denen die Quelleneditionen von Werner Schubert und Jürgen Regge vorliegen, das einzige der Reichsjustizgesetze ist, dessen Quellen nicht umfassend dokumentiert sind. Zum einen handelt es sich um 14 Aktenbände aus dem Reichskanzleramt, auf die Jürgen Thieme 1977 in der Festschrift zum einhundertjährigen Bestehen der Konkursordnung aufmerksam gemacht hat, als diese noch im „Deutschen Zentralarchiv“ in Potsdam gelagert waren.. Diese Bände umfassen auch die Akten des Bundesrats, für den keine eigener Bestand gebildet wurde (116). Sie befinden sich nunmehr im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde. Zum anderen hat die Autorin die ebenfalls von Thieme genannten Akten des preußischen Justizministeriums ausgewertet, die im Geheimen Staatsarchiv in Berlin-Dahlem aufbewahrt werden (119). In beiden Aktenbeständen befinden sich Materialien aus der Phase vor der Einbringung des Bundesratsentwurfs in den Reichstag im Januar 1875, die durch die veröffentlichten Materialien nicht abgedeckt wird (115). Thiemes Aufsatz mit seiner kritischen Betrachtung des preußischen Einflusses auf das Gesetzgebungsverfahren bildet im übrigen auch erkennbar die Folie für die weiteren Ausführungen der Verfasserin.

 

Im preußischen Justizministerium wurde 1870-1873 ein Entwurf erarbeitet, der, unter Reduzierung des Regelungsumfangs und Vereinfachung des Verfahrens, inhaltlich weitgehend auf der preußischen Konkursordnung von 1855 fußte (146-152). Die Akten des preußischen Justizministeriums enthalten allerdings keine Informationen zur Struktur des geplanten Gesetzes oder zu einzelnen Problemen (136). Entsprechend geschieht die inhaltliche Analyse dieses Konkursrechtsentwurfes, der bis zur Umbenennung zu Beginn der Kommissionsberatungen 1874 (169) den Titel „Deutsche Gemeinschuldordnung“ trug, auch nahezu vollständig an Hand einer zeitgenössischen Veröffentlichung (140-146). Der Vergleich mit der preußischen Konkursordnung von 1855 wird an Hand der veröffentlichten Motive zur Gemeinschuldordnung durchgeführt (146-151). Die in den Akten im Geheimen Staatsarchiv enthaltenen Gutachten, die vom preußischen Justizministerium eingeholt worden waren, erlauben jedoch eine detaillierte Analyse der Reaktionen auf den Entwurf (152-159).

 

Auch die unveröffentlichten Protokolle der vom Bundesrat eingesetzten Sachverständigenkommission stellen sich als solche unergiebig dar, da sie nur den Wortlaut der Anträge und das entsprechende Abstimmungsergebnis enthalten (165f.). Jedoch kann die Verfasserin diese Protokolle mit den erhaltenen Änderungsanträgen der Kommissionsmitglieder korrelieren, deren Urheber jeweils bekannt ist (166f.). Damit untersucht sie, nach Darstellung der Änderungen durch die Kommission (168-174), die Kommissionsarbeit einzelner Mitglieder bzw. Gruppen von ihnen und versucht Rückschlüsse auf deren Abstimmungsverhalten. Dabei kommt sie insbesondere zu dem Ergebnis, dass die Änderungen der Kommission zwar umfangreich, aber nicht fundamental waren und die Leitlinien des Entwurfes beibehalten wurden sowie dass eine Dominanz Preußens in der Kommission zwar bestand, aber nicht ausgenutzt wurde (162f., 182f.). Andererseits wurden aber die im Entwurf der Deutschen Gemeinschuldordnung noch vorgesehenen Vorschriften über den konkursabwendenden Vergleich - im Gegensatz zum durch Urteil bestätigten Zwangsvergleich - im Kommissionsentwurf der Reichskonkursordnung gestrichen (168, 174), was als einer der wenigen grundsätzlichen Fehlentscheidungen bei der Entstehung der Reichskonkursordnung gilt (204). Doch gerade dazu findet sich in den Archivmaterialien nichts, so dass vermutet werden muss, die Entscheidung hierfür wäre außerhalb der Kommission gefallen (174). Dies kann wohl nur in der im Reichskanzleramt eingerichteten „Redaktion“ geschehen sein, welche die Kommissionsarbeit begleitete und die Schnittstelle zwischen Kommission und preußischem Justizministerium gebildet zu haben scheint (165). Damit ist die Behauptung, die Redaktion habe nur äußere Gestalt und Sprachgebrauch des Gesetzentwurfes beeinflusst (180f., 183), aber widerlegt. Als problematisch zeigt sich hier, dass diese „Redaktion“ nur unter dem Aspekt der gesetzgeberischen Arbeitstechnik betrachtet wird (165). Nur kurz deutet die Verfasserin an, dass ihr auch eine Überwachungsfunktion zukam (183), sonst ist sie der Auffassung, das Konfliktpotential zwischen „Redaktion“ und Sachverständigenkommission sei gering gewesen (180f.).

 

Es stellt sich die Frage, ob es nicht Erfolg versprechender gewesen wäre, neben der Abfolge der einzelnen Verfahrensschritte stärker die am Gesetzgebungsvorgang beteiligten Institutionen und Interessengruppen zu untersuchen, insbesondere das während dieser Zeit sich aus dem Bundeskanzleramt entwickelnde Reichsjustizamt.[1] Die Ergebnisse aus dem neu untersuchten Aktenmaterial beschränken sich nunmehr darauf, dass die These entkräftet wird, Preußen habe gezielt das Reichsgesetz zu dominieren versucht sowie auf den Befund, dass die Reichskonkursordnung in sorgfältiger Arbeit entstand (210). Eine stärkere Fokussierung hätte vermutlich eine intensivere Auswertung der unveröffentlichten Materialien erlaubt als der Ausgang von Zwölftafelgesetz (3).

 

Die Arbeit schließt, nach Darstellung der Behandlung im Bundesrat anhand der im Bundesarchiv gelagerten Akten (183-187) sowie der Behandlung im Reichstag (187-196) mit einer gelungenen Kurzdarstellung der weiteren Entwicklung einschließlich der Insolvenzordnung (202-208). Dass diese schon vor ihrem Inkrafttreten geändert wurde, zeigt, wie die Autorin treffend bemerkt (208), dass das Konkursrecht stets auf bereits aufgetretene Missstände reagieren muss. Im recht raumgreifend gestalteten Literaturverzeichnis fällt auf, dass das Adelsprädikat „von“ als Nachnamensbestandteil behandelt wird (227-229).

 

Insgesamt kann die Arbeit den im Titel formulierten Anspruch nicht ganz einlösen, da sie sich zwischen eben den beiden Elementen ihres Titels nicht entscheidet und keinen wirklichen Schwerpunkt setzt. Insbesondere unter Hinzunahme des genannten Aufsatzes Thiemes ist mit ihrer Hilfe der Leser aber nun in der Lage, einen detaillierten Einblick in die die innere und äußere Entstehungsgeschichte der Reichskonkursordnung zu gewinnen. Abgesehen davon spricht sie zahlreiche hoch interessante Einzelheiten an (zum Beispiel die Abhängigkeit der Einführung der Konkursordnung von 1855 von einer vorhergehenden Vereinheitlichung des Hypothekenrechts, 93f.). Darüber hinaus hat dieses Werk mit der Aufschließung der bislang unveröffentlichten Quellen eine große Lücke geschlossen, welche die Entstehungsgeschichte der Reichsjustizgesetze insgesamt betrifft.

 

München                                                                                                        Wolfgang Forster

[1] Vgl. dazu Schulte-Nölke, Hans, Das Reichsjustizamt und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Frankfurt 1995, S. 7-22, besonders S. 13 mit Hinweis auf die Aufsatzserie von Endemann, Die Entwickelung der Justizgesetzgebung des Deutschen Reiches, in: Annalen des Deutschen Reiches für Gesetzgebung, Verwaltung und Statistik, Jahrgänge 1872-1881.