Pfeifer, Guido Christian, Ius Regale Montanorum

. Ein Beitrag zur spätmittelalterlichen Rezeptionsgeschichte des römischen Rechts in Mitteleuropa (= Münchener Universitätsschriften, Juristische Fakultät, Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung 88). Aktiv Druck & Verlag GmbH, Ebelsbach am Main 2002. XVII, 277 S. Besprochen von Gunter Wesener. ZRG GA 121 (2004)

Pfeifer, Guido Christian, Ius Regale Montanorum. Ein Beitrag zur spätmittelalterlichen Rezeptionsgeschichte des römischen Rechts in Mitteleuropa (= Münchener Universitätsschriften, Juristische Fakultät, Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung 88). Aktiv Druck & Verlag GmbH, Ebelsbach am Main 2002. XVII, 277 S.

 

In seiner Münchener Dissertation behandelt G. Ch. Pfeifer eine überaus interessante Rechtsquelle, das Ius Regale Montanorum (IRM) des böhmischen Königs Wenzel II.[1], entstanden zwischen 1300 und 1305; diese Kodifikation des Bergrechts ist für die Geschichte der Rezeption des römischen und kanonischen Rechts von großer Bedeutung. Die früheste deutsche Übersetzung des lateinischen Textes erfolgte 1406/07 durch den Iglauer Stadtschreiber Johannes von Gelnhausen (S. 5). Grundlage der Untersuchung bildet die Edition der Bergrechtsordnung durch Adolf Zycha[2].

 

Eine eingehende Untersuchung, welche den Text des IRM und seine Materie in ihrer Gesamtheit behandelt, fehlte bisher (S. 4). Ziel der vorliegenden Arbeit ist „eine Gesamtwürdigung des Rezeptionsvorgangs im IRM auf der Basis einer umfassenden Analyse des überlieferten Gesetzestexts“ (S. 5).

 

Der erste Haupteil der Untersuchung (S. 9-41) behandelt den historischen Kontext der Kodifikation. Der Verfasser prüft die Frage (S. 12ff.), ob die Berggesetzgebung Wenzels II. als Surrogat einer gescheiterten Landrechtskodifikation anzusehen sei. Zu Recht kommt er zur Auffassung, dass sich die Annahme eines solchen Surrogats durch die überlieferten Quellen nicht stützen lasse (S. 15).

 

Als Autor des IRM wird überwiegend der italienische Rechtsgelehrte Gocius von Orvieto angesehen (S. 17ff.). Ein eindeutiger Beweis lässt sich aber dafür nicht erbringen, wenn auch starke Indizien dafür sprechen (S. 20). Das IRM orientiert sich zweifellos an der bergmännischen Praxis (S. 25); ob bei der Kodifikation Kuttenberger Bergleute in Form einer Kommission mitgewirkt haben[3], lässt sich nicht nachweisen (Verf. S. 25).

 

Als Ziele der Gesetzgebung (S. 25ff.) sieht der Verfasser die Beseitigung konkreter Missstände im Bergbau, ferner eine gewisse Standortpolitik (S. 36ff.); deutlich zeigt sich eine Bevorzugung Kuttenbergs gegenüber Iglau.

 

Der zweite, sehr umfassende Hauptteil (S. 42-221) befasst sich mit der Rezeption römischen und kanonischen Rechts. Behandelt wird zunächst das Bergrecht (jus montanum) im engeren Sinne, nämlich die eigentliche Berechtigung zum Bergbau im Zusammenhang mit der Frage nach Bergregal und Bergbaufreiheit sowie dem Verhältnis zum Grundeigentum, ferner das Recht von Organisation und Betrieb des Bergbaus. Schon Ernst Schönbauer[4] hat die Frage der Kontinuität des Bergrechts von der Antike zum Mittelalter untersucht (vgl. Verf. S. 43 Anm. 229). Er kam zum Ergebnis, dass die römische Domänenordnung eine wichtige Komponente bei der Entwicklung des mittelalterlichen Bergrechtes darstellte, dass es aber kein römisches Bergrecht gegeben habe, da das römische Recht von der Freiheit des Grundeigentums ausgegangen sei; die Bergbauberechtigung knüpfte an das Grundeigentum an. Ein Bergregal war dem römischen Recht fremd (so auch Verf. S. 48ff.).

 

In einem Exkurs (S. 72 ff.) behandelt der Verfasser andere wichtige Bergrechtsquellen des Hoch- und Spätmittelalters, das Trienter Bergrecht von 1185-1214, die Bergordnung (Ordinamenta) von Massa Marittima (Toscana) sowie das Iglauer Bergrecht (beide Mitte des 13. Jahrhunderts).

 

Gewisse Elemente des Bergbaubetriebes (Abgabenleistung, Aufsicht über Betriebs- und Instandhaltungspflichten) weisen auf eine Kontinuität hin, auf das Bestehen eines Berggewohnheitsrechtes (S. 84f.). Im Bereiche von Organisation und Betrieb des Bergbaus lassen sich Einrichtungen bis in die römische Antike zurückverfolgen (S. 86). Hingegen wurde das römische Prinzip der Grundeigentümerbefugnis durch die Rechtsinstitute des Bergregals und der allgemeinen Bergbaufreiheit abgelöst (S. 85).

 

Im Aufbau folgt das IRM dem justinianischen Institutionensystem (vgl. Prooemium § 4: Omne autem jus montanum, quo utimur, aut pertinet ad personas aut ad argentifodinas vel ad concessiones, peticiones et eorum coherencias.). Das erste Buch handelt von den Personen im Bergbau (S. 86f.), das zweite Buch vom Recht der Silbergruben (De jure argentifodinarum). In IRM II 1 § 2 wird die Definition der alienatio aus C. 5. 23. 1 beinahe wörtlich übernommen, ohne allerdings den Ausdruck alienatio zu gebrauchen (S. 88). Das dritte Buch beginnt mit dem ersten Kapitel unter dem Rubrum De concessionibus; die ersten fünf Kapitel regeln die als concessio bezeichnete derivative Verleihung der Bergbauberechtigung und beinhalten damit materielles Bergrecht. In den weiteren Kapiteln behandelt das dritte Buch unter anderen Kauf, Pacht, Schenkung, also Institute des Schuldrechts (S. 99); hier zeigen sich starke Einflüsse des römischen Rechts (S. 99ff.).

 

Von besonderem Interesse ist die Rezeption des Prozessrechtes (S. 114ff.)[5]. Das vierte Buch des IRM folgt in Aufbau und Systematik einem ordo iudiciarius. IRM IV 1 pr. bezeichnet den liber quartus ausdrücklich als ordo iudiciarius: ... qualiter et quomodo montanis nostris fixum imutabilemque ordinem judiciarium confirmemus ... Dieser Teil zeigt, dass der Autor des Werkes mit dem römischen und kanonischen Recht und dem italienischen Statutarprozess sehr gut vertraut war[6]. M. Bohácek[7] hat wahrscheinlich gemacht, dass sich dieses vierte Buch in starkem Maße auf den Ordo Assiduis postulationibus (1216) des Tancred von Bologna stützt (so auch Verf. S. 185). Pfeifer (S. 117f.) zeigt, dass der liber quartus im Aufbau stärker dem Liber Extra (1234) folgt, inhaltlich freilich in starkem Maße dem Ordo Tancreds entspricht. In vieler Hinsicht orientiert sich das IRM an den Bedürfnissen der Praxis (S. 185).

Mit M. Bohácek[8] kann man der Aussage von Emil Ott[9] folgen, dass die Kodifikation des römisch-kanonischen Prozesses im Berggesetz Wenzels II. zur „Wurzel der dauernden vollständigen Reception dieses Processrechtes in den böhmischen Ländern“ wurde. Bei der Darstellung des Verfahrensrechtes kann sich Pfeifer auf das grundlegende Werk von W. Litewski, Der römisch-kanonische Zivilprozeß nach den älteren ordines iudiciarii (2 Bände, Krakau 1999)[10] stützen.

 

Eine wichtige Abweichung vom römisch-kanonischen Prozessrecht stellt die Urteilsfindung durch Geschworene (Schöffen) anstatt durch den Richter dar (Verf. S. 120ff.). Das Berggericht war ein Geschworenengericht; der Richter hatte das Urteil bei den Geschworenen aufgrund des Vorschlags der Parteien zu erfragen (IRM IV 18 § 1 und § 7: Tenetur insuper judex secundum proposicionem parcium querere de sentenciis a juratis. Et semper querat inter duas sentencias, quid juris sit, nisi tunc una pars nolit aut negligat aliquid pro se inquirere ...)[11]. Urteilsvorschlag und Urteilsfrage entsprechen dem deutschen Rechtsgang des Mittelalters[12].

 

Im letzten Abschnitt des zweiten Hauptteiles (S. 86ff.) behandelt der Verfasser die „Rezeption methodischer und stilistischer Elemente des römischen und kanonischen Rechts“. Für die Anwendung des Rechts auf seltene Fälle verweist das Gesetz auf das Institut der Analogie (IRM IV 3 § 5 ... sed erit de similibus ad similia procedendum)[13]. Mehrere Male betont das IRM den Vorbehalt der Rechtsinterpretation durch den König (S. 192f.).

 

Mehrfach finden sich im IRM regelhafte Formulierungen (S. 204ff.), die dem römischen oder kanonischen Recht entsprechen. Der Verfasser (S. 220) kommt zum Ergebnis, dass sich das IRM „auch im Bereich methodischer und stilistischer Elemente stark an den Quellen des römischen und kanonischen Rechts“ orientiert. Das Berggesetz Wenzels II. ist als eine „Kodifikation im engeren Sinne eines Codex oder Gesetzbuchs“ anzusehen (S. 221).

 

Der dritte Hauptteil (S. 222-235) befasst sich mit Geltung und Wirkung des IRM. Dieses gilt für alle Bergleute im Königreich Böhmen (Prooemium § 2). In der Spruchpraxis des Iglauer Oberhofs ist die Anwendung des IRM eingehend belegt (S. 224ff.). Nachgewiesen ist die Rezeption des IRM im sogenannten Brünner Schöffenbuch aus der Mitte des 14. Jahrhunderts, das seinerseits von römischen und kanonischen Rechtsquellen beeinflusst ist (S. 229ff.)[14]. Der Verfasser (S. 231) stellt folgende durchaus einleuchtende These auf: Der Kompilator des Brünner Schöffenbuchs berücksichtigte bei der Verarbeitung der Schöffensprüche eigenständig die Quellen des gelehrten Rechts; zugleich hat er im Bereiche des Prozessrechts auf das IRM zurückgegriffen, auf eine Verfahrensordnung, welche bereits die Gerichtsorganisation des Geschworenengerichts mit den Grundsätzen des römisch-kanonischen Prozesses in Einklang gebracht hatte.

 

Im Schlusskapitel (S. 236-238) stellt der Verfasser die Frage: „Ius Regale Montanorum - Paradigma oder Ausnahmeerscheinung in der Rezeptionsgeschichte des römischen Rechts?“ Das IRM unterscheidet sich von seinen Vorläufern, reinen Bergrechtsordnungen, dadurch, dass es zahlreiche Bestimmungen materiellen Rechts, insbesondere aus den Bereichen des Sachen- und Schuldrechts, enthält, sowie eine vollständige Prozessordnung für das bergrechtliche Verfahren. Diese Ordnung hat die Gestalt eines ordo iudiciarius und entspricht auch inhaltlich weitgehend dem römisch-kanonischen Prozessrecht. Die Darstellung des materiellen Rechts „in Form einer mosaikartigen Verarbeitung römischrechtlicher Quellentexte steht in der Tradition der theoretischen Werke der älteren Glossatorenliteratur“ (S. 237). Man wird dem Verfasser (S. 238) zustimmen, dass das IRM „in vielerlei Hinsicht paradigmatischen Charakter für die unterschiedlichen Wege und Möglichkeiten des Rezeption“ besitzt; als Gesamtphänomen handelt es sich hingegen um eine Ausnahmeerscheinung.

 

Im Anhang (S. 242-277) finden sich ein Glossar bergrechtlicher Terminologie, Konkordanzen und Parallelstellen, zwei Abbildungen, ein Literaturverzeichnis, ein Quellenregister sowie ein Personen-, Orts- und Sachregister. Dieses letztere hätte eingehender ausfallen können.

 

Die Arbeit zeichnet sich durch klare, aber vorsichtige und wohl abgewogene Formulierungen und Beurteilungen aus. Wir verdanken dem Verfasser eine sorgfältige, eingehende Untersuchung einer Rechtsquelle, die sowohl für die Geschichte des mittelalterlichen Bergrechts wie für die Rezeptionsgeschichte von eminenter Bedeutung ist.

 

Graz                                                                                                               Gunter Wesener

[1]Constitutiones Juris Metallici Wenceslai II.

[2]Das böhmische Bergrecht des Mittelalters auf Grundlage des Bergrechts von Iglau, II (Berlin 1900) 40-297.

[3]So Zycha, Das böhmische Bergrecht (o. Anm. 2) I (1900) 89.

[4]Beiträge zur Geschichte des Bergbaurechts (1929), bes. 193 ff.; ders., Vom Bodenrecht zum Bergrecht, ZRG Rom. Abt. 55 (1935) 183 ff.; vgl. nun G. Thür, Gedanken zu „Bergregal“ und „Bergfreiheit“ in der griechisch-römischen Antike, in: FS für G. Kocher zum 60. Geburtstag (Graz 2002) 317 ff.

[5]Vgl. dazu M. Bohácek, Einflüsse des römischen Rechts in Böhmen und Mähren, ius romanum medii aevi, Pars V, 11 (1975) 124 ff.

[6]Bohácek, Einflüsse (o. Anm. 5) 125.

[7]Einflüsse 125.

[8]Einflüsse 127.

[9]Beiträge zur Receptions-Geschichte des römisch-canonischen Processes in den böhmischen Ländern (Leipzig 1879) 174.

[10]Dazu M. Bellomo, ZRG Rom. Abt. 119 (2002) 541 ff.; Wesener, in diesem Band.

[11]Verf. S. 174.

[12]Dazu J. W. Planck, Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I (1879) 233 ff., 249, 250; Brunner/Schwerin, Deutsche Rechtsgeschichte II2 (1928) 472 ff.; vgl. etwa K. Torggler, Stadtrecht und Stadtgericht in Klagenfurt (Klagenfurt 1937) 53; G. Wesener, Das innerösterreichische Landschrannenverfahren im 16. und 17. Jahrhundert (Graz 1963) 92 f., 94 f.; H. Schlosser, Mittelalterlicher Zivilprozeß nach bayerischen Quellen. Gerichtsverfassung und Rechtsgang (1971) 389 ff., 392 ff.; E. Kaufmann, Art. Urteilsfindung - Urteilsschelte, HRG V (1998) Sp. 620 ff.

[13]Zur Ausbildung der Analogie bei Glossatoren und Kommentatoren A. Steinwenter, Prolegomena zur einer Geschichte der Analogie, in: FS F. Schulz II (1951) 345 ff., bes. 348 ff. - Eine Zusammenfassung der mittelalterlichen Lehre bei Albericus de Rosate, Dictionarium Iuris tam Civilis quam Canonici (Venetiis 1573) s. v. Simile und Similia.

[14]Vgl. schon G. Schubart-Fikentscher, Römisches Recht im Brünner Schöffenbuch. Ein Beitrag zur Rezeptionsgeschichte, ZRG Germ. Abt. 65 (1947) 86 ff., bes. 140 ff.