Lex Baioariorum
Lex Baioariorum – Das Recht der Bayern (= Editio Bavarica 3), hg. v. Deutinger, Roman. Pustet, Regensburg 2017. 168 S. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.
Der Herausgeber, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, legt mit diesem Textabdruck die erste und für Jahrhunderte einzige umfassende Aufzeichnung des bayerischen Rechts in der Reihe ‚Editio Bavarica‘ des Augsburger Literaturprofessors Klaus Wolf vor. Bereits früher ist Roman Deutinger mit Arbeiten zum Recht der Bayern hervorgetreten. Die Ausgabe beansprucht, erstmals dieses Werk auch für Nicht–Fachleute erschlossen und zugänglich gemacht zu haben. Trotz des Hinweises im Vorwort, das Buch sei nicht „für die (wenigen) Experten auf dem Gebiet des mittelalterlichen Rechts geschrieben worden“, muss der Herausgeber hinnehmen, dass dieses Buch mit den an Fachliteratur anzulegenden Maßstäben gewichtet wird. Dies verhindert eine gewollte Einschränkung auf eine selbst ausgesuchte Leserschicht nicht. Jeder Herausgeber einer Quellenedition ist frei in der Wahl des Textes, den er seiner Ausgabe zugrunde legt. Hierfür bedarf es nicht einer Herabsetzung früherer Ausgaben. So hielt Merkel, als der damalige Herausgeber, nach seinem Wissenschaftsverständnis, das auch der Veranstalter der Reihe, in der das Werk erschien, gebilligt hat, für geboten, den Text auf 711 Seiten zu bearbeiten. Dies ein „Ungetüm“ zu nennen, erscheint wenig souverän. Gleiches gilt für die Kritik an der damaligen (1839) Übung, Erklärungen in der weltweit üblichen Wissenschaftssprache zu geben. Gegenüber dieser Gestaltung des Grundwerks hatte es sich schon früh durchgesetzt, ‚Schulausgaben‘ genannte Editionen zu veranstalten, die weitgehend auf den wissenschaftlichen Apparat verzichteten. Grundschulausgaben in einfacher Sprache wurden damals nicht veranstaltet. Wenn der heutige Herausgeber in der Einleitung sagt, es werde der Text der Fassung B präsentiert, so ist dies zumindest irreführend. Zur Fassung B werden seit der Edition von Merkel sieben Handschriften gerechnet, von denen eine verschollen ist. Ein Textvergleich zeigt indes, dass der heutige Herausgeber wohl nur der Handschrift B2, die in der Bayerischen Staatsbibliothek (Clm 19415) bewahrt wird, folgt, ohne dies extra zu sagen. Aus ihr nimmt er die dort gebrauchte und in zwei weiteren Handschriften überlieferte Bezeichnung Lex Baioariorum zum Titel. Ein wissenschaftlicher Gewinn ist in der Neubezeichnung nicht zu sehen, jedoch setzt sich die Ausgabe damit von dem bislang üblichen, und in der Forschungsliteratur eingeführten Namen ab. Bei Konrad Beyerle zeigt der Herausgeber seine Vertrautheit mit der Neueren Zeitgeschichte, doch begann Beyerle seine Editionsarbeit nach Aufgabe seines Reichstagsmandats. Für diese Edition zog er seinen Assistenten Eugen Wohlhaupter (1900-1946), den späteren Professor in Kiel, heran, ohne ihn in der Veröffentlichung als Mitarbeiter zu nennen. Hinweise auf Einzelheiten aus K. A. Eckhardts Lebenslauf erinnern an Carl Schmitt, der nach 1933 forderte, bei Autoren auf ihre israelitische Religionszugehörigkeit hinzuweisen. Der Hinweis auf Eckhardts Karriere im Dritten Reich („der im Dritten Reich nicht nur als Jurist an der Universität … Karriere machte“) lässt einen Hinweis darauf vermissen, dass er im Januar 1933 bereits auf drei Ordinariate an Hochschulen in Preußen berufen war. Der weitere Hinweis, Eckhardt habe sich die eigentlich von Claußen geleistete Arbeit als eigene Leistung zugerechnet, erscheint ehrenrührig, wenn man bedenkt, dass der Privatdozent Eckhardt bereits 1927 eine ausführliche textkritische Studie zur Lex Baiuvariorum vorgelegt hatte, dies in einem Alter als der Herausgeber der vorliegenden Arbeit noch in einem Graduiertenkolleg lernte, ohne seine Dissertation abgeschlossen zu haben. 1927 hatte Claußen noch nicht sein Studium aufgenommen. Für die Edition in seiner Dissertation stützte Claußen sich im Wesentlichen auf die Handschriften A 2 und B 6, ergänzte sie jedoch in Einzelfällen aus anderen Handschriften, was er im Einzelnen in der Einleitung (S. IX – XI) darlegt. Bei der Eckhardtschen Ausgabe 1934 wurde Claußen neben dem ehemaligen Eckhardtschen Mitarbeitern Theodor Schatz und George A. Löning korrekt als Mitarbeiter an der Edition auf dem Titelblatt genannt. Nach Abschluss seiner bei Eckhardt gefertigten Doktorarbeit war Claußen von 1934 bis 1937 Eckhardts Assistent und schloss seine Habilitationsarbeit bei Eckhardt ab. Für eine in der Schriftenreihe der Akademie für Deutsches Recht veröffentlichte Ausgabe der Gesetze des Karolingerreiches, in der 1934 die Lex Baiuvariorum mit Übersetzung erschien, darf daran erinnert werden, dass der Akademie im September 1933 durch ein bayerisches Gesetz der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verliehen worden ist. Zu ihren Mitgliedern drängten sich zahlreiche Ordinarien der deutschen Rechtsfakultäten; als Klassensekretäre arbeiteten die Professoren Wilhelm Felgenträger, Heinrich Lange und Werner Weber, die bis in die 1960er Jahre wesentliche Beiträge zur Ausbildung des Juristennachwuchses und zur Rechtsstellung der Hochschulprofessoren leisteten, ohne dass sie bei Nennung ihrer Namen mit Hans Frank in Verbindung gebracht wurden. In der Schriftenreihe der Akademie erschienen neben der hier erwähnten Ausgabe verschiedene Arbeiten anderer Professoren, die diese Verbreitungsmöglichkeit für ihre Forschungsergebnisse schätzten. Die zur bayerischen Lex erschienene Forschungsliteratur ist überaus umfangreich, eine Auswahl ist daher geboten. Dennoch ist es bedauerlich, dass gerade auf Arbeiten Franz Beyerles und Ruth Schmidt-Wiegands, die wesentliches zur Erforschung beigetragen haben, nicht hingewiesen wird. Zu der Zeit, als Merkel seine Edition erarbeitete, war es unter Rechtshistorikern beliebt, Vergleiche zwischen Rechtsregeln verschiedener Quellen aufzuzeigen und demgemäß Einwirkungen aufzuzeigen. Merkel hat deshalb mindestens zehn Artikel des Schwabenspiegels beschrieben, denen er eine Verwandtschaft zur bayerischen Lex zuwies, zwei von ihnen nennt der Herausgeber. Demgegenüber erwähnt der Herausgeber keine der verschiedenen Ähnlichkeiten des Rechtsbuchs Kaiser Ludwigs von Bayern zur bayerischen Lex. Soweit sich heutige Vertreter der Rechtsgeschichte mit den Quellen aus der Karolingerzeit beschäftigen, sind sie sehr viel zurückhaltender als der Herausgeber mit dem ‚Weiterleben‘ alter Quellen. Dem lateinischen Text gibt der Herausgeber jeweils einen deutschsprachigen Text bei. Da es bereits Übertragungen des Textes in Deutsch gibt, glaubte der Herausgeber ihre Ungeeignetheit darlegen zu müssen. Unnötig zu sagen ist eigentlich, dass sich Sprachüblichkeiten nach etwa 90 Jahren seit der letzten Übertragung verändert haben. Demgemäß soll seine Übersetzung den Text in zeitgemäßem, lesefreundlichen Deutsch wiedergeben und sie soll aus sich selbst heraus, also auch ohne die lateinische Vorlage, zu verstehen sein. Mit diesem Vorhaben sucht sich der Herausgeber gegen Kritik an einer mangelnden Quellennähe zu sichern. Grundsätzlich soll eine Übersetzung den Inhalt und meist auch die Wortfolge des ursprünglichen Verfassers erkennen lassen. Zu begrüßen ist, dass der Herausgeber die volkssprachlichen Ausdrücke in der Lex nicht überträgt, sondern in der Originalfassung wiedergibt. Ergänzend stellt er in einem Anhang (S. 152-163) die volkssprachlichen Ausdrücke zusammen. Der Herausgeber wählt bei seiner Übersetzung öfters Begriffe, die dem Originalausdruck eine andere Bedeutung geben (zu provincia: Land statt: Provinz, in exercitu: bei einem Feldzug, statt: im Heer, in publico: Fiskus, statt des allgemeineren: Staat). Manchmal wählt er technische Ausdrücke (beschlagnahmen, II.5, statt: wegnehmen, konfisziert, II.1, statt Staatsgut einziehen), die den offenen lateinischen Begriff in einer Begriffsverengung überträgt. Da die Edition Claußens mit seiner zum Verständnis notwendigen Einleitung nur noch in wenigen Bibliotheken verfügbar ist, füllt Deutingers Arbeit eine Lücke. Bei der Benutzung der Übertragung ist ein Benutzer gut beraten den Text anhand der Ausgabe von Eckhardt / Claußen zu vergleichen. Der im Vorwort zitierte Horst Fuhrmann hat auch auf ein Scherzwort Theodor Mommsens hingewiesen, wonach der Historiker von Rechts wegen alles wissen müsste „und die eigentliche Kunst desselben besteht darin, daß er sich das Gegenteil nicht merken läßt“, leider ist im vorliegenden Band zuviel zu merken.
Neu-Ulm Ulrich-Dieter Oppitz