Lehmann, Jens, Der „Gentleman-Verbrecher“ und die Strafjustiz
Lehmann, Jens, Der „Gentleman-Verbrecher“ und die Strafjustiz. Karl Friedrich Bernotat vor den Gerichten der Weimarer Republik und des NS-Staates (= Rechtsgeschichte und Rechtsgeschehen – Paperbacks 1). Lit, Berlin 2015. IX, 113 S., Abb. Angezeigt von Gerhard Köbler.
In dem ohne nähere Darlegung zu dem Verfasser vorgelegten Werk stellte nach einem in dem Anschluss an das Inhaltsverzeichnis wiedergegebenen Polizeibericht von 1935 (die Hauptfigur Karl Friedrich) Bernotat einen Verbrechertyp dar, wie er zwar in Filmen und Detektivromanen vorgeführt wird, wie man ihn aber in der Wirklichkeit kaum für möglich hielt. Ihm nähert sich das Werk in 31 Kapiteln. Sie betreffen die ersten Jahrzehnte, die Schießerei von Radis, die Pensionsdiebstähle, den Diebstahl der Akten im Fall Frantz, die Flucht aus Moabit, die erste Zuchthausstrafe, das Verfahren wegen Bestechung und Gefangenenbefreiung, die Flucht aus Gollnow, die Freilassung 1914, die Ermittlungen gegen Gustav Weißenburg und Friedrich Meinert, die Büroeinbrüche, die erneute Festnahme Bernotats, das Schreiben an Joseph Goebbels, die Verwertung des „Inventars“, das Urteil wegen des Überfalls, die Ermittlungen wegen Hehlerei, den Auftrag an Heinrich Disse, die erste Anklage wegen Hehlerei, die Festnahme Ernst Näglers, den ersten Wiederaufnahmeantrag, die erste Hauptverhandlung wegen Hehlerei, den Hinweis auf „völkische Belange“, den zweiten Wiederaufnahmeantrag, die Entscheidung des Reichsgerichts, die Ablehnung des zweiten Wiederaufnahmeantrags, die zweite Verurteilung wegen Hehlerei und den Tod Willi Hotzes, das Schreiben an die „Kanzlei des Führers“, die weiteren Gnadengesuche, die „Vernichtung durch Arbeit“, einen Bruder Karl Bernotats und die Aktion „T4“ sowie den Versuch einer Bilanz.
Nach zunächst in der Illustrierten Quick erschienenen Erinnerungen des Verteidigers Dr. Dr. Erich Frey war der im Eingang abgebildete Berliner Kaufmann Karl Friedrich Bernotat ein charmanter Kavalier, der in der besten Gesellschaft verkehrte, eine kostbar eingerichtete Achtzimmerwohnung an dem oberen Kurfürstendamm führte und Rennstall, Wertpapiere und sonstiges Vermögen besaß, das ihm sein behaupteter Exporthandel und Importhandel in Automobilen, Spezialölen und Schmierstoffen eingebracht hatte. In der Nacht von dem 14. Juni zu dem 15. Juni 1922 wurde dieser geschäftstüchtige Kaufmann und umschwärmte Salonlöwe überraschend von Beamten der Kriminalpolizei aus seinem Bett heraus verhaftet. In einem Doppelleben sollte Karl Friedrich Bernotat nicht der erfolgreiche Direktor einer gutgehenden Unternehmung sein, sondern nur ein Dieb (bzw. Meisterdieb). Tatsächlich geht es im Folgenden vor allem um so schlichte Gebrauchsgegenstände wie Schreibmaschinen.
Karl Friedrich Bernotat wurde in Mittel-Jodrupp in Ostpreußen an dem 13. Februar 1887 als eines von sieben Kindern eines Holzgroßhändlers und Landwirts geboren, wobei über seine Kindheit und Jugend wenig bekannt ist und er in Berlin am 4. Mai 1914 wegen schweren Diebstahls in drei Fällen zu 18 Monaten Haft verurteilt wurde, nach eigenen Angaben 1916 nach Berlin zog und im Mai 1919 die Schottin Margarete Little heiratete. Verschwundene Akten und einige Ausbrüche machen nach dem Verfasser die Geschichte Karl Friedrich Bernotats unterhaltsam. Tatsächlich beeindruckend erscheint der an dem 17. Dezember an das Konzentrationslager Mauthausen als asozialer Gefangener abgegebene und dort an dem 5. Januar 1943 gegen 14 Uhr an eitrigem Dickdarmkatarrh verstorbene vorgebliche Gentleman-Verbrecher nach den dürren Berichten des Verfassers nicht.
Innsbruck Gerhard Köbler