Ruppert, Karsten, Die Pfalz im Königreich Bayern
Ruppert, Karsten, Die Pfalz im Königreich Bayern. Geschichte, Kultur und Identität. Kohlhammer, Stuttgart 2017. 302 S., Abb. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.
Im März 2014 befassten sich bayerische und pfälzische Historiker auf einer Tagung in Schloss Villa Ludwigshöhe mit der Zeit der Zugehörigkeit der Pfalz zu dem Königreich Bayern (1816 – 1918). Der Tagungsband mit den Vorträgen dieser Tagung erschien 2017 in den ‚Historischen Forschungen‘ als Band 115. Die hier zu besprechende Veröffentlichung eines der Mitveranstalter der Tagung, ehemaliger Professor der Universität Eichstätt/Ingolstadt, führt die Ergebnisse dieser Tagung in ansprechender Weise zusammen. Der ‚Bayerische Rheinkreis‘, der 1816 als ein Ergebnis der Gebietsverteilung auf dem Wiener Kongress in das erst wenige Jahre zuvor entstandene Königreich Bayern eingegliedert wurde, wurde erst 1837 in ‚Pfalz‘ umbenannt und bereits 1945 wieder von Bayern abgetrennt. In dem neuerworbenen Territorium umfasste der linksrheinische Teil der Kurpfalz, die im Übrigen zu Baden geschlagen worden war, etwa ein Viertel, das ehemalige Herzogtum Pfalz–Zweibrücken, Stammland der in München regierenden Wittelsbacher machte ein Fünftel aus. Die weiteren 38 staatlichen Gebilde führten zu einer großen Vielfalt. Sie waren zu einem nicht geringen Teil 1792 von Frankreich besetzt und schließlich 1798 in Departements gegliedert worden. Die Vielfalt zeigte sich darin, dass es bei dem Anfall an Bayern keine Stadt gab, die eine zentrale Funktion hatte. Schnell wurden in der größten Stadt, die nahe am Kernland lag, Speyer, staatliche und kirchliche Funktionen angesiedelt. Bereits in französischer Zeit waren Privilegien der Adelsfamilien und der Kirche aufgehoben wurden, so dass Grundherrschaft und Patrimonialgerichte, die im restlichen Bayern erst in Folge der Revolution 1848 beseitigt wurden, im Rheinkreis nicht bestanden. Der Verfasser zeigt, wie in dem neuen Gebiet behutsam Einrichtungen eingeführt wurden, die einschneidend in die bisherigen Üblichkeiten eingriffen. Gemeindeverwaltungen, die als wenig effizient galten, wurden in die bayerische Verwaltungshierarchie eingebettet und erhielten zu einem Teil die Befugnis in ihren eigenen Angelegenheiten mitzubestimmen. Joseph von Stichaner wurde als Regierungspräsident eingesetzt, er konnte bis zu seinem Amtsende, 1832, zwischen München und Speyer sehr ausgleichend wirken; in ‚Rheinbaiern‘, wie die Neuerwerbung zu Anfang auch genannt wurde, wirkte er auch auf kulturellem Gebiet integrierend: bei der Gründung des Historischen Vereins in der Pfalz gehörte er zu den Gründungsmitgliedern und wurde der erste Vorsitzende.
Detailreich zeigt der Verfasser unter Auswertung der reichhaltigen Spezialliteratur in 14 Abschnitten querschnittartig die Zeit bis zur Revolution 1848/1849 und den Pfälzer Aufstand und die weitere Entwicklung im Deutschen Reich, die insgesamt für Bayern einen erheblichen Bedeutungswandel mit sich brachte. Im Längsschnitt werden dann die Einzelbereiche dargestellt, die für das Land Bedeutung hatten. Am Anfang steht die Bevölkerungsentwicklung, die eng verbunden mit der Verkehrsentwicklung zu sehen ist. Bessere Verbindungen der verschiedenen Landesteile und mit dem Kernland Bayern führten zu einer wirtschaftlichen Stärkung des Gebiets, hier ist besonders die Entwicklung der Stadt Ludwigshafen zum bedeutenden Industriestandort beschrieben. Andererseits führte im ländlichen Bereich die Vergrößerung der Bevölkerung und die nachlassende Bedeutung der Landwirtschaft zu einer Auswanderung, insbesondere in die Vereinigten Staaten von Amerika. In Abschnitten wird die Entwicklung der Landwirtschaft nach Ackerbau, Sonderkulturen, Forstwirtschaft und Viehzucht untersucht. Die einzelnen Branchen bei der Industrialisierung werden auf der Grundlage sorgfältig ausgewählten Zahlenmaterials beschrieben. Ihrer Bedeutung und Vielfalt entsprechend werden Kirchen und Konfessionen umfassend behandelt. Als Folge der früheren territorialen Zersplitterung praktizierten an vielen Orten Reformierte, Protestanten und Katholiken ohne klare Scheidung nebeneinander. Bis heute sind in diesem Gebiet Simultankirchen weit verbreitet. Eine bedeutsame Veränderung erfuhr das Bistum Speyer, das 1817 durch ein Konkordat zwischen dem Königreich Bayern und dem Heiligen Stuhl neu errichtet wurde. Es umfasste im Wesentlichen den Rheinkreis und erleichterte damit den Katholiken die Akzeptanz mit dem Königreich. Die bayerische Religionspolitik unter Minister von Abel führte bis 1848 zu einem kämpferischen Konfessionalismus, der Unierte und Katholiken in eine früher nicht gekannte Frontstellung zueinander brachte. Die Konfessionsverteilung in anderen bayerischen Teilen mit jeweiligen Mehrheiten war mit der Konfessionsverteilung Rheinbaierns nicht zu vergleichen, hier wirkten sich die Konflikte unmittelbarer aus. Das Bildungswesen wurde in der bayerischen Zeit deutlich verbessert, auf der Basis der Volksschule wurden Gewerbeschulen und Realschulen sowie Gymnasien und Progymnasien gefördert und flächendeckend errichtet. Eine Universität gab es in der Pfalz nicht, Heidelberg, Freiburg, Würzburg und München waren die Ziele in der Nachbarschaft bzw. in Bayern. Der allgemeinen Entwicklung im 19. Jahrhundert zur Hebung des kulturellen Bewusstseins für einzelne Regionen trug auch die bayerische Politik in der Pfalz Rechnung. Das ‚Historische Museum der Pfalz’ und die naturwissenschaftliche Gesellschaft ‚Pollichia‘ halfen neben vielen anderen Einrichtungen dabei, ein Gefühl für Gemeinsamkeiten des Gebietes zwischen Zweibrücken und Speyer und zwischen Meisenheim und Bergzabern zu fördern. Die Identifizierung der Bewohner dieses Gebietes führte um die Jahrhundertwende dazu, mit dem ‚Pfälzerwald‘ eine bisher nicht übliche Bezeichnung für die Waldgebiete zu schaffen, die sich in der Region befanden. In einer vorausschauenden Würdigung der politischen Gegebenheiten wurde zur Wahrung der ‚pfälzischen Interessen‘ in Bayern keine besondere regionale Partei gegründet, sondern Pfälzer traten Parteien jeglicher Prägung bei und suchten in ihnen für die Interessen der Pfalz zu streiten. Dieser Weg erwies sich als recht erfolgreich, zumal die Pfälzer Abgeordneten über Parteigrenzen hinaus zusammen wirkten. Je länger die Pfalz zu Bayern gehörte, desto selbstverständlicher wurde die Zugehörigkeit zum neuen Staat empfunden. Gleiches galt andererseits auch für die bayerische Politik nach der Abtrennung der Pfalz (1945) und der Zuweisung zum Bundesland Rheinland-Pfalz. Bis 1956 war es das Ziel des Landtags und jeder bayerischen Staatsregierung die bayerische Pfalz zurück zu gewinnen, auch wenn dies zu Unstimmigkeiten mit der ‚neuen‘ Landesregierung führte. In der 1. bis 3. Wahlperiode mühte sich der ‚Ausschuß Bayern – Pfalz‘ um die Probleme, die sich aus der Abtrennung und der gewünschten Wiedergewinnung ergaben. Dies erscheint als ein Beispiel für die letztlich erfolgreichen Bemühungen Bayerns die bis 1816 erworbenen Gebiete auf Dauer mit dem Kernland zu vereinigen. Zu Recht stellt der Verfasser heraus, dass das Geheimnis des bayerischen Erfolges darin lag, für die gewachsenen Traditionen der ‚neuen‘ Gebiete ein lebendiges Empfinden zu haben. Die Darstellung belegt mit vielen Beispielen den Weg der bayerischen Staatspolitik: einfordern von so viel Einheitlichkeit wie nötig und Gewährung von so viel Selbständigkeit wie möglich. Die Fußnoten sind in einem eigenen Teil (S. 260 – 281) nachgestellt und erleichtern dadurch die Lektüre. Ein sorgfältiges Personenregister und Ortsregister beschließt die Arbeit. Bei so vielen Vorzügen der Arbeit ist es bedauerlich, in einer Veröffentlichung zur Geschichte Bayerns die Abbildungen der Könige Maximilian I. Joseph und Ludwig I. in ihren Krönungsornaten nur in Abbildungen von ’Wikimedia Commons‘ zu finden, statt die Hinweise auf die Künstler und die Ausstellungsorte der Bilder zu nennen. Maximilian I. Joseph ist auf einem Bild (wohl 1818) von Moriz von Kellerhoven gezeigt, das in der Residenz in München (Inv. ResMü G 1254) ist. Ludwig I. wurde 1826 von Joseph Karl Stieler gemalt, das Bild hängt in der Neuen Pinakothek (Inv. Nr. 1062).
Neu-Ulm Ulrich-Dieter Oppitz