Killermann, Stefan, Die Rota Romana

. Wesen und Wirken des päpstlichen Gerichtshofes im Wandel der Zeit (= Adnotationes in Ius Canonicum 46). Lang, Frankfurt am Main 2009. XIX, 671 S., zahlr. Abb. und Tab. Besprochen von Sascha Weber.

Killermann, Stefan, Die Rota Romana. Wesen und Wirken des päpstlichen Gerichtshofes im Wandel der Zeit (= Adnotationes in Ius Canonicum 46). Lang, Frankfurt am Main 2009. XIX, 671 S., zahlr. Abb. und Tab. Besprochen von Sascha Weber.

 

Die Rota Romana, der wichtigste päpstliche Gerichtshof, wurde 1908 von Papst Pius X. wiedergegründet und ist heute durch die führende Rolle bei Ehesachen bekannt. Die letzten großen Gesamtdarstellungen zur Geschichte der Rota sind rund hundert Jahre alt und entsprechen nicht mehr dem gegenwärtigen Forschungsstand. In den vergangenen Jahrzehnten wurden wichtige Erkenntnisse zu verschiedenen Aspekten und Abschnitten der Gerichtsgeschichte gewonnen. Dabei befasst sich die neuere Literatur zur Rota hauptsächlich mit Verfassungsfragen und Verfahrensfragen sowie den Ergebnissen ihrer Rechtsprechung. In der Forschung klaffte daher lange eine Lücke zum Wesen und Wirken der Rota in der Geschichte. Vor allem die Entwicklungen nach 1908 wurden in der Forschung kaum berücksichtigt.

 

Bei der hier vorliegenden Studie handelt sich um eine Weiterentwicklung und Aktualisierung der kirchenrechtlichen Dissertation des Verfassers aus dem Jahre 1995. Die Arbeit basiert auf einem gründlichen Studium von Literatur und Quellen und enthält zahlreiche Zitate aus bisher unveröffentlichten vatikanischen Quellen. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf dem 19. und 20. Jahrhundert. Vorangestellt sind aber drei Kapitel zur historischen Entwicklung der Rota von den Ursprüngen des päpstlichen Gerichtswesens im ersten Jahrhundert bis zum Niedergang der Rota in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Das letzte Kapitel, zur Revision der Gesetzesgrundlagen unter Papst Johannes Paul II., reicht mit dem Jahre 2005 bis nah an die Gegenwart heran.

 

Stefan Killermann ist Domkapitular und Offizial der Diözese Eichstätt und arbeitete dreizehn Jahre an der Rota und kennt das Gericht aus der Praxis. Es ist ein großer Vorteil für die Arbeit, dass Killermann um die Struktur und Rechtspraxis weiß und ein genauer Kenner des Gerichts ist, auch wenn damit zwangsläufig eine gewisse Sympathie des Autors mit dem Untersuchungsobjekt einhergeht, die sich etwa in der teleologischen Kapitelstruktur wiederfindet: Entstehung, Erstarkung, Schwächung, Unterbrechung, Erneuerung, Anpassung und Vervollkommnung.

 

Killermann geht der Frage nach der Stellung des päpstlichen Gerichtshofs in der Geschichte und in der Gegenwart nach. Es interessieren ihn der eigentliche Auftrag und Zweck der Rota sowie die in den verschiedenen Epochen tatsächlich ausgefüllten Funktionen.

 

Die Ursprünge der Rota sieht der Verfasser in den Anfängen der Papstgeschichte. Bereits im ersten Jahrhundert wurden gesamtkirchliche Fragen an die römischen Bischöfe herangetragen. Die geistliche Jurisdiktion wurde bis ins Hochmittelalter von den Päpsten meist persönlich oder durch Stellvertreter ausgeübt. Seit dem 11. Jahrhundert kam es immer häufiger zu Appellationen an den Papst, was sich im 12. Jahrhundert noch weiter verstärkte und am Ende des 12. Jahrhunderts zu einer Neuorganisation des päpstlichen Gerichtshofes mit fester Etablierung der Auditoren führte. 1331 folgte dann die offizielle Einrichtung der Rota als oberster geistlicher Gerichtshof.

 

Im Übergang vom Spätmittelalter zur Neuzeit durchlebte dieser eigentlich rein geistliche Gerichtshof viele Wandlungen durch die Zuweisung neuer Aufgaben und Änderungen von Zuständigkeiten. Am Ende des 15. Jahrhunderts erfolgte die Ausweitung der Rota zum weltlichen Berufungsgericht für den Kirchenstaat.

 

Im weiteren Verlauf der Neuzeit erlitt die Rota dann jedoch immer stärkere Einschränkung ihrer Kompetenzen, etwa durch die Einrichtungen von Kurienkongregationen, bis ihr schließlich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts fast alle Kompetenzen bis auf die weltliche Gerichtsbarkeit im Kirchenstaat entzogen wurde, die mit Ende des Kirchenstaats 1870 ihre Bedeutung verlor.

 

In der Zeit der Unterbrechung von 1870 bis 1908 bestand die Rote zwar de jure fort, hatte aber keine Kompetenzen mehr und stellte ihre Aktivitäten vollständig ein. Eine Wiederbelebung und Neuausrichtung konnte aber nur im Rahmen einer umfassenden Kurienreform geschehen, die erst unter Papst Pius X. umgesetzt werden konnte. Die dort vollzogene Wiedergründung und Neuausrichtung der Rota wurde von den Konzilsvätern des Zweiten Vatikanischen Konzils bestätigt. Aufgaben und Funktionen wurden in den Jahren nach dem Konzil mit dem Codex Iuris Canonici noch weiter präzisiert.

Killermann kommt zu dem Ergebnis, dass die heutige Rota konzipiert ist, um den gegenwärtigen Bedürfnissen gerecht zu werden, in Verfassung und Praxis aber auf den Entwicklungen seit dem Mittelalter aufbaut. „Alte“ und „Neue“ Rota sind für ihn bei aller Verschiedenheit nicht voneinander zu trennen. So etwa durch die unveränderte Rolle der Auditoren als stellvertretende oberste Richter der Gesamtkirche. Die Rota war und ist durch ihre herausgehobene Stellung in der kirchlichen Gerichtshierarchie, als oberstes Berufungsgericht, maßgeblich und hatte und hat einen großen Einfluss auf die Entwicklung der katholischen Kanonistik.

 

Die Entwicklung der Rota im 20. Jahrhundert zu einem fast reinen Ehegericht steht vor allem im Zusammenhang mit der zunehmenden Beschränkung der geistlichen Jurisdiktion auf diesen Bereich. Als einen wichtigen Grund für den Niedergang der Rota im 19. Jahrhundert sieht der Verfasser die immer häufigere Zuweisung von weltlichen Verfahren in Mittelalter und Neuzeit, die sich für den eigentlich kirchlichen Gerichtshof nachteilig auswirkte. Daher wertet er es als positiv, dass sie 1908 als rein geistliches Gericht wiedergegründet wurde, um ihrer eigentliche Aufgabe wieder nachzukommen. Insgesamt erscheint die Entwicklung der Rota vielfach als ein Spiegelbild der allgemeinen Geschichte von Kirche und Papst mit ihren jeweiligen Höhen und Tiefen.

 

Abgerundet wird das Buch mit den im Anhang enthaltenen Listen der Auditoren und Dekane (mit Abbildungen) seit 1908. Darüber hinaus erleichtern drei Register, ein Canonesverzeichnis, ein Incipitverzeichnis und ein Stichwortverzeichnis, die Arbeit mit diesem vor allem für Studierende hilfreichen, aber auch für weitere Forschungen grundlegenden Werk.

 

Gießen                                                           Sascha Weber