Schwabenspiegel-Forschung im Donaugebiet
Schwabenspiegel-Forschung im Donaugebiet, hg. v. Balogh, Elemér (= Ius-Saxonico-Maideburgense in Oriente 4). De Gruyter, Berlin 2015. VII, 449 S., 6 Abb. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.
Im vorliegenden Sammelwerk sind die Erträge zweier Tagungen zum Schwabenspiegel (2008 und 2012) in Szeged/Ungarn zusammengefasst, welche der Lehrstuhl für Europäische Rechtsgeschichte veranstaltet hat. Obwohl die ersten sechs Beiträge bereits 2008 in Ungarn veröffentlicht worden sind, ist es eine begrüßenswerte Entscheidung des Herausgebers, die Beiträge, zumal sie von den Autoren redaktionell bearbeitet werden konnten, erneut zu drucken. Beide Tagungen gingen einher mit dem Vorhaben, den Sachsenspiegel und auch den Schwabenspiegel in die ungarische Sprache zu übertragen. Neid erregen kann die Tatsache, dass noch jetzt in der juristischen Universitätsausbildung in Ungarn die Geschichte des Rechts, und damit auch des mittelalterlichen Rechts, einen festen Platz hat. Die Vermittlung der Kenntnis des Sachsenspiegels und anderer Grundlagen ist dort aus dem Studium noch nicht wegreformiert worden.
Den Reigen der Beiträge beginnt G. Benyik mit ‚Einflüsse der Bibel auf den Schwabenspiegel‘ (S. 5-11). Leider folgt keine Suche nach Vorlagen, wie sie Guido Kisch in seiner Arbeit zum Sachsenspiegel (1941, 1960) detailreich erarbeitet hat. Soweit in diesem Beitrag zu Berthold von Regensburg Aussagen getroffen werden, erreichen sie nicht Ludwig Rockingers 1877 und 1906 publizierte Forschungsergebnisse. L. Blazovich (S. 13-24) zeigt auf, dass nur eine geringe Grundlage für die Textüberlieferung besteht, zwei Handschriften des Schwabenspiegels und drei Handschriften des Ofner Stadtrechts sind der Ausgangspunkt für weitreichende Überlegungen. Schon bei der Einbeziehung der Handschriften des Zipser Rechts ist zu beachten, dass sie deutlich jünger sind. Für die Zeit zwischen 1280 und 1400 stehen damit nur wenige Textzeugen zur Auswertung an. Aus den Beständen der Städte sind aus zeitgeschichtlichen Gründen leider auch nur wenige Zeugen der rechtstatsächlichen Anwendung verfügbar. Diese beschränkte Überlieferung sollte vor einer zu weitgehenden Wertung der Textzeugen warnen. In seinem weiteren Beitrag (S. 101-126) wendet sich Blazovich dem Erbrecht in den mittelalterlichen Rechtsbüchern und in Stadtrechten bis in das 16. Jahrhundert zu. Es führt ihn zu dem Schluss, dass Stadtbürger unter einem Stadtherren zu weiter reichenden Rechten gelangten als die Bewohner von Marktflecken. Heinz Holzhauer (S. 25-34) bringt in einer Kurzauswahl Gedanken zum Eherecht, Erbrecht und Strafrecht des Schwabenspiegels, bei denen er schon in der Einleitung darauf hinweist, dass er kein Spezialist des Schwabenspiegels ist. Daraus ist erklärbar, dass er (S. 29 Anm. 18)) das zweite Augsburger Stadtrecht auf 1376 setzt, das K. A. Eckhardt schon 1927 in seinen Rechtsbücherstudien, 1. Heft, S. 133, mit guten Gründen auf 1275, allenfalls 1276 datierte. Bernd Kannowski führt in das Beweisrecht des Schwabenspiegels (S. 35-48) ein, dessen zentrale Bedeutung er zeigt, und knüpft dabei an Gedanken an, die Hans Schlosser in seinen Arbeiten zum Rechtsbuch Kaiser Ludwigs des Bayern in ähnlicher Weise dargelegt hat. Kannowskis Ausführungen sollten dazu anregen, die Vorgehensweise beider Quellen vergleichend zu untersuchen. Bei der zweiten Tagung hat Kannowski sich dann ausführlich den ‚Tieren im Schwabenspiegel‘ (S. 191-218) zugewandt und stellte dabei ihre Bedeutung für das Leben im Mittelalter heraus. Sein Beitrag ist mit Bildern aus der einzigen illuminierten Handschrift des Schwabenspiegels ausgestattet. Eine überaus wertvolle Zusammenstellung der Artikel des Schwabenspiegels, die Schäden durch Tiere, Schäden an Tieren und das Eigentum an Tieren behandeln lädt zu einem Vergleich mit anderen mittelalterlichen Rechtsquellen ein. Die umfangreichen Forschungen zur Königswahl bereichert Peter Landau um ‚die Königswahl vom Sachsenspiegel zum Schwabenspiegel‘ (S.49-55), bei der er auch die Regelungen des Deutschenspiegels einbezieht. In seiner Auseinandersetzung mit den Regelungen in den einzelnen Überlieferungsformen des Schwabenspiegels bezieht Landau zahlreiche Editionen Karl August Eckhardt ein. Er unterscheidet sich damit wohltuend von anderen Autoren des Sammelbandes, die nach der wenig gelungenen, aber in Bibliotheken weit verbreiteten, Laßberg-Edition (1840) zitieren und neuere Editionen kaum heranziehen. Landau zieht den Schluss, dass der Schwabenspiegel zum ersten Mal ein rational klar geordnetes Königswahlrecht bietet, das dem kanonischen Recht folgt. ,Kohärenzen, Parallelen, Divergenzen – Sachsenspiegel und Schwabenspiegel im Vergleich‘ (S. 57-71) behandelt Heiner Lück in seinem überaus anregenden Beitrag. Der Überblick über die Forschung zu den beiden Rechtsbüchern lässt erkennen, dass die im Vordergrund stehende Forschung zum Sachsenspiegel große Impulse aus den Drucken der Bilderhandschriften und ihren Begleitbänden erfahren hat. Demgegenüber waren die zahlreichen Editionen unbebilderter Handschriften des Schwabenspiegels weniger spektakulär. Ihm galten indes verschiedene sprachgeschichtliche Untersuchungen. Ein besonderes Problem beider Rechtsbücher, auf das Lück hinweist, ist die Anzahl der Textzeugen. In der Literatur ist der Versuch gemacht, alle Hinweise auf Textzeugen zu finden. Hierbei ist es gerade für Handschriften, die nur aus Erwähnungen im 17. oder 18. Jahrhundert bekannt sind, unsicher, ob sie nicht doch mit erhaltenen Handschriften übereinstimmen. Soweit es sich bei den Textzeugen um Fragmente handelt, verlangen sie in jedem Einzelfall die Prüfung, ob sie nicht mit anderen Einzelblätter zusammen gehören oder ob es sich nicht vielleicht um ausgelöste Blätter aus erhaltenen Handschriften handelt. Aus diesem Grunde ist nach jetzigem Forschungsstand eine verlässliche Zahlenangabe nicht zu machen. Alle Angaben sind Schätzungen. Hinzu kommt, dass die Forschung nach Textzeugen, insbesondere nach Fragmenten, sich regional auf Süddeutschland und Mitteldeutschland erstreckt hat. Bei der Untersuchung der Quellen aus denen der Schwabenspiegel geschöpft ist, muss zwischen den Quellen der übernommenen Sachsenspiegel-Regelungen und dem ‚Eigengut‘ differenziert werden. Hier besteht, wie Lück zu Recht feststellt, noch Forschungsbedarf. Nachdem W. Setz lange Jahre die Vorarbeiten Ernst Klebels zur lateinischen Übersetzung Oswalds von Anhausen fortgesetzt hat, liegen diese Arbeiten nunmehr bei H. Zimmerhackl. Soweit Lück (S. 65 Anm. 77) für die nationalsozialistische Zeit eine Überhöhung und Ideologisierung des Sachsenspiegels unter Zitierung eines populärwissenschaftlichen Werkes eines Hallenser Rechtsanwalts feststellen möchte, wird leider einer Einzelstimme eine Bedeutung zugemessen, die ihr schon im Erscheinungsjahr abgesprochen wurde. Der nicht systemskeptische Rechtshistoriker Herbert Meyer hat in seiner ausführlichen Rezension in der Zeitschrift der Akademie für deutsches Recht (Bd. 3, 1936, S., 831f.) einen höflich verkleideten Verriss dieser Arbeit geliefert, der noch heute lesenswert ist. Zu beachten ist dabei, dass dem Buch ein Vorspruch der Akademie für deutsches Recht beigegeben ist. Anders als ironisch ist der Schlusssatz ‚Möge dem Buch eine weite Verbreitung beschieden sein‘ nicht zu verstehen.
T. Antal (S.73-83) sucht in seinem Beitrag in englischer Sprache die Stellung der Richter in den Rechtsspiegeln mit der Stellung der Richter in England zu vergleichen. Angesichts der Weite des Problems kann er nur eine Skizzierung des Problems bieten. Inge Bily berichtet über ‚Wortanalysen anhand historischer Rechtstexte‘ (S. 85-99) am Beispiel der Weichbildvulgata, eines Textes der ‚Magdeburger Urteile‘ in polnischer Sprache und des alttschechischen Donat. Ihre Ergebnisse für die gegenseitige Sprachbeeinflussung verdienen Interesse. W. Carls führt in seinem Beitrag ‚Überlieferungsgeschichtliche Beobachtungen zum Verhältnis von Schwabenspiegel und Sächsisch-magdeburgischem Recht‘ (S. 127-135) Lücks Überlegungen zur Häufigkeit der Textzeugen fort und untersucht die Mitüberlieferung verschiedener Textzeugen in einer Handschrift. Ob bei der geringen Zahl von Handschriften, die jeweils die untersuchten Textzeugen enthalten, Aussagen zu treffen sind, die einer Verallgemeinerung zugänglich sind? Eine Auswertung der für das Rechtsleben einer Region zu einer bestimmten Zeit maßgeblichen Rechtsgrundlagen erfordert eine Sichtung aller Schriftzeugnisse mit rechtlicher Relevanz, wie Stadtbücher, Protokollbücher u. a. Rechtshandschriften sind für eine derartige Untersuchung nur wenig aussagekräftig, da bei ihnen nur in wenigen Fällen zu klären ist, wo sie zu welchem Zeitpunkt aufbewahrt und benutzt worden sind. F. Eichler legt seinem Beitrag ‚Rechtsbücher und die Mündlichkeit des mittelalterlichen Rechts‘ (S. 137-158) norddeutsche Rechtsquellen zugrunde. Er weist, wie schon Kannowski, auf die Bedeutung des Beweisrechts für die gerichtliche Rechtspflege hin und geht auf die Personen ein, die als Kenner des Rechts in Zeiten der vorherrschenden Mündlichkeit ihre Bewahrer waren und diese Stellung noch weit in die Zeit der Schriftlichkeit hinein behielten. Ihre Hilfsmittel, die Rechtsreime und Rechtssprichwörter, werden in diesen Zusammenhang gestellt. M. Gedeons Ausführungen zum Schemnitzer Rechtsbuch und der Bergordnung Maximilians (1560) (S. 159-168) zeigen keine Verbindung zum Schwabenspiegel. K. Gönczis ‚Vom ungarischen „Volksgeist“ bis zum europäischen Kontext‘ (S. 169-178) enthält allgemeine Ausführungen, die auch die Stadtrechtsentwicklung streifen. G. Hamza entwickelt zum „Tripartitum“ István Werböczys als Rechtsquelle (S. 179-190) fern vom Schwabenspiegel Gedanken zum Gewohnheitsrecht des 16. Jahrhundert. I. K. Koncz geht den Wurzeln der Frauenrechte in den mittelalterlichen Rechtsbüchern (S. 219-235) nach, und sucht Sachsenspiegel und Schwabenspiegel mit dem Stadtbuch von Schemnitz, dem Ofener Stadtrecht und dem Tripartitum I. Werböczys zu vergleichen. Soweit der ‚neueste Forschungsstand Mitte des 13. Jahrhunderts‘ (S. 219) als Entstehungszeit des Schwabenspiegels feststellen soll, so haben dies weder Trusen noch Johanek in den zitierten Literaturstellen behauptet, sondern sie gehen mit der, bis heute maßgeblichen, Meinung von 1275/1276 aus. Leider prägen ähnliche Unklarheiten die weiteren Ausführungen, die sich mit den Regeln zur Institution der Ehe befassen. Die in den Anmerkungen angegebenen Literaturstellen besagen nicht selten das nicht, was der Verfasser aus ihnen deutet. In ihrer materialreichen Untersuchung stellt Ulrike Müßig ‚Verfügungen von Todes wegen in mittelalterlichen Rechts- und Schöffenbüchern‘ (S.237-266) vor. Die Autorin widmet diesen Beitrag in Dankbarkeit dem im Januar 2015 verstorbenen Wiener Rechtshistoriker Werner Ogris. Zusammenfassend stellt sie fest, dass das einheimische Recht bereits im 13. Jahrhundert Elemente einer Testierfreiheit im Sinne des römisch-kanonischen Rechts kannte. Als typisch für das Rechtsdenken des 13./14. Jahrhunderts sieht die Verfasserin das Eindringen des gelehrten Erbrechts in das einheimische Recht als eine Synthese von gelehrtem und einheimischem Recht. Diese Überlegungen sind ein Ansatz, der auch für andere Materien überprüft werden sollte. Von einem etwas ungewöhnlichen Forschungsansatz geht E. Nikolicza bei ihrem ‚Einfluss des Magdeburger Rechts auf das Ofner Stadtrecht in der deutschen Fachliteratur‘ (S. 267-281) aus. Mit teilweise ausführlichen Forschungen zur Lebensgeschichte der Autoren stellt die Verfasserin fest, dass sie keine genauen Forschungen zu den einzelnen Übernahmen des Magdeburger Rechts oder anderen deutschen Quellen angestellt haben. Für die Autoren seit der Herausgabe der Edition von K. Mollay (1959) ist davon auszugehen, dass diese sich an den Angaben Mollays in der Einleitung seiner Edition orientiert haben. Dazu kamen dann Rezensionen, etwa von H. Lentze und W. Weizsäcker, die auf Mollays Ankündigung verwiesen, ‚in vielleicht nicht unabsehbarer Zeit‘ (S. 31) einen Kommentar folgen zu lassen. Von ihm schien dann die Klärung der Herkunft der einzelnen Artikel zu erwarten zu sein. Bis zu seinem Tod (1997) hat K. Mollay diesen Kommentar nicht geliefert; sicher ist E. Nikolicza motiviert, diese Lücke bald zu füllen; gespannte Aufmerksamkeit wird ihre Arbeit begleiten. Die wertvollen Anregungen von L. Blazovich (S. 14-17) werden sicher zu vertiefen sein. I. T. Piirainen, der wenige Monate nach der Tagung im August 2012 verstorben ist, hatte über sein langjähriges Forschungsgebiet, das Recht der Zips, gesprochen und die Auswirkungen dieses Rechts auf weitere Rechtsbücher des 16. - 17. Jahrhunderts (S. 283-298) untersucht. Zu wünschen wäre es, wenn seine Forschungen durch andere Wissenschaftler in den Archiven der Slowakei weiter geführt werden könnten. J. Ruszoly erinnerte an zwei Rechtshistoriker, die an der Universität Szeged tätig waren: An den Lebensläufen von G. Bonis (1914-1985) und L. Blazovich (geb. 1943) ist die Rechtsgeschichte Ungarns im 20. Jahrhunderts mit ihren Facetten beeindruckend dargestellt. In der Person von L. Blazovich wird der selten gewordene Typ eines Rechtshistorikers beschrieben, der, auf einer Berufsgrundlage als Archivar ruhend, sich später der Rechtsgeschichte zuwenden konnte. B. Szabó stellt das ‚Zusammentreffen von germanischen Rechtstraditionen und vom transferierten gemeinen Recht im „Eigen-Landrecht“ (1583) der Siebenbürger Sachsen‘ (S. 317-337) dar. Szabó zeigt als wesentlichen Faktor auf, dass Studenten aus Siebenbürgen im 16. Jahrhundert in Wittenberg studierten und dort mit dem gemeinen Recht vertraut wurden. Das Recht der Siebenbürger Sachsen wurde so bis zum Ende des 16. Jahrhundert auch mit Hilfe des römischen Rechts völlig erneuert, wenn auch einzelne traditionelle Normen den Erneuerungsversuchen standgehalten haben.
Das Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 339-406) erschließt in sorgfältiger und gründlicher Weise die Literatur zu dem Thema. Erfreulich ist der Ansatz der Namen ungarischer Autoren, der sonst nicht selten Nichtungarn Probleme bereitet. Der Arbeit beigegeben sind Register der Orte, Personen und Sachen. Wenn auch eine Benutzung gewöhnungsbedürftig ist, so geben sie doch einen Anhalt zur Erschließung des Inhalts. Die Angaben zu den Personen im Register scheinen eher zufällig zu sein, je nachdem ob die Lebensdaten einfach (dann mit Lebensdaten), etwas schwierig (nur die Lebensjahre) oder schwierig (keine Angaben) zu finden waren. Die Daten des Magdeburger Stadtarchivar Paul Krause (1901-1944), des Juristen Hieronymus Johannes Meckbach (1710-1769) und der verdienten Forscherin zum Sachsenspiegel Ruth Schmidt-Wiegand (1926-2014) wären ohne Schwierigkeiten zu finden gewesen. Die im Register genannte Forscherin zum Schwabenspiegel, Anna Hedwig Benna (1921-2015), ist nach dem Erscheinen des Buches im Alter von 94 Jahren verstorben.
Neu-Ulm Ulrich-Dieter Oppitz