Späte Hexenprozesse
Späte Hexenprozesse. Der Umgang der Aufklärung mit dem Irrationalen, hg. v. Behringer, Wolfgang/Lorenz, Sönke/Bauer, Dieter R. (= Hexenforschung 14). Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 2016. X, 429 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Der Weg des Menschen durch die Zeit ist durch die unterschiedlichsten Gedanken und Handlungen gekennzeichnet, die teils Vorteile, teils aber auch Nachteile mit sich brachten. Auf einer Verlustliste der Unmenschlichkeit ganz oben stehen dabei die Hexenprozesse, in denen Verfolgte und Angeklagte durch ihre Umwelt auf Grund von Wahnvorstellungen angegriffen, gemartert, gepeinigt und vielfach hingerichtet wurden. Wie die Anfänge dieser Grausamkeit, so sind auch ihre späten Ausläufer von besonderem Interesse, dem der vorliegende aufschlussreiche Sammelband eindrucksvoll dient.
Im Eingang des Werkes berichten Wolfgang Behringer und Sigrid Hirbodian über das Institut für geschichtliche Landeskunde an der Universität Tübingen, das vor allem unter Sönke Lorenz zusammen mit Dieter R. Bauer über mehr als 20 Jahre der historischen Hexenforschung eine sichere Heimat bot, aus der heraus die ersten zwölf Bände der Publikationsreihe Hexenforschung veröffentlicht werden konnten. Nach dem Tode Sönke Lorenz‘ am 8. August 2012 wurde einvernehmlich beschlossen, dass die Betreuung der einschlägigen Homepage und die Herausgabe der Reihe Hexenforschung fortan unter Führung Wolfgang Behringers an der Universität des Saarlandes erfolgen soll. Dadurch konnte die Veröffentlichung des vorliegenden Sammelbands erfolgreich verwirklicht werden.
Er umfasst insgesamt 21 detaillierte Einzelstudien mit zahlreichen weiterführenden Einsichten. Sie betreffen die späten Hexenprozesse als Pfahl im Fleisch der Aufklärung und die Gefahren der Leugnung des Teufels im Allgemeinen sowie Prozesse in Düsseldorf 1737/1738, gegen Katharina Reitterin aus Eglofs 1743, in der Reichsabtei Marchtal (1745-1757), in Endingen gegen Anna Trutt von 1751, gegen Anna Maria Schwägelin in der Fürstabtei Kempten 1775, gegen Anna Göldi, in der Schweiz 1780-1782, in der Innerschweiz im 18. Jahrhundert, in den böhmischen Ländern und auf dem Gebiet der heutigen Slowakei, in Polen in dem Zeitalter der Aufklärung, in Ungarn und in Siebenbürgen zwischen 1740 und 1848 sowie Entwicklungen in dem Kirchenstaat, in Russland, in China, in Afrika und vor amerikanischen Inquisitionstribunalen. Am Ende dokumentiert Wolfang Behringer für die Nachwelt auf mehr als sechzig Seiten wohl mehr als 500 letzte Hinrichtungen zwischen 1700 und 1911 als beschämende Zeugnisse der Schwäche der Aufklärung gegenüber der aggressiven Gewaltbereitschaft vieler einzelner Verirrter und Verwirrter.
Innsbruck Gerhard Köbler