Fraschka, Mark, A., Franz Pfeffer von Salomon
Fraschka, Mark A., Franz Pfeffer von Salomon. Hitlers vergessener Oberster SA-Führer. Wallstein, Göttingen 2016. 556 S. Besprochen von Werner Augustinovic.
Franz Ferdinand Felix Pfeffer von Salomon (1888 – 1968) war ein früher Protagonist der nationalsozialistischen Funktionselite, dessen Andenken außerhalb des engeren Kreises der mit diesem Fachgebiet einschlägig beschäftigten Historiker weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Der Grund dafür dürfte überwiegend dem Umstand geschuldet sein, dass der Höhepunkt von Pfeffers Laufbahn, die Betrauung mit der Funktion des Obersten SA-Führers (Osaf), bereits in die Jahre 1926 bis 1930 fällt. Als die Hitlerbewegung 1933 die Macht in Deutschland errang, hatte dieser Mann somit seinen Zenit längst überschritten; die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft erlebte er in relativer Bedeutungslosigkeit. Es stellt sich daher die Frage, welche Argumente es rechtfertigen, gerade diese Persönlichkeit in den Mittelpunkt eines umfangreichen Dissertationsvorhabens zu stellen.
Wie der Verfasser der vorliegenden, von (dem 1997 mit einer Schrift zum Schottland-Flug des Rudolf Heß habilitierten) Rainer F. Schmidt betreuten und von der Philosophischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg 2014 angenommenen Doktorarbeit, Mark A. Fraschka, einleitend darlegt, bietet der biographische Zugang nicht nur die Möglichkeit der Klärung einer Reihe von personenbezogenen, sondern auch von darüber hinausreichenden, strukturorientierten Fragestellungen. Erstere sollen Herkunft, Charakter, Anstöße, Motive Ziele, Perspektiven, Weltanschauung, Einfluss und Wirkung des Protagonisten beleuchten, letztere in einem größeren Rahmen am Beispiel der Person Pfeffers Ursprünge, Mittel, Wege, Ausdrucksformen und Akteure des sich ab November 1918 in Deutschland etablierenden radikalen Antirepublikanismus beschreiben und die Handlungsspielräume im Verhältnis zwischen der Staatsgewalt und den rechtsgerichteten Republikfeinden abstecken. Die Entwicklung der rechtsradikalen Kräfte in Westfalen und ihre Beziehungen zur NSDAP, die Bedingungen und Umstände von Pfeffers Aufstieg und Fall in der Hitlerpartei und der Grad der Kompatibilität einer charakteristischen Freikorpsmentalität mit den Ansprüchen des totalitären Führerstaates bilden weitere Schwerpunkte der sich in zwei Hauptteile gliedernden Untersuchung. Die erste, „Konterrevolutionär“ betitelte Sektion erfasst auf 190 Druckseiten die Zeit von Franz von Pfeffers Geburt 1888 in Düsseldorf bis zum Widerstand gegen die französische Besetzung des Ruhrgebiets 1923. Daran schließt sich die Periode des „Sozialrevolutionär(s)“, dargestellt auf weiteren 290 Seiten und reichend von Hitlers Münchener Putsch am 8./9. November 1923 bis zu Pfeffers Ableben 1968 ebendort. Die Auseinandersetzung mit seiner Amtsführung als Oberster SA-Führer von 1926 bis 1930 nimmt davon etwa 90 Seiten ein.
Franz Pfeffer von Salomons Sozialisierung erfolgte in einer gutsituierten, kinderreichen, dem katholisch-niederrheinischen Briefadel (seit 1862) zuzurechnenden Familie in Münster. Für Vater Max seien in der Erziehung „Freiheit, Zusammenhalt und Wehrhaftigkeit“ neben „Stolz auf die eigene Herkunft sowie auf Kaiser, Preußentum und Vaterland […] wichtige Maximen“ gewesen (S. 41). 1907 bis 1910 absolvierte Franz als Korpsstudent in Heidelberg, Marburg und Münster das Studium der Rechtswissenschaft und diente, 1909 zum Leutnant befördert, fortan in seiner Heimatstadt als Berufsoffizier bei dem Infanterieregiment 13 (IR 13). Im Ersten Weltkrieg erlebte Pfeffer im Westen „die Brutalität und Anonymität des modernen Krieges als Frontoffizier von der ersten Stunde bis ins Jahr 1918 auf intensive Art und Weise“ (S. 69), wurde mehrfach ausgezeichnet, im Generalstab ausgebildet und verwendet und schließlich als Hauptmann mit der Führung eines Bataillons betraut. Dabei musste er sich „unter den spezifischen Bedingungen ‚militärischer Zwangsvergesellschaftung‘ mit den Nöten, Sorgen und Bedürfnissen seiner Untergebenen vertraut machen und sich ihrer annehmen“, woraus „der Typus des sozialen Offiziers (entstand), der, selbst zumeist familiär wie politisch entwurzelt, seine Männer oft über das Kriegsende hinaus fast patriarchalisch an sich band“ – die für die Freikorps typischen „personalisierten Loyalitätsstrukturen“ (S. 77). Mit Waffenstillstand und Revolution standen plötzlich „(a)nstatt eines militärischen Sieges oder eines ehrenvollen Friedensschlusses und des (vermeintlichen) sozialen Friedens des Augusterlebnisses die Schmach der Niederlage, die offen zutage tretenden politischen und sozialen Gegensätze mit Machtvakuum, Streiks und bürgerkriegsähnlichen Zuständen und die Diffamierung des alten Militärs“ im Raum (S. 83).
Als sich Reichswehrminister Noske im Januar 1919 im Kabinett mit seiner Forderung nach Freiwilligenverbänden durchgesetzt hatte, ergriff auch der eben aus dem Heeresdienst geschiedene Pfeffer seine Chance und stampfte praktisch ohne Infrastruktur in Westfalen sein eigenes „Freikorps Pfeffer“ aus dem Boden. In der folgenden „langen Freikorpszeit“ bis 1923 agierte diese Truppe unter anderem im Baltikum, in den Auseinandersetzungen im Zuge des Kapp-Lüttwitz-Putsches, in Oberschlesien und im Ruhrkampf („Zentrale Nord“). Die von der Regierung und der Reichswehrführung nun vermehrt wahrgenommene Putschgefahr durch die Kampfeinheiten der radikalen Rechten veranlassten Reichspräsident Ebert am 30. Mai 1920 zum Erlass der „Verordnung ,betreffend die zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nötigen Maßnahmen auf Grund des Artikel 48 Abs. 2 der Reichsverfassung‘, in der die direkte politische wie militärische Einflussnahme auf die Truppe unter Strafe gestellt und mit der Einrichtung von außerordentlichen Gerichten gedroht wurde“ (S. 153f.). Ein im März 1921 gegen Pfeffer auf dieser Rechtsgrundlage eingeleiteter Prozess vor einem Sondergericht des Reichswehrgruppenkommandos I Berlin wurde nach Stargard ins konservative Hinterpommern verlegt und endete mit einem von der rechten Presse frenetisch akklamierten Freispruch. Was den juristischen Apparat der Republik anging, durfte Pfeffer so, wie später Adolf Hitler in seinem Münchener Putschprozess, die für ihn beruhigende Erfahrung machen, dass „auf gewisse Kreise auch in der Republik Verlass war“ und es „für Männer mit entsprechenden Kontakten stets Wege gab, persönliche Nachteile zu vermeiden – alte und neue Netzwerke funktionierten“ (S. 179).
Über die „Zentrale Nord“ im Ruhrkampf gelang ihm die Anbindung an München, namentlich an Ludendorff und die NSDAP. Auf diese Kräfte konzentrierte er in der Folge seine Bemühungen zur Bündelung der divergierenden antirepublikanischen Kräfte der Rechten. Hitlers missglückter Putsch stellte nach Mark A. Fraschka für Pfeffer „einen Markstein im Werdegang des ‚politischen Abenteurers‘ Pfeffer dar. Die Einsicht, dass rein militärische Putschversuche unter den aktuellen Bedingungen aussichtslos waren, ist maßgeblich für die ab nun vollzogene Wandlung des reaktionären Weltkriegs- und Freikorpsoffiziers zum sozialrevolutionären Politiker“ (S. 236). 1923/1924 übernahm er in der Zeit des Verbotes der NSDAP „im Einvernehmen mit Rosenberg in München den als ‚Landesleitung‘ titulierten Vorsitz des VSB [= Völkisch-Sozialer Block] Westfalen“ (S. 239). Nach der Neugründung der Partei erfolgte am 27. März 1925 „durch Hitler die Ernennung Pfeffers zum ‚verantwortlichen Führer‘ im Gau Westfalen […] bis zu einer späteren endgültigen Regelung“ (S. 271). Breit werden im Folgenden die internen Richtungskämpfe, die Konflikte zwischen den „alten“ Nationalsozialisten im Süden und den „neuen“ im Norden, zwischen München und Westfalen dargestellt. Diese Entwicklungen gipfelten im Frühjahr 1926 in der Fusion zum mächtigen „Großgau Ruhr“ unter dem Triumvirat Pfeffer, Kaufmann und Goebbels, einem bedeutenden Gegengewicht zu München, das aber von Hitler mit der alleinigen Installierung des loyalen, aber schwachen Kaufmann als Gauleiter, der Berufung von Goebbels als Gauleiter nach Berlin und dem Wechsel Pfeffers nach München taktisch klug wieder deaktiviert werden konnte.
In München bediente sich Hitler der organisatorischen Fähigkeiten des ehemaligen Freikorpsführers, um die nach dem zwischenzeitlichen Verbot zunächst unter dem Terminus „Frontbann“ wieder ins Leben gerufene Sturmabteilung (SA) nach dem Abgang Ernst Röhms Anfang Mai 1925 nunmehr als Parteitruppe neben der Politischen Organisation (PO) der NSDAP zu integrieren. Während Pfeffer diese Reorganisation als Oberster SA-Führer tatkräftig in Angriff nahm, Suborganisationen wie die Schutzstaffeln (SS), die Hitlerjugend (HJ) oder den Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB) in die SA einzubinden und zu kontrollieren vermochte und wirtschaftliche Akzente initiierte, hatte er den nachhaltigen Widerstand bedeutender Exponenten der Münchener Parteileitung sowie der Gauleiter, die eine Zentralisierung der SA mit allen Mitteln bekämpften, gegen sich. Nachdem er wegen seines Finanzgebarens mehrfach in die Kritik geraten und der SA schließlich von Hitler das selbständige Etatrecht de facto entzogen worden war, war wohl die latente Gefährdung des von Hitler geforderten Legalitätskurses – Pfeffer hatte sich unter anderem konspirativ mit Offizieren der Reichswehr getroffen, die dort illegal für die NSDAP warben und aufflogen – letztendlich ausschlaggebend, dass der Diktator seine schützende Hand von seinem Obersten SA-Führer abzog. Nach der unvermeidlichen Demission Pfeffers Anfang September 1930 übernahm Hitler selbst die Führung der SA und installierte im Januar 1931 den reaktivierten Ernst Röhm als Stabschef. Pfeffers Wirken im Dienst der SA bilanzierend, hält der Verfasser fest, dass insgesamt „die Berufung Pfeffers (für Hitlers machtpolitische Ambitionen) ein Glücksfall“ gewesen sei (S. 428). Der Oberste SA-Führer vermochte während seiner Amtsperiode die Mitgliederzahl von etwa 8000 auf nahezu 70.000 zu steigern, seine Gliederung straffer und hierarchischer als die PO zu organisieren, in ihr eine auf Hitler ausgerichtete Führerideologie durchzusetzen und die Massenpropaganda der NSDAP wirksam zu realisieren. Als strukturelle Defizite, die im Juni 1934 mit der Ermordung Röhms und seiner Parteigänger blutig eingehegt wurden, verblieben die revolutionäre Klientel und der paramilitärische Charakter der SA.
Nach seinem Sturz agierte Franz von Pfeffer wenig glücklich, obwohl er 1932 von Hitler mit einem lukrativen Reichstagsmandat versorgt wurde. 1934 zunächst als „Beauftragter des Führers in Kirchenangelegenheiten“, dann auch als „Verbindungsmann und ‚Aufpasser‘ Hitlers“ (S. 469) beim Putsch der NSDAP in Österreich und 1936 als juristisch geschulter Unterhändler in Verhandlungen mit den Amerikanern mit handelspolitischer Zielsetzung hinterließ der undiplomatisch agierende Pfeffer jeweils nur „Chaos“ (S. 466 und 476). Als enger Vertrauter von Rudolf Heß wurde er nach dessen Schottlandflug im Mai 1941 von der Geheimen Staatspolizei in Haft genommen, wo er offiziell seinen bisherigen Namen Franz Pfeffer von Salomon auf Franz von Pfeffer verkürzen ließ, um nicht womöglich wegen dessen alttestamentarischen Anklangs für einen Juden gehalten zu werden. Nach Auskunft des Verfassers gelangte der Name Salomon wohl aus dem Italienischen nach Lothringen, „Anhaltspunkte, dass sich in Franz von Pfeffers Familienstammbaum Vorfahren jüdischen Glaubens befanden, liegen keine vor“ (S. 230). Obwohl nun von Hitler aus der Partei ausgeschlossen, habe ihn dieser gegen das Versprechen künftigen Stillhaltens dennoch mit einer Pension ausgestattet. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 sei Pfeffer, obschon an der Verschwörung nicht beteiligt, erneut festgesetzt worden; nach seiner glücklichen Entlassung habe er Berlin schleunigst verlassen und auf dem Land versteckt das Kriegsende abgewartet. Es sei zu konstatieren, dass in der Nachkriegszeit bis zu seinem Ableben 1968 „mit wachsender zeitliche[r] Distanz zum ‚Dritten Reich‘ – und je weniger auch mit strafrechtlichen Konsequenzen zu rechnen war – desto deutlicher wurde, dass sich Pfeffer weder von seiner eigenen Vergangenheit an der Seite Hitlers distanzierte, noch einen Anlass sah, seine politischen Ansichten zu revidieren“ (S. 501f.).
Pfeffers Scheitern liegt zu einem guten Teil in seinen durch die spezifische Sozialisation verstärkten, individuellen Charaktereigenschaften begründet. Sein akzentuiert militärisches, bisweilen arrogantes Auftreten machte es ihm schwer, die dringend notwendigen Verbündeten zu gewinnen, und schuf ihm stattdessen mächtige Feinde. Dieses überzogene Selbstbewusstsein äußerte sich auch in einer gefährlichen Nachlässigkeit in Bezug auf Finanzangelegenheiten, wo er vielfach in großzügiger Manier nicht zwischen seiner Stellung als Privatperson und als Funktionsträger unterschied und sich damit immer wieder mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert sah. Als Führer und oberster Verantwortungsträger in seinem Geschäftsbereich glaubte er sich berechtigt, seinen Willen uneingeschränkt durchzusetzen. Obwohl im Kern loyal, eignete ihm ein starker Eigensinn, der ihn dazu verleitete, sich über dezidierte Anweisungen hinwegzusetzen, wenn er Dinge anders sah. Dass er dies bisweilen selbst im Falle Hitlers tat und diesen damit blamierte, war bei der bekannten persönlichen Empfindlichkeit des Diktators ein unverzeihlicher Lapsus mit vorhersehbaren gravierenden Folgen. In seinen weltanschaulichen Überzeugungen, wie sie in erschreckender Radikalität und Brutalität schon in Pfeffers rassistischer Programmschrift „Zucht. Eine Forderung zum Programm“ aus 1925 (vgl. S. 300ff.) niedergelegt sind, stand er wiederum dem Sozialdarwinismus seines „Führers“ in nichts nach. Die Teilnahme an demokratischen Wahlen blieb ihm stets ausschließlich Mittel in einem utilitaristischen Kalkül und war für ihn, der von der Notwendigkeit der Diktatur felsenfest überzeugt war, niemals Anerkennung einer freien Gesellschaftsordnung. Es erscheint daher höchst abwegig, dass im Juli 1947 das Entnazifizierungsverfahren „gegen den ehemals dritten Mann der Partei und einen der bedeutendsten Wegbereiter des Nationalsozialismus in der frühen ‚Kampfzeit‘ eingestellt“ worden ist und Pfeffer fortan als „entlastet“ galt (S. 496).
Trotz gelegentlicher Mängel im Detail (S. 216: „Eine nationale Denke“ – gemeint ist wohl „eine nationale Denkart“ oder „nationales Denken“; S. 249: „Bei Pfeffer im Süden“ – Pfeffer agierte aber im Wahlkreis Westfalen-Nord; S. 268: „Unter Zutun des bayerischen Justizministers Fritz Gürtner“ – richtig: Franz Gürtner) ist es dem Verfasser gelungen, mit der Biographie Franz Pfeffer von Salomons auch einen erhellenden Einblick in die Frühgeschichte der radikalen Rechten im Nordwesten Deutschlands und in ihre Beziehungen zu der sich in Bayern etablierenden NSDAP zu liefern. Die Person des Protagonisten repräsentiert dabei einen Schlüsselakteur im Bestreben um die Bündelung und Zentralisierung der Kräfte der radikalen Rechten im Kampf gegen die Republik.
Kapfenberg Werner Augustinovic