Hauth, Anja Friederike, Sitzungspolizei und Medienöffentlichkeit

. Eine verfassungsrechtliche Rekonstruktion. Duncker & Humblot, Berlin 2017. 371 S. Besprochen von Albrecht Götz von Olenhusen.

Hauth, Anja Friederike, Sitzungspolizei und Medienöffentlichkeit. Eine verfassungsrechtliche Rekonstruktion. Duncker & Humblot, Berlin 2017. 371 S. Besprochen von Albrecht Götz von Olenhusen.

 

Das Spannungsverhältnis zwischen Maßnahmen vorsitzender Richter  als „Sitzungspolizei“, vor allem in Aufsehen erregenden Zivilprozessen und Strafprozessen, wie etwa betreffend den NSU in München, zu den Medien, ihren Vertretern und der an Bildern und Berichten interessierten Öffentlichkeit ist in den letzten Jahren deutlicher hervorgetreten. Wenn das Gericht sogar befugt sein soll, den Medien Anonymisierung vorzuschreiben, wird ein Interessenkonflikt deutlich, der über die traditionellen Konflikte zwischen Individuen und Berichterstattern hinausgeht. Die komplexen Fragestellungen, die das Werk der Verfasserin, eine Freiburger Dissertation (Betreuer Johannes Masing), aufgreift, haben schon mehrfach das Bundesverfassungsgericht beschäftigt. Die Regelungen von Sitzungspolizei und möglicher Einschränkung treten in Konflikt mit Reichweiten und Beschränkungen der Bildberichterstattung nach §§ 22, 23 KUG i. V. m. Art. 5 GG. An dieser Arbeit wird zunächst unter den Perspektiven des § 169 GVG die verfassungsrechtliche Rechtsprechung zur Bildberichterstattung aus Prozess-Sälen dargestellt. In einem weiteren Abschnitt bilden die Ansichten des Bundesgerichtshofs und der Literatur das Zentrum. Hier geht es um mehrpolige Rechtsverhältnisse zwischen Gerichtsvorsitzenden, Verfahrensbeteiligten und Medien. Die Frage nach einem durch Verbote etwa möglichen höheren Persönlichkeitsschutz stellt sich. Wie auch in anderen Fallkonstellationen zwischen Entscheidungen polizeilicher Einsatzleiter gegenüber Berichterstattern und Medien ist ein Problem, wem letztlich die Abwägungsverantwortung zukommt. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat in diesen Fällen die Verantwortung den Medien übertragen.  Die Widersprüche sollen dann in einem dritten Kapitel aufgelöst werden. Aus welchen Gründen haben Gerichte die sog. Sitzungsgewalt und mit welchen Auswirkungen? Geht es um den Schutz von Persönlichkeitsrechten, von Rechten und Interessen in Verfahren? Welche prozessualen Konsequenzen hat die von der Autorin entwickelte Doppelwirkung der Sitzungsmaßnahmen? Wie sind der Rechtsschutz  de facto und die Rechtsweggarantie gewährleistet?

 

In diesem Zusammenhang spielte in letzter Zeit auch eine Rolle, inwieweit die Gerichte verpflichtet sind, den Verfahrensbeteiligten und der interessierten Medienöffentlichkeit wie der Öffentlichkeit des Publikums hinreichenden Raum zur Verfügung zu stellen oder die Sitzungsöffentlichkeit durch Fernsehübertragungen in andere Räume zu erweitern.  

 

Im Ergebnis sind auf der Grundlage der Untersuchung drei Grundpfeiler der Verdachtsberichterstattung in diesem Bereich außer Kraft oder sehr eingeschränkt. § 176 GVG überlässt dem Vorsitzenden die Entscheidung, ob und inwieweit Bildberichterstattung aus der Sitzung zulässig ist. Der Rechtschutz gegen Entscheidungen des Vorsitzenden kann notfalls beim Beschwerdegericht gelegentlich vor Sitzungsbeginn erreicht werden. Bildberichterstattung aus der Sitzung sieht Hauth als mehrpoliges öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis zwischen Medien, Verfahrensteilnehmern und Vorsitzendem an.  Die Sitzungspolizei des Gerichts erfährt hier eine verdoppelte Schutzdimension. Die Entscheidungen in der Sitzung sollen auch jenseits des Verfahrens Bindungswirkung entfalten. Das Bundesverfassungsgericht hält inzwischen sogar Anordnungen zur Anonymisierung für zulässig (B. v. 17. 4. 2015, 1 BvE 3276/2008). Maßnahmen der Sitzungspolizei können mit der Beschwerde angefochten werden. Hier ist auch vorbeugender Rechtschutz denkbar.

 

Die Gesamtheit der sehr differenzierten Untersuchung kann hier nicht im Detail referiert werden. Es wird zwischen der sog. Saalöffentlichkeit und der Medienöffentlichkeit zu differenzieren sein.  Den verfahrensbezogenen öffentlichen Interessen wird eine geringere Bedeutung zugemessen. Im Ergebnis will die Verfasserin durch eine Anpassung des § 181 GVG einen effektiveren Rechtsschutz gegen sitzungspolizeiliche Maßnahmen erreichen. Die sehr im Detail sich auswirkende Studie muss mit den Mängeln der Normen, mit der bislang nicht einhelligen und abschließenden Rechtsprechung und der Anforderungen an die Effektivität der Durchsetzung von Grundrechten fertig werden. Viele Fragen müssen, was nicht der Verfasserin der Arbeit zur Last zu legen ist, offen bleiben, weil eben die Rechtsprechung sich noch nicht in jeder Hinsicht festgelegt hat. Die Grundsätze und Grenzen einer Gerichtsberichterstattung aus den Sitzungen selbst sind auch rechtsvergleichend sehr unterschiedlich. Die Arbeit beschränkt sich aber auf das deutsche Verfassungsrecht. Sie stellt einen bedeutenden Beitrag dar für die bessere normative und wertende  Strukturierung der Spannungsverhältnisse, welche sich aus widerstreitenden Anforderungen der Verfassung ergibt, deren „Konkordanz“ auch durch zeitlichen Druck sich als besonders heikel und schwierig erweist.

 

Freiburg im Breisgau/Düsseldorf                               Prof. Dr. Albrecht Götz von Olenhusen