Alma mater antisemitica
Alma mater antisemitica, Akademisches Milieu, Juden und Antisemitismus an den Universitäten Europas zwischen 1918 und 1939, hg. v. Fritz, Regina/Starek, Jana/Rossoliński-Liebe, Grzegorz (= VWI Workshop 1). New Academic Press, Wien 2015. 328 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Zwei der drei Herausgeber beginnen ihre instruktive Einleitung des vorliegenden Sammelbands mit dem Hinweis darauf, dass die Regierung des 1918 aus der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn entstandenen Staates Ungarn an dem 26. September 1920 ein Gesetz verabschiedete, das die Zahl der jüdischen Studenten auf sechs Prozent reduzierte. Dieses Regelwerk war nach ihren Worten das erste antijüdische Gesetz in Europa nach dem ersten Weltkrieg, dem bis 1945 viele Regelungen folgten, die Jüdinnen und Juden in mehreren europäischen Ländern aus den Universitäten und aus dem gesamten gesellschaftlichen Leben schrittweise ausschlossen, wobei die Forderungen nach gesetzlich diskriminierenden Schritten gegen Juden vor allem von radikalen Studentenverbindungen und Kameradschaftsverbänden sowie antisemitischen Professoren und Dozenten kamen. Daraus entspringende Fragen wie etwa danach, wie weit der Antisemitismus und andere Formen des Rassismus innerhalb des akademischen Milieus bzw. eines Staates ideologisch und institutionell in der Zwischenkriegszeit tatsächlich verankert waren, bildeten die Ausgangspunkte eines von dem Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien in Wien unter dem späteren Buchtitel im Juni 2012 veranstalteten Workshops, dessen Ergebnisse der vorliegende eines Registers entbehrende Sammelband der Allgemeinheit zur Verfügung stellt.
Insgesamt enthält das aufrüttelnde Werk nach der Einleitung vierzehn Beiträge in fünf Abschnitten. Sie beginnen nach Aspekten einer erschreckenden Beziehung zwischen Universität und Nationalsozialismus mit den Wurzeln des rumänischen Faschismus in antisemitischen Studentenbewegungen und enden als Ausblick auf transnationale Verflechtungen mit dem Verhältnis zwischen amerikanischen Universitäten und dem nationalsozialistisch geprägten Deutschland. Einbezogen sind dabei vor allem Polen, Ungarn, Österreich, Jugoslawien („Von Antisemitismus an der Universität kann keine Rede sein“) und Italien, wobei die verschiedenen Studien neben den Trägern, Formen und Motiven des universitären Antisemitismus auch die dadurch hervorgerufene Gegenwehr ansprechen.
Für Österreich berichtet in diesem Rahmen beispielsweise Klaus Taschwer über die fast hundert Jahre unaufgedeckte Geheimsache Bärenhöhle, mittels deren die sämtliche Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften umfassende philosophische Fakultät der Universität Wien ab 1922/1923 unter Führung des Paläobiologen Othenio Abel in einer Zweckkoalition christlichsozialer und deutschnationaler Wissenschafter mittels Zusammenkünften in dem mit Funden aus der Drachenhöhle bei Mixnitz geschmückten Seminarraum im Hauptgebäude der Universität „eine Vielzahl von Habilitationen und Berufungen jüdischer und linker Wissenschafterinnen und Wissenschaftern scheitern ließ“, nachdem infolge Zuzugs aus dem Osten der Anteil der jüdischen Hörerinnen und Hörer vom Studienjahr 1914/1915 bis zu dem Studienjahr 1920/1921 von 31,54 Prozent auf 42,15 gestiegen war und in der Zwischenzeit höchstwahrscheinlich sogar mehr als 50 Prozent betrug, obwohl der jüdische Anteil an der Gesamtbevölkerung nur bei rund 10 Prozent lag (Anteil jüdischer Vortragender an dem Lehrkörper der Universität Wien 1910 rund 40 Prozent, erste verhinderte Habilitation 1923 Physiker Horovitz, den Bärenhöhle Teilnehmern gehörten neben Abel der Historiker Hans Uebersberger, der Historiker Heinrich von Srbik, der Prähistoriker Oswald Menghin, der Anthropologe und Sprachwissenschafter Viktor Christian, Carl Ludwig Patsch, Wilhelm Bauer, Gustav Turba, Rudolf Geyer, Hermann Junker, Friedrich von Kraelitz, Dietrich Kralik, Robert Lach, Anton Pfalz, Robert Reiniger sowie Wilhelm Czermak und Richard Meister, wobei mindestens zwölf Mitglieder auch des 1908 gegründeten Deutschen Klubs und mindestens 17 von 18 Bärenhöhle-Teilnehmern auch Mitglieder der Akademie der Wissenschaft waren, 1918-1934 an der philosophischen Fakultät in Wien 173 gelungene und 13 offiziell gescheiterte Habilitationen). Im Übrigen weist der Verfasser abschließend darauf hin, dass man in der Bildungs- und Hochschulpolitik in Österreich 1945 (vor allem dank Wilhelm Meister) da weitermachen konnte, wo man nach dem „Anschluss“ 1938 nicht wirklich neu anfangen musste.
Innsbruck Gerhard Köbler